Mit Merks und Brychs: Michael Federer hat 35 Jahre lang die Referees bei SC-Heimspielen betreut – nun hört er auf STADTGEPLAUDER | 19.10.2021 | Christian Engel

Michael Federer und Markus Merk Trotz mancher Aufregung immer einen Funken Coolness: Michael Federer (l.) war sozusagen der erste Inoffizielle für die Referees, hier Markus Merk, die in Freiburg zu Gast waren.

An einem Novemberabend 2009 herrscht in Freiburg totales Verkehrschaos – und Michael Federer ist mittendrin. Auf seinem Beifahrersitz hockt Felix Brych, ein junger Schiedsrichter, der in einer Stunde das Abendspiel zwischen dem Sportclub und dem VfB Stuttgart anpfeifen muss.Brych ist nervös, die Uhr tickt. Und Michael Federer, der den Schiedsrichter und sein Team an jenem 19. Spieltag betreut, der also dafür verantwortlich ist, dass das Gespann pünktlich im Stadion erscheint, weil schließlich kein Bundesligaspiel ohne Pfiff starten kann, versucht in all dem Chaos noch einen Funken Coolness zu bewahren.

In den Job als Schiedsrichterbetreuer ist Michael Federer, heute 64 Jahre alt, zufällig reingerutscht. Von der Spielvereinigung Wiehre wechselte der gebürtige Freiburger in der C-Jugend zum Sportclub, durchlief dort alle Jugendmannschaften, kickte unterklassig bei den Amateuren weiter. Während seiner Beamtenausbildung im Freiburger Rathaus war er parallel bei Heimspielen als Ordner im Stadion tätig. Da gabs vom Präsidenten Achim Stocker pro Nase dann fünf Mark in die Mannschaftskasse, die das Team am Ende der Saison für eine Reise nach Mallorca leerte.

Aus dem Nichts sprach Stocker Federer eines Sommertages im Jahr 1986 an, ob er denn an Heimspieltagen die Schiedsrichter betreuen könnte. Der DFB verlangte diesen Posten. Federer stellte zwei Bedingungen: ein Dienstauto für die Wochenenden und einen Vorschuss für die Speisen und Getränke. Stocker schlug ein. Diese Abmachung galt bis zu Federers letztem Arbeitstag.

Federer fuhr über die Jahre mal Opel, mal Suzuki, mal Mercedes, mal Ford. Am Tag vor einer Partie holte er die Schiedsrichter ab. Früher in der Regel vom Bahnhof, in den letzten Jahren vermehrt vom Basler Flughafen. Anschließend brachte er sie ins Hotel oder suchte direkt ein Restaurant seiner Wahl auf. Beim Essen lebte er nach dem Drei-Säulen-Prinzip: Fleisch, Fisch, Italienisch. „Nach einer Weile kannte ich die Schiedsrichter und ihre Vorlieben“, erzählt Federer: „Ich wusste, was wem schmeckte.“

Stolz ist er vor allem darauf, den Wein in die Schiedsrichterzunft eingeführt zu haben. „Mittlerweile trinken die meisten lieber Wein als Bier“, sagt er, „aber wir haben hier in Südbaden ja auch tolle Tropfen.“

Ein Abendessen ging schon mal bis in die Morgenstunden, aber immer erst das zweite, jenes nach dem Spieltag. Denn der Spieltag selbst stand ja im Mittelpunkt, dafür waren die Schiedsrichter schließlich angereist. Manchmal ging Federer mit ihnen am Morgen noch eine Runde durch die Stadt, zeigte ihnen das Münster, die Kajo, die Langen Roten. Anschließend brachte er Schieds- und Linienrichter ins Stadion. Spätestens eine Stunde mussten sie vor Anpfiff vor Ort sein, heute sind es sogar zwei Stunden. Nur einmal wurde es deutlich knapper: mit Felix Brych.

Federer würde an jenem Novemberabend 2009 gerne ordentlich aufs Gaspedal drücken, weil die Zeit drückt. Aber wenn es sich staut, hilft nur eines: improvisieren. Also geht’s hier mal kurz über eine Bordsteinkante, dort mal flott einen Schleichweg entlang. Alles für die Schiris. Eine halbe Stunde vor Anpfiff hält er vor dem Stadion. Felix Brych und sein Team springen heraus: gestresst und etwas angefressen, aber dennoch dankbar. „Die Jungs wussten stets, dass sie sich auf mich verlassen können“, sagt Federer, „ich machte alles Machbare möglich.“

Mal ist Federer in seinen knapp 35 Jahren als Schiedsrichterbetreuer Apotheker, flitzt kurz los und besorgt Medikamente, wenn ein Unparteiischer kränkelt. Mal ist er Fahnenträger und rennt in die Kabine, falls einem Linienrichter das Fähnchen abgebrochen ist. Zwei Saisons lang ist er der inoffizielle vierte Offizielle, als es diesen offiziell noch gar nicht gibt, jemand aber die neu eingeführten Wechseltafeln bedienen muss. Also fummelt er an den Tafeln herum, kommt ins Schwitzen, wenn die Bender-Zwillinge beim Gegner auf dem Feld stehen und er einen der beiden auf Geheiß des Trainers rausholen soll, aber nicht weiß, welcher welcher ist.

Michael Federer ist als Betreuer ein redseliger Kollege, für viele Schiedsrichter bald ein Freund, weil er sie alle zur Zufriedenheit betreut, sich um alles kümmert – weil er für jeden den passenden Weg und Schleichweg findet. Er lernt in all den Jahren aber auch zu schweigen, im richtigen Moment still zu sein und sich zurückzunehmen. Dies geschieht auf der Hinfahrt zum Stadion und während der Vorbereitungszeit in der Kabine. „Dann“, sagt Federer, „wollen die Schiedsrichter für sich sein, sich konzentrieren. Und ich bin leise.“

Genießen konnte er während der Spiele vor allem die erste Halbzeit und die erste Hälfte der zweiten, bevor er sich um die Rückfahrten zum Bahnhof oder etwaige Staus auf dem Weg zum Flughafen Gedanken machen musste. Er stand dann direkt im Innenraum: Premiumplatz. Der Moment, als der Sportclub die Bayern 1994 mit 5:1 bezwang, ist ihm bis heute in bester Erinnerung. Auch die drei Tore von Uwe Wassmer gegen den FCB – ausgerechnet an seinem Geburtstag.

Einmal trifft Federer im Innenraum auf die Trainerlegende Dragoslav Stepanovic. Er war mit Leverkusen zu Gast in Freiburg, während des Spiels hatte Federer ihm nach einer Szene zugerufen, er solle sich doch nicht so aufregen. „Nach dem Abpfiff kam Stepanovic dann zu mir, grinste mich an und sagte: ,Lebbe geht weiter.‘ Das vergesse ich bis heute nicht.“

An fast 600 Heimspielwochenenden war Federer für den SC im Einsatz, ehrenamtlich vom ersten bis zum letzten Tag. Während sich die Fußballbranche immer mehr professionalisierte, hob auch er seine Tätigkeit auf ein hohes Niveau – sonst würden nicht heute noch ehemalige und aktuelle Schiedsrichter bei ihm anrufen und mit ihm ein Weinchen trinken wollen, wenn sie in Freiburg sind.

Bei all der Professionalisierung mit seinen zahlreichen Nebenwirkungen behielt Federer einen menschlichen Umgang mit den Schiris bei. Er wollte nicht nur Chauffeur sein, wie es heute gang und gäbe ist. Er wollte seine persönliche Note einbringen, für die Schiedsrichter ein Freund und Kollege, ein guter Gastgeber sein – und im richtigen Moment lautlos abtreten.

Foto: © Klaus Schuster