Platz an der Sonne – Spitzenmannschaft SC Freiburg, stapelt weiter tief STADTGEPLAUDER | 19.11.2022 | Philip Thomas

EuropaPark Stadion von Innen

Tabellenplatz 2 nach 15 Bundesligaspielen, Qualifikation für die Euro-League-K.O.-Phase und das Achtelfinale des DFB-Pokals. Der SC spielt die beste Saison seit 23 Jahren. Trotzdem fremdelt Freiburg mit der Favoritenrolle. Sorgen bereiten dem Sport-Club derweil sein Haupt­sponsor und sein neues Stadion.

Fußball ist voll unbequemer Wahrheiten: Italien war im Halbfinale der WM 2006 besser als die Klinsmänner, die andauernde Bayern-Dominanz in der Bundesliga ist verdient und der vereinswappenküssende Lieblingsspieler nächste Saison wahrscheinlich weg. In diese Reihe gehört auch, dass der SC Freiburg kein kleiner Verein mehr ist – wirtschaftlich spätestens seit der Eröffnung der neuen Spielstätte im Wolfswinkel, sportlich mindestens seit dieser Spielzeit.

Dabei gibt sich der Bundesligist – mittlerweile Platz 20 in der ewigen Tabelle – solche Mühe, diesen Status gegen allen Erfolg zu kultivieren. Nicht umsonst hatte sich Freiburg zur Einweihung seines rund 77 Millionen Euro teuren Stadions mit Sankt Pauli einen sportlichen Gegner aus Liga zwei geladen, der ein ebenso beschauliches Image kultiviert.

Tatsächlich spielt der SC aber nicht in einer Liga mit hanseatischen Haudegen, sondern den Granden der höchsten deutschen Spielklasse. 30 Punkte und Tabellenplatz 2 nach 15 Spieltagen sind kein Zufall. Auch Platz 6, 10 und 8 in den vergangenen drei Spielzeiten, DFB-Pokalfinalist in der abgelaufenen Saison sowie die vorzeitige Qualifikation für das Achtelfinale der Europa-League sind keine „Momentaufnahmen“ mehr, wie SC-Coach Christian Streich den Erfolg gerne nennt.

SC-Coach Christian Streich

Setzt auf Kontinuität: SC-Coach Christian Streich rotiert nur wenig.

Der von Journalisten ausgerufene Trainer des Jahres 2022 stapelt aber auch diese Saison tief: „50 Punkte in dieser Saison wäre ein Wahnsinn“, beschwor er vor Journalisten Anfang August.  Dabei hat der Wahnsinn beim SC längst System. Gegen Mannschaften aus der unteren Tabellenhälfte geht Freiburg mittlerweile nicht nur bei Buchmachern als Favorit auf den Rasen: Namhafte Bundesligisten wie Werder Bremen oder Schalke 04 treten gegen den SC zunehmend defensiv auf. Sogar in München spielte Freiburg – obwohl erfolglos – mutig und mit hoch anlaufenden Spitzen.

Diesen Mut möchte man dem Verein auch in Pressekonferenzen wünschen. Mit seiner neuen Favoritenrolle fremdelt der Verein jedoch. Immerhin ist der SC in der Rolle des etwas anderen Underdogs groß geworden: An der Außenlinie des alten Dreisamstadions saßen Fußballlehrer Volker Finke und Co-Trainer Achim Sarstedt sechs Jahre in einem Strandkorb. Das heutige Fundament des Vereins, die 2001 gegründete Freiburger Fußballschule, war in Zeiten explodierender Transfersummen die einzig verlässliche Möglichkeit, an – künftig – erstklassige Kicker zu kommen.

Heute hat sich der SC einen Platz an der Sonne erarbeitet. Und die Talentschmiede am Freiburger Möslestadion generiert in schöner Regelmäßigkeit auch Millioneneinnahmen. „Der SC ist in der Lage, Spieler nicht mehr nur für Kleingeld zu holen“, sagte Finanzvorstand Oliver Leki bereits vor drei Jahren auf der Mitgliederversammlung des Bundesligisten.

Seitdem ist der SC wirtschaftlich noch mal geklettert. Im abgelaufenen Geschäftsjahr 2021/2022 schraubte der Fußballbundesligist seinen Gesamtumsatz von 110,1 auf 114,9 Millionen Euro. „Das ist ein gutes Ergebnis“, kommentierte Leki auf der Mitgliederversammlung des Vereins Mitte Oktober den Rekord. Der Jahresüberschuss sank indes von 9,8 Millionen Euro im Jahr 2020/21 auf 2 Millionen.

Das meiste Geld in die SC-Kasse spülten in der abgelaufenen Spielzeit Fernseh-gelder (63,6 Millionen Euro). Das entspricht einem Plus im Vergleich zur Vorsaison von 3,5 Millionen Euro. Ticketerlöse erholten sich nach der Corona-Saison 20/21 von 0,1 auf 11,6 Millionen. Hinzu kommt die Ablöse vom nach Dortmund abgewanderten Nico Schlotterbeck in Höhe von schätzungsweise 20 Millionen Euro, die der Verein vor 560 stimmberechtigten Mitgliedern in der Freiburger Messe unter „Sonstiges“ listete.

Der Bundesligist blickt damit nun auf 95 Millionen Euro Eigenkapital (Vorjahr: 93 Millionen Euro). „Damit ist es uns möglich, auf schwierige Zeiten zu reagieren. Wir achten darauf, dass wir Rücklagen haben“, sagt Leki, der einen Abstieg in die Zweite Bundesliga in
Zukunft demnach nicht ausschließt. Für den GAU wäre der SC vergleichsweise gut gewappnet:
In der Eigenkapitalstabelle der Deutschen Fußballliga (DFL) lagen vor Freiburg im Kalenderjahr 2021 nur München (491 Millionen Euro), Dortmund (232) sowie die Investoren-Klubs Leverkusen (200), Hoffenheim (248), Leipzig (131) und Hertha Berlin (107).

Der Finanzvorstand bedankte sich bei Mitgliedern und Kollegen dafür, noch nie gebeten worden zu sein, das Kapital in den Kader zu stecken. Immerhin kratzt der Personalaufwand des Vereins auch bereits an der Marke von 60 Millionen Euro. Vergangene Saison zahlte der SC noch 53,6 Millionen Euro an Gehältern aus.

Der Erfolg macht sexy. Binnen fünf Jahren hat sich die Mitgliederzahl beim SC von 15.700 auf 46.000 praktisch verdreifacht. Vor dem DFB-Pokalfinale im Mai sangen Tausende Anhänger das Badnerlied auf dem Berliner Breitscheidplatz, weit mehr als 27.000 Fans sollen in der Hauptstadt gewesen sein. Auch das neue Stadion zieht an – und zwar Sponsoren: Im Dreisamstadion zählte der Verein 267 Verträge, am Flugplatz laufen 442 Werbekontrakte.

EuropaPark Stadion von Außen

Sorgen bereitet dem SC ausgerechnet sein Hauptsponsor. „Cazoo“ ziert erst seit dem Sommer die Trikots des SC, der britische Online-Autohändler plant jedoch, sich vom europäischen Festland zurückzuziehen. In Deutschland sind bereits keine Bestellungen mehr möglich. „Wir waren mehr als überrascht. Das haben wir uns so nicht vorgestellt“, kommentiert Leki. Der Händler habe schließlich mit enormer Energie Strukturen in Deutschland aufgebaut. Die geschlossenen Verträge behielten laut dem Vorstand ihre Gültigkeit. „Bisher hat Cazoo alle vertraglichen Erwartungen erfüllt“, sagte Leki auf der Mitgliederversammlung.

Die Baustellen im Stadion bestehen weiter. Auf der Mitgliederversammlung machen Fans ihrem Ärger über schmale Stufen, Gedränge hinter dem SC-Block, Warteschlangen vor Imbissbuden und Toiletten sowie unklare Beschilderung erneut Luft. „Man darf die Frage stellen, wie das sein kann“, sagte Leki, der die Kritik an die verantwortliche Baufirma weiterreichte und die nächste juristische Halbzeit um das Stadion zwischen Mooswald-Siedlung und Flugplatz andeutete:  Der Verein habe sich gegenüber der Baufirma „rechtlich deutlich positioniert“.

Fotos: © Tatjana Kipf, picture alliance/dpa | David Inderlied