Dramatische Situation: Freiburger Händler kämpfen ums Überleben STADTGEPLAUDER | 09.03.2021 | Till Neumann, Lars Bargmann

Konviktstrasse in Freiburg

Die Krise bedroht viele Händler in der Freiburger Innenstadt. Mit einem offenen Brief haben sie Anfang Februar Alarm geschlagen. Sie fordern das Rathaus zu mehr Unterstützung auf. Entscheidend sei, die Weichen jetzt für die Post-Lockdown-Zeit zu stellen.

Sie appellieren: „Wir brauchen dringend einen konkreten Plan, wie die Innenstadt nach dem Lockdown wieder Anziehungskraft entwickeln kann.“ Dafür schlagen sie vor, die Innenstadt besser erreichbar fürs Umland zu machen – durch attraktives P+R, ÖPNV-Angebote und gute frelo Anbindungen. Außerdem fordern sie Kulturevents in der City, mehr Begrünung sowie eine Marketingkampagne.

Die ersten Risse sind da: Am Bertoldsbrunnen hat das Modehaus Fabel geschlossen. Nicht weit davon steht seit 2017 das Gebäude der ehemaligen Sportarena leer. Auch die Boutique Courage in der Grünwälderstraße hat zu, will aber an anderer Stelle in der Stadt wieder öffnen. Ein Opfer des Lockdowns ist das CD-Geschäft Compact Disc Center bei der Schwarzwald City. Das ausgefallene Weihnachtsgeschäft 2020 brachte den schon angeschlagenen Laden vollends zu Fall (siehe Seite 46). An der Rathausgasse gibt es mehrere verwaiste Schaufenster.

Als „Brandbeschleuniger“ sieht Martin Lauby das Pandemie-Jahr. Das Vorstandsmitglied von z’Friburg in der Stadt ist Center Manager der Schwarzwald City. Wer schon vor Corona zu kämpfen hatte, habe es jetzt doppelt schwer. Für die Händler legt er die Hand ins Feuer: „Die kämpfen wie die Löwen.“ Eine „ganz brutale Lage“ sagt Lauby zur Situation vieler Betroffener. Schon im ersten Lockdown hätten einige die Altersvorsorge aufgelöst. „Das kann man nur einmal machen.“

Selbst wer noch offen habe, müsse mit wegfallenden Kunden kämpfen. In die Schwarzwald City kämen sonst 13.000 bis 15.000 Personen am Tag. Aktuell seien es nur 2000 bis 3000. Sogar der Aldi im Untergeschoss habe daran zu knabbern. Auch Big Player wie H&M, Kaufhof oder Lacoste lassen Federn.

Der Textil- und Schuhbereich leide besonders. Grund sind die Rücksendungen im Onlinegeschäft. 50 bis 70 Prozent gebe es an Retouren, sagt Lauby. Er hofft, dass der offene Brief zu einer Bewusstseinswerdung führt. Auch weil da eine ganze Kette dranhänge: „Jeder Laden braucht auch einen Elektriker, Steuerberater und eine Putzkraft.“ Er ist sicher: „Wenn der Einzelhandel stirbt, stirbt noch viel mehr.“

Kajo in Freiburg

So leer wie selten: Auch Konviktstraße (oben) und Kajo zeigen das Vakuum.

Eile sei geboten, um vorbereitet zu sein, wenn der Lockdown vorbei ist. „Die Freiburger Innenstadt ist da und schön, sie hat ein Riesenpotenzial“, sagt Lauby. Seine Hoffnung ruht auch auf dem Innenstadtkoordinator (Stadtkümmerer), der im März in Vollzeit bei der Freiburg Wirtschaft Touristik und Messe GmbH (FWTM) anfängt. „Das fordern wir seit fünf, sechs Jahren“, sagt Lauby. Die Stadt zeige sich zwar stets gesprächsbereit, fehlende Wertschätzung stellt er dennoch fest. Das zeige sich auch bei den Diskussionen um den verkaufsoffenen Sonntag. „Es ist lächerlich, sich hier zu verkämpfen.“ Die Welt sei eben dynamisch, Amazon und Co. auf dem Vormarsch.

Auch Peter Spindler vom Handelsverband Südbaden bestätigt das. „Eine dramatische Situation“ sehe er bei vielen Händlern. Dabei seien Ladengeschäfte gar nicht aufgefallen bei der Infektionsverbreitung. Nicht wenige hätten die Hygienevorschriften sogar übererfüllt und seien mit der Schließung abgestraft worden. Er fragt sich, warum nicht auch Politiker sich solidarisch zeigen. Seine Idee: Als symbolischer Akt könnten sie den Händlern einen Teil der Diäten spenden. Auch die Stadtverwaltung müsse sich jetzt überlegen, was sie tun könne, um die City zu revitalisieren.

Für Lauby ist es eine Grundsatzfrage: Wollen wir das Päckchen von Amazon oder den Metzger um die Ecke, der mit seinen Steuern auch die Kita finanziere? Wie man Energien bündeln kann, hat z’Friburg in der Stadt bereits gezeigt: Mit „Kauf Lokal“ hat der Verein in Corona-
Zeiten eine Plattform geschaffen, die Angebote Freiburger Händler bündelt. Wie das laufe? „Sehr erfolgreich.“

Bei Martin Horn und Hanna Böhme ist die Botschaft angekommen. Man sei sich der Lage bewusst und stehe für Gespräche bereit, sagt die FWTM-Chefin. Sie verweist auf erste Aktionen: Es gebe bereits unter anderem eine Radiokampagne, die FWTM habe die Kosten der Weihnachtsbeleuchtung getragen und die VAG habe 10.000 Freifahrtscheine zur Verfügung gestellt, um „Kauf Lokal“ zu unterstützen. Sie ist überzeugt: Gemeinsame Lösungsansätze können gefunden werden.

Kommentar

Mut zum Wandel

Es ist völlig verständlich, dass sich die Innenstadthändler wieder mal Gehör verschaffen wollen. Doch weder der OB noch die FWTM oder der Gemeinderat sind Adressen, die die Krise des stationären Einzelhandels großartig beeinflussen könnten. Ein bisschen mehr Marketing hier, ein bisschen Kultur dort, das sind nicht die großen Werkzeuge zur Krisenbewältigung. Mehr Steuern auf den Online-Handel, CO2-Abgaben auf die wahnwitzige Paketdienstflut hätten einen größeren Hebel. Den größten aber hat die Bürgerschaft in der Hand, respektive in den Füßen. Wer eine intakte und attraktive Innenstadt schätzt, muss auch dort einkaufen. Und nicht vom Sofa aus im Klicken einnicken.

Egal wie viele Händler-Hilfen es noch geben wird, die Innenstädte werden sich wandeln. Viele kleine Händler werden aus den 1A-Lagen verschwinden. Wenn man die Innenstadt in die Zukunft denken will, muss man viel mehr Nutzungen denken: Handwerker, Seniorenwohnen oder Bürgerämter in großen Kaufhäusern, Co-Working-Spaces, aber nicht nur für die Macbook-mit-Chai-latte-Generation, sondern auch für Leute, die was mit den Händen machen, Kitas, Grundschulen, Reparatur-Cafés, eingehauste Wochenmärkte.

Auch die Händler müssen sich neu erfinden, den Digitalisierungsstau auflösen. Das reine Anbieten von Waren reicht immer weniger aus, um die Füße der Kundschaft in Bewegung zu setzen. In Osnabrück hat das erfolgreiche Kaufhaus L&T ein Bad mit stehender Welle für Surfer auf seine Flächen gebaut. Die Kunden reisen auch mal eine Stunde lang an.

Und schließlich müssten auch die Vermieter, oft Fonds oder Vermögensverwaltungen, etwas nachgeben, wenn ihnen die Innenstadt, ihre Mieter etwas wert sind. Andernfalls droht der Leerstand – und der ist ansteckend. Und das ist auch schlecht für künftige Mieten.

Fotos: © tln