„Ich werde auch enttäuschen“: OB Martin Horn über Mieten, Investoren und Social Media Politik & Wirtschaft | 22.08.2018 | Lars Bargmann & Till Neumann

Freiburg hat seit dem 1. Juli den jüngsten Oberbürgermeister einer deutschen Großstadt. Martin Horn war am Tag des Interviews mit den chilli-Redakteuren Lars Bargmann und Till Neumann morgens ins Rathaus gejoggt. Dann sprach der 33-Jährige gut gelaunt über Schulden, preiswerten Wohnraum und verriet seine Idee fürs Stadtjubiläum.

„Bin kein Freund großer Neuverschuldung“

chilli: Herr Horn, Sie bereiten mit Ihren Dezernenten derzeit den Doppelhaushalt 2019/2020 vor. Wie volumenreich sind die Forderungen aus den Ämtern?

Horn: Der Haushalt ist die ganz zen­trale Frage, vor der wir jetzt stehen. Ich würde mir mehr finanziellen Spielraum für Investitionen wünschen. Wir müssen die Anmeldungen aus den Ämtern um 80 Millionen Euro reduzieren, um einen genehmigungsfähigen Haushalt zu erzielen. Eine Gratwanderung. Wir haben als Großprojekte die Staudinger Schule, das Stadion und Dietenbach. Das engt den Spielraum stark ein. Die ersten Abstimmungen sind wahnsinnig intensiv. Aber auch von einem großen, kollegialen Verständnis von den Dezernenten geprägt.

chilli: Kommt die Stadt ohne neue Schulden aus?

Horn: Ich bin kein Freund von großer Neuverschuldung. Gleichzeitig werden wir bei dem Investitionsstau gar nicht drum rumkommen, eine überschaubare Neuverschuldung anzumelden. Aber eventuell brauchen wir das am Ende nicht, weil es momentan sehr schwer ist, für unsere Aufträge und dringende Investitionen genügend Personal und ausführende Firmen zu bekommen.

chilli: Im Doppelhaushalt 2017/2018 waren knapp 50 Millionen Euro Neuverschuldung geplant …

Horn: … es waren knapp 40, in diesem Rahmen werden wir uns bewegen.

chilli: Wird der neue Haushalt Ihre Handschrift tragen?

Horn: Definitiv wird er die Handschrift von Martin Horn tragen. Die großen Herausforderungen sind bezahlbares Wohnen und Digitalisierung. Gleichzeitig werden wir den dringend notwendigen Kita-Ausbau voranbringen. Aber wir müssen auch im kulturellen und im sozialen Bereich Schwerpunkte setzen.

chilli: Was meint Digitalisierung konkret?

Horn: Es geht um Digitalisierung in der Breite. Von digitaler Aktenführung über schlankere Verwaltungsprozesse, Breitbandausbau, öffentliches WLAN, Medienkompetenz für Alt und Jung bis hin zur Schule. Auch Start-up-Förderung gehört dazu. Und ich werde einen Digitalisierungsbeauftragten benennen.

Neuer Ansatz: Martin Horn will die Freiburger Bäume – wie hier am Seepark – digital erfassen.

chilli: Sind andere Städte da weiter?

Horn: In manchen Bereichen sind wir top, etwa beim Recruiting für neue Stellen im Rathaus. Aber in der klaren Anwendbarkeit fehlt es dafür. Wenn Sie mir Ihre Visitenkarte geben, ist es nicht möglich, dass ich sie in mein Vorzimmer bringe und Ihr Kontakt auf meinem Handy landet. Solche Dinge waren bisher nicht so sehr im Blickfeld. Ich habe einen anderen Ansatz. Wir werden jetzt etwa mit Tablets den Baumbestand digitalisieren. Verwaltungsabläufe müssen dringend digitalisiert werden.

chilli: Mit dem Ziel von Personalabbau?

Horn: Nein, manche Abläufe brauchen analog viel zu lange. Wir haben bei der jüngsten Gemeinderatssitzung 144.000 Seiten ausgedruckt und fahren die dann zu den Stadträten nach Hause. Das ist eine riesige Ressourcenverschwendung. In Breisach oder Sindelfingen machen sie das alles digital. Da bekommt jeder Stadtrat ein Tablet. So könnten auch wir hunderttausende Seiten sparen.

„Verkauf wäre politisch das falsche Signal“

chilli: Sie wollen die beschlossene, schrittweise Erhöhung der Kita-Gebühren um 20 Prozent einfrieren, warum?

Horn: Weil ich es im höchsten Maße für sozial fragwürdig halte, dass wir Familien mehrfach belasten. Wenn eine junge Familie in Freiburg eine bezahlbare Wohnung sucht, hat sie schon kaum eine Chance. Dann noch steigende Kita-Gebühren, das ist zu viel. Wir haben im vergangenen Doppelhaushalt 3,2 Millionen Euro durch Kita-Gebühren eingenommen. Ein überschaubarer Betrag. In anderen Bundesländern oder auch im Koalitionsvertrag geht der Trend klar zu einer Gebührenreduzierung bis hin zu einer Befreiung. Hier hinkt Baden-Württemberg massiv hinterher, was ich höchst bedauerlich finde.

chilli: Was sagt der Finanzbürgermeister Stefan Breiter dazu?

Horn: Ich habe das im Vorfeld mit meinen Dezernentenkollegen besprochen …

chilli: … haben Sie?

Horn: Die Kollegin Gerda Stuchlik ist einverstanden. Mit Bürgermeister Breiter bin ich im guten und konstruktiven Austausch. Das ist im Gesamthaushalt ein Posten, wo auch er ganz klar Wert auf soziale Gerechtigkeit legt und das auch unterstützt.

chilli: Der von Ihnen nicht gewünschte Verkauf des Stadtarchiv-Gebäudes sollte 4,5 Millionen Euro bringen. Sie wollen das Haus behalten, ist das wirtschaftlich?

Horn: Den Verkauf halte ich politisch für ein falsches Signal. Wir können das Gebäude aber nur halten, wenn wir ein Konzept entwickeln, das auch kommerzielle Nutzungen nicht ausschließt.

chilli: Preiswerter Wohnraum war die zentrale Wahlkampfbotschaft. An welchen Schrauben drehen Sie da jetzt? Sie wollen die Stadtbau weiterentwickeln?

Horn: Über die Köpfe hinweg irgendwas zu verkünden, wäre komplett der falsche Weg. Wir tun das in direkter Absprache mit den Geschäftsführern, natürlich auch mit dem Aufsichtsrat, in dem ich der Vorsitzende bin.

chilli: Nach unseren Infos gibt es zu alljährlichen Mieterhöhungen bald eine außerordentliche Aufsichtsratssitzung …

Horn: Sie sind gut informiert. Ja, ich will eine Zeit lang keine Mieterhöhungen. Wir müssen die Stadtbau stärken …

chilli: … die Stadtbau stärken, aber die Mieten einfrieren?

Horn: Ich werde mich dafür einsetzen, dass wir bis zu dieser Neuausrichtung die Mieten einfrieren.

chilli: Eine Firma stärken, ihr gleichzeitig Erlöse beschneiden – ein Widerspruch.

Horn: Nein. Es geht nicht darum, dass die Stadtbau komplett von der Gewinn­ebene weg soll. Aber wir können ihr früher Grundstücke anbieten, die Stadtbau muss künftig eine viel größere Rolle spielen.

50 Prozent geförderter Wohnraum? „Keineswegs ausgeschlossen“

chilli: Mit der Stadtbau können Sie keinen neuen Stadtteil bauen. Dafür bräuchte sie 20 Jahre.

Horn: Na gut, aber wenn wir von den 1000 Wohneinheiten im Stühlinger West 300 durch die Stadtbau bauen, für Gering- und Normalverdienende, wäre das ein Knaller. In dem Baugebiet sollen nur gemeinwohlorientierte Investoren bauen, keine, die darauf abzielen, maximalen Gewinn zu machen. Also Genossenschaften oder das Mietshäuser-Syndikat. Die Mietpreisentwicklung ist einfach zu abstrus. Ich selber habe sechs Monate nach einer Vierzimmerwohnung gesucht.

chilli: Ist das noch soziale Marktwirtschaft oder schon Sozialismus?

Horn: Nein, mir ist Wirtschaftsförderung ein Grundanliegen, da muss keiner Angst haben. Für Investoren-Schelte bin ich überhaupt nicht zu haben. Freiburg ist nur so stark, wie die Wirtschaft stark ist. Alle Akteure im Baubereich tragen massiv dazu bei.

Fleißig am Posten: Auf Instagram gibt der OB Einblicke in sein Privatleben.

chilli: Die Stadtbau hat 2015 und 2016 knapp 20 Millionen Gewinn gemacht, die Baugenossenschaften machen jedes Jahr Millionen-Gewinne …

Horn: Natürlich, aber deren Mieten sind trotzdem viel günstiger als die der freien Investoren. Ich fände es toll, wenn sich in Freiburg kleinere Gruppen zusammenschließen und selbst bauen. Sowohl im Dietenbach als auch im Stühlinger. Sie können für sich selbst planen, also ein Mitspracherecht haben. Das ist auch für eine soziale Durchmischung das Beste.

chilli: Sie glauben wirklich, dass 50 Prozent sozialer Mietwohnungsbau eine realistische Perspektive für Dietenbach ist?

Horn: Wir haben einen bestehenden 50-Prozent-Beschluss. Daran werde ich mich erst mal halten. Ich glaube, es ist keineswegs ausgeschlossen, dass wir es schaffen, auf 50 Prozent geförderten Wohnraum zu kommen. Zumal die Zeichen eindeutig sind, dass der Bund die Fördermittel für den sozialen Wohnungsbau deutlich erhöhen wird, das muss kommen.

„Wir sind eine Sportstadt“

chilli: Braucht man das überhaupt? Das wären 3000 Sozialwohnungen. Baut die Stadt im Dietenbach Weingarten reloaded?

Horn: Wir reden über sozial geförderten Wohnraum für Polizisten, Feuerwehrleute, für städtische Mitarbeiter, für die Verkäuferinnen und Verkäufer in der Kajo, für Einzelhändler, für Handwerker. Genau für die Personen brauchen wir Wohnraum. Davon gibt es viel mehr als 50 Prozent in der Gesellschaft. Locker 70 Prozent. Deshalb benötigen wir mindestens 50 Prozent bezahlbaren Wohnraum in diesem Stadtteil.

chilli: Wird das Rathaus selbst Mittel dafür bereitstellen?

Horn: Mittelfristig kann ich mir das vorstellen. Jetzt in diesem Doppelhaushalt nicht. Ich werde das Thema bezahlbaren Wohnraum zur Chefsache machen und bei mir eine Stabstelle einrichten. Das ist eine Mammutaufgabe, hier gibt es keine schnellen Lösungen. Das ist mitunter das Thema, bei dem ich am meisten enttäuschen werde. Schnelle und günstige Lösungen gibt es nicht. Ich werde aber mit voller Kraft dafür kämpfen.

chilli: Bekommt Freiburg eine neue Eishalle?

Horn: Dafür setze ich mich ein. Wir sind eine Sportstadt, auch eine Wintersportstadt. Entgegen mancher Gerüchte gibt es aber noch keinen fixen Standort, geschweige denn ein Finanzierungsmodell. Spätestens im nächsten Doppelhaushalt müssen wir da konkret werden.

chilli: Auch wenn die Stadt 15 Millionen Euro hinlegen muss?

Horn: Ich hoffe, dass die Stadt deutlich weniger hinlegen muss.

chilli: Sie haben einen neuen Politikstil angekündigt. Der ist spürbar. Geplant sind Bürgersprechstunden in den Stadtteilen?

Horn: Ja. Wir starten im September in Munzingen. Ich werde einmal im Monat von Stadtteil zu Stadtteil gehen und mich umhören. Niederschwellig. Nicht mit einer riesigen Entourage, sondern um bewusst in den Austausch einzusteigen. Nach Munzingen werden wir alphabetisch rotieren.

chilli: Zu Ihrem neuen Stil zählt „Social“ Media. Warum?

Horn: Um möglichst viele Menschen zu erreichen. Ich nutze das als niederschwelliges Kommunikationsangebot. Für viele ist es entspannter, über Instagram oder Facebook eine Frage zu schreiben als per E-Mail oder Brief.

chilli: Das eskaliert auch gerne mal. Wie unlängst bei der Flüchtlingsdebatte.

„Ich will, dass wir uns als Stadt beschenken“

Horn: Ja, das ist mir bewusst. Manche Debatten werden emotionaler geführt auf Facebook. Doch selbst in dieser Debatte waren viele Rückmeldungen enorm positiv. Natürlich setze ich mich auch mit den Kritikern auseinander. Ich will beide Seiten kennenlernen, das ist mein Demokratieverständnis.

chilli: Posten Sie alles selbst?

Horn: Ja, meine Social-Media-Managerin liest die Posts aber gegen. Sie hilft mir beim Hochladen und Fotoeinstellen. Jeder Post wird von mir freigegeben.

Idee für Stadtjubiläum: Martin Horn will ein autofreies Wochenende auf der B31.

chilli: Freiburg sucht Ideen fürs Stadtjubiläum. Haben Sie eine?

Horn: Ja. Ich will, dass wir uns selbst als Stadt beschenken. Gerade auch im Bereich junge Stadt. Beschenken heißt, dass wir etwas bauen, das längerfristig bleibt und die Stadt verschönert. Ich werde auch dafür kämpfen, dass wir ein auto­freies Wochenende kriegen auf der B31.

chilli: Sie haben derzeit gar kein Stimmrecht im Gemeinderat, weil ein vermutlich völlig aussichtsloses Verfahren wegen der Wahl läuft. Inwiefern behindert Sie das?

Horn: Gar nicht, außer dass aktuell im Gemeinderat optisch nicht ersichtlich ist, ob ich dafür oder dagegen stimmen würde. Übrigens ist im November die Verhandlung, dann sehen wir weiter.

chilli: Herr Horn, vielen Dank für das Gespräch.

Fotos: © Till Neumann, Screenshot: Instagram