Putinisten drohen mit Vergeltung – Russen in Freiburg berichten von Anfeindungen und zerbrochenen Familien STADTGEPLAUDER | 17.04.2022 | Philip Thomas

„Nichts rein und nichts raus": Konten wurden gesperrt. „Nichts rein und nichts raus": Konten wurden gesperrt.

Seit dem Überfall auf die Ukraine verzeichnet die Polizei im Breisgau Beleidigungen sowie Sachbeschädigungen, die wohl im Zusammenhang mit dem Krieg in Osteuropa stehen. Dem chilli erzählen russischstämmige Freiburger ˛innen von wüsten Beschimpfungen, gesperrten Konten und Keilen, die der Kreml durch ihre Familien treibt.

Am 24. Februar, dem Tag des russischen Überfalls auf die Ukraine, standen die Telefone an der Freiburger Stadtstraße nicht mehr still. „Der Angriffskrieg hat unsere Arbeit auf den Prüfstand gestellt“, sagt Elisabeth Cheauré, Vorsitzende von Zwetajewa – Zentrum für russische Kultur an der Universität Freiburg. „Wir haben unser Programm fundamental umgebaut“, so die Professorin.

Der von russischen Finanzmitteln unabhängige Verein macht sich nun mit Veranstaltungen für Geflüchtete aus der Ukraine stark und veranstaltet eine Vortragsreihe zum „anderen Russland“. Zugleich warnt das Zentrum vor Kollektivschuld und Sippenhaft von russischen Mitbürger·innen.

Da hilft es nicht, dass Ukraine-Botschafter Andrij Melnyk in einem aktuellen Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung „alle Russen“ zu Feinden erklärt. Denn unter die Hilfsbereitschaft in Deutschland mischt sich Hass: Das Bundeskriminalamt registriert jede Woche rund 200 „anti-russisch“ motivierte Straftaten. Darunter Beleidigungen, Drohungen und Sachbeschädigungen.

Konkrete Zahlen liegen der Polizei in Freiburg noch nicht vor, die Beamten berichten jedoch Ähnliches für den Breisgau: „Bei uns werden vereinzelt Beleidigungen angezeigt, auch Sachbeschädigungen, die möglicherweise im Bezug zur Tatsache stehen, dass Krieg ist“, so Sprecher Stefan Kraus. Er vermutet zudem, dass in diesem Bereich vieles nicht angezeigt wird.

die Russin Irina Friedemann.

Verurteilt den Krieg in der Ukraine: die Russin Irina Friedemann.

Irina Friedemann ist Teil dieser Dunkelziffer. Seitdem die Russin sich online gegen den Krieg ausgesprochen hat, wird sie bedroht und beleidigt. „Putinisten drohen mir mit Vergeltung. Sie sagen, ich werde büßen“, sagt die IT-Consultin in ihrer Freiburger Wohnung. Die Anfeindungen über Social Media zielen darauf ab, dass die 55-Jährige ukrainischen Geflüchteten Arbeitsplätze vermitteln möchte und über einen Verein Medikamente nach Odessa und Poltawa bringt. Den Profilen nach zu urteilen, stammen die Absender sowohl aus Russland als auch Deutschland. Es sind eine Menge: „Nach 25 Nachrichten habe ich aufgehört, die Beschimpfungen zu zählen.“

Der Krieg in der Ukraine polarisiert russische Bürger·innen und Russlanddeutsche in Freiburg. Grund ist die Desinformationskampagne aus Moskau. „Viele schauen hier ausschließlich russisches Staatsfernsehen“, heißt es hinter vorgehaltener Hand aus der russischen Gemeinschaft. Zwar ist beispielsweise der Kreml-nahe Sender RT, früher Russia Today, in Deutschland seit dem 2. März gesperrt. Mit vergleichsweise geringem technischen Aufwand ist die Propagandaplattform sowie andere Staatssender jedoch noch online abrufbar.

Die Kriegsverbrechen in der Ukraine werden dort als Rettungsaktion verkauft: „Das ist wahnsinnig gut gemacht. Man muss wirklich aufpassen, nicht zu glauben, was dort alles behauptet wird“, sagt die Frau, die öffentlich anonym bleiben möchte. Längst nicht jede·r schenke dem Glauben. Aber: „Das ist wie ein Keil. In Freiburg brechen deswegen Familien auseinander.“

Wie viel russisches Staatsfernsehen wird in Freiburg geguckt? Schriftliche Fragen auf Kyrillisch an Kunden zweier russischer Lebensmittelgeschäfte bleiben bis zum Redaktionsschluss unbeantwortet. Irina Katz kennt die Problematik. Die Vorsitzende der Israelitischen Gemeinde in Freiburg sagt: „Das sind meistens Menschen, die schlecht integriert sind.“ Von Anfeindungen im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine habe sie in ihrer Gemeinde mit rund 700 Mitgliedern, die zu großen Teilen Wurzeln in der ehemaligen UdSSR haben, jedoch nicht gehört.

Katsiaryna Nestserava aus Belarus

Verurteilt den Krieg in der Ukraine: Katsiaryna Nestserava aus Belarus.

Katsiaryna Nestserava wurde Opfer einer Kollektivstrafe anderer Art. „Ich habe Familie in Russland, der Ukraine und Belarus und stand von dem Angriff noch unter Schock. Dann wurde mir mitgeteilt, dass mein Konto gesperrt wird“, sagt die Weißrussin, die seit zehn Jahren in Freiburg lebt und derzeit als Dolmetscherin Geflüchtete aus den Kriegsgebieten betreut. Letztlich trat die Sperre nicht in Kraft, weil Nestseravas Einzahlungen gemäß EU-Verordnung den Betrag von 100.000 Euro nicht übersteigen. Die Maßnahme kann sie nachvollziehen, jedoch nicht in dieser Form: „Ich bin keine Oligarchin.“

Friedemanns deutsche Konten waren drei Wochen gesperrt. „Es ging nichts rein und nichts raus“, sagt sie. Geld nach Russland senden könne sie nach wie vor nicht – und damit das Zimmer ihrer pflegebedürftigen Mutter bezahlen. Dessen Miete sei noch drei Monate gedeckt. Einreisen ist auch keine Option: Für sogenannte „falsche“ Informationen über den Krieg in der Ukraine drohen Friedemann in ihrem Heimatland bis zu 15 Jahre Haft.

Putins Krieg trifft auch ihre Familie: „Wahrscheinlich sehe ich meine Mama nie wieder.“