Rathaus lässt die Luft raus: Fuß- und Radentscheid für ungültig erklärt STADTGEPLAUDER | 23.09.2020 | Lars Bargmann & Philip Thomas
Die Stadtspitze stuft die beiden Bürgerbegehren zum Fuß- und Radentscheid in Freiburg „nach eingehender Prüfung als rechtlich unzulässig“ ein. Die Forderungen seien zu teuer, unpräzise und unrealistisch. Der Beschluss habe keine politischen, sondern ausschließlich juristische Gründe.
„Wir sind keine Gegner, sondern Verbündete in der Sache. Die juristische Einstufung soll uns nicht vom Dialog und einer konkreten Kooperation abhalten“, beschwichtigt Freiburgs Oberbürgermeister Martin Horn in einer entsprechenden Mitteilung aus dem Rathaus, worin der Freiburger Fuß- und Radentscheid für ungültig erklärt wird.
Laut dem Rechtsamt der Stadtverwaltung sei der Entscheid nicht konkret genug formuliert. So sei nicht ausreichend erkennbar, auf welchen Straßen im Stadtgebiet sich die Forderungen des Bündnisses beziehen. Bei Formulierungen, wie „bessere Übersicht für Radfahrende“ oder „soweit möglich werden Straßenbäume gepflanzt“ fehle es dem Amt an notwendiger Genauigkeit.
Die Juristen bewerten den Fuß- und Radentscheid zudem als „objektiv unmögliche Maßnahme“. Die verkehrspolitischen Ziele gingen immerhin mit großen Planungsmaßnahmen einher. „Einem solchen Verfahren kann nicht durch einen Bürgerentscheid vorgegriffen werden“, heißt es in der Mittelung. Die Pläne seien außerdem zu teuer: „Die angegebenen Kosten werden von der Verwaltung als zu niedrig bewertet.“ Die Stadtverwaltung will dem Gemeinderat nun eine Beschlussvorlage zum weiteren Vorgehen mit dem Randentscheid vorlegen.
Im Gemeinderat stößt die Entscheidung der Stadtverwaltung auf Unverständnis: „In den letzten Jahrzehnten wurde die Stadt, besonders die Verkehrswege, autogerecht geplant“, so Monika Stein, Fraktionsvorsitzende von Eine Stadt für Alle. Simon Sumbert, Fraktionsvorsitzender der JUPI-Fraktion ergänzt: „Wir sind enttäuscht vom Vorgehen der Stadtverwaltung. Einer erfolgreichen Initiative eine Woche vor Abgabe mitzuteilen, dass deren Anliegen nicht rechtens sei zeugt von wenig Respekt vor bürgerschaftlichem Engagement.“
Die Organisatoren zeigen sich von der Einschätzung aus dem Rathaus indes irritiert. Schon vor Beginn der Unterschriftenaktion habe sich das Bündnis von eigenen Anwälten beraten lassen: „Unsere juristische Prüfung hat ergeben, dass die beiden Begehren den rechtlichen Anforderungen eines Bürgerbegehrens entsprechen.“
Die Unterschriftenaktion solle daher wie geplant weiterlaufen. 25.000 Signaturen seien bisher zusammengekommen. „Das ist schon jetzt ein starkes politisches Signal an die Entscheidungsträger“, heißt es in einer Mitteilung der Fahrradfans, die nun mit der Stadtspitze über die nächsten Schritte in Verhandlungen treten wollen.
Bereits am 18. August hatte die chilli-Redaktion über das Für und Wider des Freiburger Fuß- und Radentscheids diskutiert:
Bis zum 29. September sammelt ein überparteiliches Bündnis Unterschriften für den Freiburger Fuß- und Radentscheid. Kommen 12.000 Signaturen zusammen, landet das Bürgerbegehren am 10. November im Gemeinderat.
Gefordert werden bis 2025 breitere Wege für Fußgänger und Radfahrer, verkehrsberuhigte Bereiche mit einer Gesamtfläche von 3000 Quadratmetern, 1000 neue Parkplätze für Velos, ein durchgängiges Radnetz sowie ein Innenstadtring von der Rempartstraße über den Schlossbergring bis zur Bismarckallee.
Eine runde Sache, findet Fahrradfan und chilli-Redakteur Philip Thomas. Kollege Lars Bargmann hat beim Losen der Rollen das Contra gezogen. In der Redaktion war die einhellige Meinung: nicht ganz zu Unrecht.
Pro: „Es ist Zeit, umzusatteln“
Fahrradfahren ist gesund, günstig, geräuscharm und für die Zukunft dieses Planeten alternativlos. Und Freiburg ist das optimale Pflaster für Fahrräder und die Verkehrswende. Durch die Stadt sind es mit dem Bike nur 20 Minuten. Auch in der Rushhour. So gesehen ist der Radentscheid sogar im Interesse jedes Autohalters. Jedes Freiburger Fahrrad bedeutet für Verbrenner weniger Stau und mehr Parkplatz.
Es geht schließlich nicht um die Abschaffung des Automobils. Ein Auto ist meistens praktisch, manchmal unerlässlich und meinetwegen sogar cool. Nur leider kostet „cool“ an der Ampel 65.000 Euro. Ein Zweirad in der Kategorie gibt’s schon für einen Bruchteil der Kohle. Als Radfahrer ebenfalls nicht sexy: An einem verregneten Morgen nass im Büro ankommen. Wie gut, dass es auch hier, in einer der sonnigsten Städte in Deutschland, immer trockener wird. Auch das verdanken wir dem Automobil.
Aber im Ernst: Seit Jahren walzen immer größere Blechlawinen durch Freiburg. 2011 waren 106.000 Verbrenner gemeldet. 2018 schon 120.000. Und: Die Karren werden immer größer. Gleichzeitig werden Flächen rar und Ressourcen knapp. Und deswegen soll in der selbsternannten Green City nun kein Platz für ein paar Radwege sein?
Immerhin lenken viele Freiburger gegen den Trend: Jeder dritte Weg in der Stadt wird per Rad zurückgelegt, und die Strecken werden durch den Siegeszug der E-Bikes länger. 2012 galoppierten noch 1,8 Millionen Drahtesel über die „blaue“ Wiwilíbrücke. 2018 waren es fast 3,8 Millionen. Der blaue Bogen war bis 1996 für Kraftfahrzeuge übrigens befahrbar. Daran scheint sich nur niemand zu erinnern. Schließlich werden Autos dort heute auch nicht vermisst.
Contra: „Haben die ein Rad ab?“
Ich mach mir die Welt widewide wie sie mir gefällt, trällerte einst Pipi Langstrumpf. Die Welt ein bisschen besser machen will nun die Initiative Fuß- und Radentscheid Freiburg. Da wird in den sogenannten sozialen Medien kräftig getrommelt, 12.000 Unterschriften sind für die gewünschten Bürgerbegehren nötig: eins für einen fahrrad- und fußgängerfreundlichen Innenstadtring und gleich ein zweites für die Gesamtstadt.
Ich tippe auf der Website der Initiative auf Vision: „Wo sich früher Blechlawinen durch die Stadt wälzten, spielen jetzt Kinder; wo früher Parkplätze und Asphaltflächen das Bild dominierten, ist ein urbanes Zusammenleben neuer Qualität entstanden mit mehr Raum für Mensch und Natur.“ Mir wird ganz warm ums Herz. Oder: „Nahezu alle Strecken werden zu Fuß, mit dem Rad oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurückgelegt. Die verkehrsbedingten CO2-Emissionen sind auf ein Minimum gesunken.“ Hach. Nicht, dass ich nicht sehr gern per Pedes unterwegs wäre. Und ein neues Rad habe ich mir auch gerade gekauft. Aber einen Bürgerentscheid anzuzetteln, der hunderte Stunden im dünn besetzten Rathaus abgreift und fünf- oder sechsstellige Summen verschlingt? Keine Welt, die mir gefällt.
Das Garten- und Tiefbauamt ist beim Ausbau des Radnetzes zuletzt nicht faul gewesen. Der Radschnellweg FR 1 wurde gebaut, der FR 2 weitergebaut (allein an der Hartmannstraße fielen dafür 90 Auto-Stellplätze weg), der FR3 soll Zähringen bald mit Vauban verbinden. Im Freiburger Radkonzept 2020 stehen 170 Einzelvorhaben. Nun noch zu fordern, dass das „Radhaus“ dem Auto jedes Jahr 3000 Quadratmeter wegnehmen oder bis 2025 zehn Kilometer Radwege auf 2,5 Meter verbreitern soll (wenn das mal keine Bäume kostet), ist ein bisschen viel Getöse. Das Telefon klingelt. Ein Handwerker ist dran, ja, er kann vorm Haus parken.
Im Netz
- Die Webseite des Fuß- und Radentscheids
Fotos: © iStock/vgajic, Johannes Meder, ns