Razzia bei SC und EHC – Warum der Staatsanwalt bei den Vereinen ermittelt STADTGEPLAUDER | 13.12.2024 | Lars Bargmann
![Europa Park Stadion](https://www.chilli-freiburg.de/wp-content/plugins/lazy-load/images/1x1.trans.gif)
Europa-Park-Stadion in Freiburg, 19. November. Es ist frisch im Rund, drei Ordner bauen auf der Südtribüne die Sitze ab, die wegen des Länderspiels gegen Bosnien-Herzegowina installiert worden waren. Gegen 10 Uhr strömen Einsatzkräfte der Finanzkontrolle Schwarzarbeit des Hauptzollamts Lörrach herein. Am Ende sind es Augenzeugenberichten zufolge bis zu 40.
Die Ermittlungen führt die Freiburger Staatsanwaltschaft, die am Tag nach der Razzia auf chilli-Anfrage bestätigt, dass sie ein „Ermittlungsverfahren wegen des Tatvorwurfs des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt“ angestrengt hat. Den Durchsuchungsbeschluss hatte das Freiburger Amtsgericht auf Verlangen der Staatsanwaltschaft am 14. Oktober erlassen. Es seien „mehrere Objekte in Freiburg und Umgebung durchsucht“ worden. Weitere Informationen könnten „derzeit“ nicht mitgeteilt werden. Das Hauptzollamt teilte auf Anfrage lediglich mit, dass Einsatzkräfte der Finanzkontrolle Schwarzarbeit am Dienstag im Raum Freiburg in einer Prüfung waren. „Aus Gründen des Sozialdatengeheimnisses“ könne die Behörde jedoch keine Details mitteilen.
Details berichtete der Redaktion ein Augenzeuge. „Gegen 10 Uhr kamen mehrere Gruppen Menschen ins Stadion, wir waren dabei, Stühle abzubauen und dachten erst, es wäre eine Stadionführung“, erzählt Peter T. Die Einsatzkräfte waren in Zivil unterwegs. Als T. von einem angesprochen wurde, sah er eine Dienstwaffe. Er und seine Kollegen mussten ihre Ausweise abgeben. „Die bekommen sie dann nach dem Mittag wieder“, sagte der Ermittler.
Vorm Stadion standen drei Busse. Auf einem klebt ein Zoll-Logo, die anderen sind nicht als Behördenfahrzeuge zu erkennen. In einem der Busse sitzt nach der Mittagspause T., zwei weitere Ordner sitzen in den beiden anderen Bussen. Der Ermittler, so T., teilt ihm mit, dass er Zeuge in einem Ermittlungsverfahren gegen einen Mitarbeiter des Ordnungsdiensts sowie gegen Funktionäre sei. „Da habe ich erst mal geschluckt.“
Die Namen, die T. genannt hatte, schickt das chilli der Staatsanwaltschaft. Diese, heißt es von dort, „können nicht bestätigt werden“. T. beantwortete ein Dutzend Fragen. Etwa, wie er sich zur Arbeit an- und wieder abmeldet. Was er verdient. Wie er bezahlt wird. Wer ihm wie die Aufträge gibt.
T. ist in einer WhatsApp-Gruppe. Dort wird abgesprochen, wer wann wo gebraucht wird. Wenn er zum Dienst kommt, checkt er sich im Ordnerbüro im Stadion mit einer Karte elektronisch ein und wenn er fertig ist wieder aus. Im Internet kann er nachschauen, wie viele Stunden er diesen Monat gearbeitet hat. Das Geld überweist der SC auf sein Konto. So weit, so unspektakulär. Und wenn es bei jedem der über 600 Ordner jederzeit so laufen würde, wäre der Einsatz der Zollfahnder tatsächlich kaum zu rechtfertigen.
Andreas A. saß am 19. November in einem der anderen Zoll-Busse. „Das waren so viele Fragen. Ob ich auch im Dreisam-Stadion arbeite, ob ich den Chef vom Ordnungsdienst kenne, wann ich heute angefangen habe, wie ich mein Geld kriege, in welcher WhatsApp-Gruppe ich bin, sogar wie viele Kinder ich habe.“ Der Ermittler habe ihm gesagt, er sei Zeuge in einem Verfahren. „Ich habe zig Mal gefragt, in was für einem Verfahren, aber das wollte er mir nicht sagen.“
Am Ende der Vernehmung sollte er das Protokoll unterschreiben. A. ist kein Muttersprachler. Er wollte das Protokoll mit nach Hause nehmen und in Ruhe lesen. Das gehe nicht, soll der Ermittler gesagt haben. „Dann unterschreibe ich auch nicht.“ So blieb das Schriftstück einfach ohne seine Unterschrift. A. arbeitet meist nur einmal im Monat als Ordner. Er ist Lkw-Fahrer. Mehr Zeit hat er nicht. Er bekomme seinen Lohn immer ordentlich überwiesen. „Im Europa-Park-Stadion läuft nichts falsch“, sagt er.
Ein anderer Insider (Helmut H.) war zwölf Jahre lang Ordner beim SC. Er erzählt, dass es schon seit Jahren Unregelmäßigkeiten bei der ordnungsgemäßen Erfassung von Arbeitsstunden und auch bei der „kreativen“ Bezahlung von Ordnern gäbe. Es gäbe ein Strohmannsystem. Zuweilen werde auch schwarz bezahlt. Das würde er auch unter Eid vor Gericht schwören. Deswegen habe er den SC beim Zoll angezeigt. Das war im vergangenen Juli. Keiner der Informanten gab gegenüber dem chilli an, jemals Schwarzgeld erhalten zu haben.
Es gibt einen zweiten ehemaligen Ordner, der – nachdem sein Vertrag nicht verlängert worden war – die Sache mit der Anzeige maßgeblich ins Rollen gebracht hatte. Der aber möchte nicht mit dem chilli sprechen. Von ihm aber soll es eine WhatsApp an einen amtierenden leitenden Ordner knapp vier Wochen vor der Durchsuchung geben. Inhalt: „Jetzt wird es schmutzig.“ Überprüfen lässt sich das nicht.
Ist der SC nur die Bühne?
Für den SC ist klar, dass der Verein nur die große Bühne für eine „Privatfehde zwischen einem aktuellen Mitarbeitenden im Ordnerbereich und zwei vormaligen dort Mitarbeitenden“ ist. Gegen andere Personen aus dem Verein seien „keine Vorwürfe erhoben“ worden. Der SC sei „lediglich aufgrund einer sogenannten Drittdurchsuchung im Bereich der Ordnerräumlichkeiten an dem Verfahren beteiligt“.
Ein weiterer Ordner, schütteres Haar, schwarze Arbeitshose, blaue Jacke kommt in die Redaktion. Er, nennen wir ihn Robert, arbeitet seit 15 Jahren als Ordner beim Sport-Club. Bei ihm sei in Sachen Stunden und Bezahlung immer alles ordnungsgemäß gelaufen. Er hat zwar schon einen Fulltime-Job, aber wenn irgendwie möglich, macht er den SC-Job zusätzlich. Er kennt das Team. Er macht den Job gern. „Manche arbeiten aber brutal viel, auf Minijob-Basis geht das sicher nicht.“ Es sei „gängige Meinung im Team“, dass manche Ordner „auch mal so“ Geld bekommen.
Oder, das behaupten auch andere Informanten, dass es ein Netz von Strohfrauen und Strohmännern gäbe, auf deren Konten dann, wenn etwa Rentner oder Transfergeldempfänger oder 538-Euro-Jobber über ihre steuerfreien Grenzen kämen, das Geld überwiesen werde. Und von dort dann in bar weitergereicht würde.
Warum die Staatsanwaltschaft wegen Vorenthaltens und Veruntreuung von Arbeitsentgelten ermittelt, dies aber gar nicht gegen den Arbeitgeber SC Freiburg, der diese Entgelte und Sozialversicherungsbeiträge ja zahlt, dazu macht die Pressestelle der Staatsanwaltschaft keine weiteren Angaben. Der SC weist darauf hin, dass erst im Oktober der Prüfbescheid der Deutschen Rentenversicherung für den Zeitraum Januar 2020 bis Dezember 2023 eingegangen ist. Ohne jede Beanstandung.
Die Staatsanwaltschaft ermittelt aktuell in gleicher Sache auch im Umfeld des EHC Freiburg. Auch dort wurden am 19. November in der Echte-Helden-Arena die Geschäftsräume durchsucht. Die Ermittler nahmen Akten mit. Der EHC-Vorstand um Werner Karlin und Marc Esslinger hat hernach über eine renommierte Freiburger Anwaltskanzlei Akteneinsicht eingefordert. Die liegt nun vor. EHC-Präsident Michael Müller will sich zu dem Vorgang aber „gar nicht mehr äußern“. Und auch Esslinger will abwarten, was letztlich dabei rauskommt.
Dem Vernehmen nach sollen Ordner, die bei einem Heimspiel des SC ihren Dienst antreten, dann auch mal flugs zum parallel spielenden EHC abkommandiert worden sein. Träfe das zu, wäre der SC das Opfer, wenn er die Stunden aufgeschrieben bekommt und dann auch bezahlt. Den Fall aber gab es in der bisherigen Saison gar nicht. Und in der vergangenen nur zwei Mal. Allerdings gibt es bei den Ordnerdiensten personelle Überschneidungen.
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Europa-Park-Stadion: Mehrere Ordner behaupten unabhängig voneinander, dass die Dienstzeiten nicht immer ordnungsgemäß abgerechnet werden.
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Echte-Helden-Arena: Auch der EHC Freiburg ist ins Visier der Ermittler geraten.
Nicht nur in den Vereinen, auch in der Ordnerorganisation gibt es Hierarchien. Da geht es offenbar zuweilen durchaus rustikal zu. „Solange keiner muckt, läuft alles rund“, sagt Robert. Wenn aber einer Kritik übt, sei es an der Einsatzplanung oder anderen Dingen, bekomme man schnell Druck zu spüren. Kritikfähigkeit sei bei den Chefs im Team nicht weit verbreitet. „Ich stehe wohl auch bald auf der Abschussliste.“ Im Ordnerteam, erzählt H., hätten viele Angst vorm Chef. Denn: „Wer nicht hörig ist, wird gekündigt.“
Gegen 17 Uhr am 19. November packen die Ermittler ihre Sachen und rücken aus dem Europa-Park-Stadion ab. Beobachter schildern, dass diese vorher im Ordnerbüro vor Computern und Laptops saßen. Dass sie auch mehrere Stunden in der Geschäftsstelle waren. Ob sie Computer oder Datenträger mitgenommen haben, ist nicht bekannt. Wohl aber, dass sie Aktenordner mitnahmen. Durchsucht wurden zudem weitere SC-Standorte sowie Geschäftsräume eines Mitarbeiters und auch dessen Privatwohnung im Umland. Eine Familienangehörige hat das später im Stadion erzählt.
Als T. am Montag nach dem Länderspiel zum Stadion kam, hat er sich nicht eingeloggt. Er solle zum Parkplatz P3 gehen, dort notierte ein Abschnittsleiter des Ordnungsdiensts, wann er angefangen hat – auf einem Zettel. So war es auch am Dienstag. Die Zettel haben die Zollfahnder mitgenommen.
Am 5. Dezember schreibt die Staatsanwaltschaft auf chilli-Anfrage, dass aufgrund der laufenden Ermittlungen keine Zwischenstände mitgeteilt werden können. SC-Verantwortliche hatten bezweifelt, dass überhaupt ein Anfangsverdacht vorliege, der die Razzia rechtfertigen könnte. Der liegt nach Auskunft der Staatsanwalt durchaus vor. Das hat das Amtsgericht auch geprüft, bevor der Durchsuchungsbeschluss erteilt wurde.
Info:
Am 22. November um 20 Uhr hatte das chilli auf seiner Internetseite zeitgleich mit der Badischen Zeitung als erstes Medium über die Vorgänge berichtet. Mehrere öffentlich-rechtliche und private Medien griffen die Geschichte auf, nicht zuletzt die BILD-Zeitung.