Roboterhand mit Gefühl: Forscher entwickeln Hightech-Protesen STADTGEPLAUDER | 05.11.2019 | Till Neumann

Life Hand Test

Können Roboterhände fühlen? Ja, zeigt die Forschung von Thomas Stieglitz. Der Freiburger Mikrosystemtechniker entwickelt Prothesen, die Nervenimpulse übertragen. Sie werden mit Gedanken gesteuert. Jetzt steht das Team des 53-Jährigen im internationalen Rampenlicht.

„Ich habe im Leben nicht daran geglaubt, das mal zu schaffen“, sagt Thomas Stieglitz. Vor ihm liegt das Cover des Magazins „Nature Medicine“. Auf Seite eins sieht man einen Mann mit Beinprothese. Soll heißen: Das Forschungsprojekt hat’s auf die Titelseite eines der renommiertesten Fachmagazine der Welt geschafft. „Das ist wie ein WM-Finale“, schwärmt Stieglitz in seinem Büro an der Freiburger Messe.

Marktreif ist die Forschung dennoch nicht. Realistisch sei eine Zulassung der Hightech-Prothesen in fünf oder zehn Jahren. Größter Knackpunkt ist ein Stecker, der die Geräte mit Strom versorgt. „Er muss klein, rostfrei und wasserdicht sein“, erklärt der Forscher. Schließlich sei Salzwasser im Körper, das einen Kurzschluss auslösen könne. Den Stecker hinzukriegen sei „verdammt schwierig“.

Seit mehr als zehn Jahren forscht Stieglitz zum Thema. Er ist Teil einer internationalen Forschungsgruppe, die „fühlende Prothesen“ entwickelt. Kollegen sitzen in Italien, Spanien oder der Schweiz. Der erste Praxistest startete 2012 in Rom. Ein Patient mit amputiertem Unterarm bekam für 30 Tage eine Handprothese, die auch in Science-Fiction-Streifen eine gute Figur machen würde. Bilder des Versuchs zeigen, wie der Mann eine Orange oder einen Wasserbecher greift. „Das Foto ging um die Welt“, berichtet Stieglitz.

Thomas Stieglitz

Forscher: Thomas Stieglitz

Steuern kann der Patient die Aktionen mit Gedanken. Auch Gefühl soll die künstliche Hand bekommen. Denn das ist entscheidend, um richtig greifen zu können. Dafür wird eine winzige Elektrode mit Nadel und Faden durch den Nerv durchgefädelt. Sensorisches Feedback nennt sich die Methode. Die Maschine zum Betreiben der Prothese war anfangs jedoch riesig. Beim Test in Belgrad etwa so groß wie ein Schrank. Spazieren gehen damit? Unmöglich.

Im zweiten Anlauf konnten drei Patienten in Belgrad Beinprothesen testen. „Sie wurden oberhalb des Knies angebracht“, berichtet Stieglitz. Die damit verbundenen Geräte passten bereits in einen Rucksack. Mobilität war möglich.

Ein weiteres technisches Problem sind Kabel. Bei den bisherigen Tests schauten vier oder fünf davon aus der Haut. „Das will keiner haben“, sagt Stieglitz. Eine drahtlose Übertragung wäre ideal, ein induktives System soll entwickelt werden. Spruchreif ist dazu noch nichts.

Trotz der Kabel berichtet Stieglitz von positiven Reaktionen. „Die Patienten waren recht zufrieden mit den Prothesen – und enttäuscht, sie wieder extransplantiert zu bekommen.“ Zudem könnten die Geräte das soziale Verhalten der Personen positiv beeinflussen, wie im Nature Magazin zu lesen ist. Menschen mit Amputationen lebten oft zurückgezogen.

Ziel ist, die zu tragenden Geräte so klein zu machen, dass sie in eine Gürteltasche passen. Die Kosten pro Patient belaufen sich auf geschätzt etwa 70.000 Euro. Eine große Summe, die sich aber rechne, sagt der Freiburger.

Parallel zu seinem Team tüfteln auch Experten in Skandinavien und den USA an einer Lösung. „Die Kollegen in Cleveland sind mit ihrem Paper oft zwei Wochen früher fertig als wir“, sagt Stieglitz. Aufs Nature-Cover geschafft hat sein Team es trotzdem.

Fotos: © Uni Prothese – LifeHand 2 – Project Tests, tln