Sonnenblumen statt Glyphosat: Rathaus und Landwirte starten einzigartiges Projekt STADTGEPLAUDER | 30.08.2019 | Till Neumann

Weniger Pflanzenschutzmittel, mehr Artenvielfalt. Mit dieser Idee haben sich zwei städtische Ämter und fünf Landwirte zusammengetan. In einem wohl deutschlandweit einzigartigen Projekt versuchen sie, ein Win-Win zu schaffen. Die Landwirte sagen: Wir stehen unter Druck.

Braungebrannt und tatkräftig streift Erwin Wagner durch ein Meer aus Sonnenblumen. „Ich unterstütze nicht gerne Spritzmittelkonzerne“, sagt der Landwirt aus Opfingen. Auch wenn es nicht immer ohne funktioniere, da, wo der 62-Jährige gerade ist, geht es. Sein knallgelbes Feld am Freiburger Stadtrand steht exemplarisch für einen Wandel, der nicht erst jetzt begonnen hat. Schon seit zwölf Jahren setze er neben traditioneller Landwirtschaft auch auf Blumenwiesen. Felder und Flächen, auf denen kein Pflanzenschutzmittel zum Einsatz kommt.

Seit Mai passiert das auch in Kooperation mit dem Rathaus. Gemeinsam mit dem Umweltschutzamt und dem Amt für Liegenschaften und Wohnungswesen haben fünf Landwirte vom Tuniberg das „Programm für mehr Biodiversität“ ins Leben gerufen. Ein Deal für die Umwelt. Er sieht vor: Jeder Landwirt, der von der Stadt gepachtete Flächen ohne Pflanzenschutzmittel bewirtschaftet, bekommt einen Rabatt von 50 Prozent der Pacht. 20 weitere Prozent gibt’s, wenn die Landwirte ihre Fläche mit dem richtigen Saatgut ökologisch aufwerten.

Also ein dickes finanzielles Plus? Nur bedingt, sagt Erwin Wagner. Wenn bei einer Fläche 200 Euro Pacht anfallen, mache das 100 Euro aus. Rund 400 fürs Einpflügen, Aussähen und Mulchen sowie der Kauf des Saatguts blieben weiterhin beim Landwirt. Soll heißen: Die Gesamtkosten von mindestens 600 Euro reduzierten sich um knapp 17 Prozent auf 500 Euro. „Das reißt nicht viel raus“, sagt Wagner.

Sinnvoll findet er die Kooperation dennoch. „Wir müssen reagieren“, sagt er zum Klimawandel. Auf seine Initiative hin habe es schon vor fünf Jahren einen runden Tisch gegeben, um auf Augenhöhe mit Kollegen, Politikern und der Stadtverwaltung zu sprechen. „Damals hat noch einer über den anderen geschimpft“, sagt Wagner, der auch das Hanf-Labyrinth in Freiburg-Opfingen betreibt.

Da blüht was: Ein Feld von Erwin Wagner in Freiburg-Opfingen, auf dem nicht gespritzt wird.

Der Wandel ist da, bestätigt er. „Früher hat man einfach gespritzt, heute nur noch nach Bedarf.“ Mindestens halbiert habe sich die Menge an Glyphosat und Co. in den vergangenen zehn Jahren in seinem Betrieb. Dennoch sieht er auch andere in der Pflicht: „Die Bevölkerung fragt sich, was die Landwirte für den Wandel machen. Ich frage zurück, was die Bevölkerung dafür tut.“

Auch Martin Linser ist Teil des Projekts. „Ein Win-Win muss es sein“, betont er. Schon seit vielen Jahren bearbeite er Flächen auch ohne Chemie. „Es wächst von Jahr zu Jahr“, sagt der 41-Jährige. Man könne aber nicht nur an Artenvielfalt denken: „Wir müssen schauen, was im Geldbeutel ist, sonst kann keiner davon leben.“ Werden aus Äckern Blumenwiesen, könne man nix ernten, habe also auch keinen Ertrag: „Wir sind kein Wohlfahrtsverein, der Marktdruck ist immens.“ Dennoch sei er gerne dabei. Ein Dienst an der Natur und Bevölkerung sei das. Rund zehn Prozent seiner Fläche seien bereits ökologisch bestellt.

Linser, Wagner und die zwei Ämter hoffen, dass das Programm wächst. Viele weitere der 86 Landwirte in Freiburg sollen dazukommen. Von den Grünen im Gemeinderat hat es einen Antrag gegeben, alle städtischen Äcker verpflichtend chemiefrei zu bewirtschaften. Er scheiterte. „Wir sind überzeugt, dass es nachhaltiger ist, die Pestizidreduktion kooperativ mit den Landwirten zu machen“, sagt Harald Schaich vom Umweltschutzamt. Eine Informationsoffensive zum Projekt soll im Herbst starten. Dann gehe es erst richtig los.

Das Vorhaben sieht Schaich als „klares Signal“. Er hofft, dass es auf private Eigentümer ausstrahlt. 14 von 140 Hektar bisher konventionell bewirtschaftete städtische Flächen macht das Programm bereits pestizidfrei. „Das ist kein Tropfen auf den heißen Stein“, so Schaich.

Das Ziel seines Teams: „Wir wollen den Großteil der Freiburger Landwirte in den nächsten Jahren dafür gewinnen.“ Bisher gebe es viele positive Rückmeldungen. Auch außerhalb der Stadt wecke das Projekt Interesse. Das hat seinen Grund: Seines Wissens gibt es keine andere deutsche Kommune, die so ein Anreizmodell probiert.

Bedrohte Natur

589 Hektar landwirtschaftliche Fläche verpachtet die Stadt. 75 Prozent davon sind bereits pestizidfrei. 380 Hektar sind Grünland, 70 Hektar Ackerland. 140 Hektar wurden bis Mai noch konventionell bewirtschaftet. Durch das neue Projekt sind rund 14 Hektar pflanzenschutzmittelfrei geworden. Bewirtschaftet werden sie von fünf Landwirten vom Tuniberg. Der Verzicht auf Pestizide soll Tieren und Pflanzen neue Räume bieten.

Laut Weltbiodiversitätsrat sind rund eine Million Arten in den kommenden Jahren vom Aussterben bedroht. Die Biomasse der Fluginsekten ist laut einer Studie im Wissenschaftsjournal Plos One in 27 Jahren in Deutschland um 75 Prozent zurückgegangen.

Fotos: © Till Neumann