Keine Attacke gegen den VGH – Stadt und SC akzeptieren vorerst Abendspielverbot Sport | 22.04.2021 | Lars Bargmann

Stadion Bald fertig: Die neue Arena des SC Freiburg wird am Ende mehr als 76,5 Millionen Euro kosten.

Das Freiburger Rathaus und der SC Freiburg werden vorerst keinen Nachtrag zum Bauantrag für die neue Arena am Flugplatz stellen. Damit gilt bis auf Weiteres das vom Verwaltungsgerichtshof in Mannheim (VGH) ausgesprochene Abend- und Sonntagmittag-Spielverbot im fast fertigen Stadion. „Wir sind nach eingehender Prüfung zu dem Schluss gekommen, erst einmal den Fortgang des Gerichtsverfahrens abzuwarten“, sagt Baubürgermeister Martin Haag auf Anfrage. Einen Änderungsantrag könne man zu einem späteren Zeitpunkt einspielen, „sofern es aus unserer Sicht zielführend erscheint“.

Der VGH hatte im vergangenen September in einem Eilverfahren einen Beschluss veröffentlicht, nach dem in der nagelneuen, „schön engen Hütte“ (SC-Coach Christian Streich) keine Bundesliga-Spiele nach 20 Uhr und am Sonntag zwischen 13 und 15 Uhr angepfiffen werden dürfen. Denn Bundesliga-Spiele seien in der Baugenehmigung „wahrscheinlich zu Unrecht als seltene Ereignisse im Sinne der Sportanlagenlärmschutzverordnung eingestuft worden“. Damit hatte der 3. Senat den sechs wegen Lärmbelastungen klagenden Anwohnern teilweise Recht gegeben. Pokal- und Europa-League-Spiele sind indes nicht betroffen, weil diese zweifelsohne seltene Ereignisse sind.

Das Freiburger Regierungspräsidium (RP), das Rathaus und auch der SC hatten sich – nach diplomatischen Dehnübungen – öffentlich „überrascht“ vom Urteil gezeigt. Nicht zuletzt, weil der VGH damit von oberverwaltungsgerichtlichen Entscheidungen in anderen Bundesländern abweicht. Seinerzeit hatte das RP dem Freiburger Stadtmagazin chilli mitgeteilt, es würde nun juristisch geprüft, ob durch eine Änderung der Baugenehmigung auch eine Änderung des Beschlusses erreichbar sei.

Diesen Konter haben die Verantwortlichen nun schon in der eigenen Hälfte abgebrochen und warten stattdessen auf die Entscheidung im Hauptverfahren, das immer noch beim Verwaltungsgericht in Freiburg anhängig ist und – nach einem personellen Wechsel auf dem Spielfeld – auch erst im zweiten Halbjahr wieder auf die Tagesordnung kommt. Wenn dieses Verfahren bis in die letzte Instanz ausgefochten wird, kann die Verlängerung auch zwei, drei Jahre dauern. So lange „werden wir die rechtlichen Rahmenbedingungen selbstverständlich einhalten“, sagt Haag.

Wie lange es noch dauert, bis die Arena endgültig fertig ist, ist derweil noch ungewiss. Der SC wird die aktuelle Runde im Schwarzwald-Stadion zu Ende spielen und hält nun ein Eröffnungsspiel im neuen zu Beginn der neuen Saison für „realistisch“. Aktuell wird im Hauptgebäude mit der neuen Geschäftsstelle, den Business-Bereichen, dem Fanshop und sportlichen Funktionsbereichen noch gewerkelt, etwa an der Elektrik oder der Haustechnik. Peu à peu übergibt der Totalunternehmer Köster aus Osnabrück aber auch einzelne Räume an den Verein, zuletzt etwa die des Ordnungsdienstes, die Polizeiwache, die Mannschaftskabinen oder auch die Ruheräume für die Profis.

Es werden harte Kämpfe um Nachträge ausgefochten

Ursprünglich wollte der SC schon zum Saisonbeginn 2019/2020 am Wolfsbuck spielen, dann ein Jahr später, sodann zur aktuellen Rückrunde, nun wird es wohl der August 2021. Die Verzögerungen nach dem Baustart hat hauptsächlich Köster zu verantworten, der es durch die Pandemie aber auch besonders schwer hatte, den Bauzeitenplan umzusetzen. Aber es gibt auch Sonderwünsche des Vereins, die Zeit kosten. Nach chilli-Informationen gab und gibt es hinter den Kulissen ein intensives Ringen um Nachträge, die zwar auf jeder Baustelle an der Tagesordnung sind, beim Stadionneubau aber längst siebenstellig sind. Allein ein Gewerk hat nach chilli-Informationen rund eine halbe Million Euro angemeldet. Auch planerisch soll nicht jede Leitung bis zu Ende gedacht worden sein. Wenn in der Ausschreibung eines Kiosks eine Frischwasserleitung nur bis zur Außenwand geführt wird, dann hört der Haustechniker auch dort genau auf. Dort aber braucht man das Wasser nicht. Es wird sicher bis in eine dritte oder vierte Halbzeit gehen, bis nach einem harten Kampf alle mehr oder weniger zufrieden nach Hause gehen.

Der SC möchte sich weder zu den finanziellen Details äußern noch zur Zusammenarbeit mit Köster. Die Mehrkosten dürfen jedenfalls nicht im Rathaus auflaufen, denn sonst würde das ganze Verfahren mit Bürgerentscheid und gemeinderätlich verabschiedeten Finanzierungskonzepten infrage gestellt. Auf der Habenseite kann der Sport-Club verbuchen, dass er mehr als 100 neue Sponsoren gewonnen hat und auch kräftige Mehrerlöse aus der Vermarktung der größeren Anzahl an Business-Seats. Einen Namenssponsor für die neue Arena gibt es indes auch heute noch nicht

11. Dezember 2012:
Der Freiburger Gemeinderat beschließt, dass drei Neubaustandorte für ein neues SC-Stadion geprüft werden sollen: Hettlinger, Hirschmatten und Flugplatz.

18. November 2014:
Nach jahrelangen Debatten fällt der Freiburger Gemeinderat einen Grundsatzbeschluss für ein neues Fußballstadion am Flugplatz.

Dezember 2014:
Der Gemeinderat berät über die Drucksache G-14/183. In der Anlage 3 ist das Finanzierungskonzept erklärt. Nach einer Kostenschätzung des Instituts für Sportstättenberatung (IFS) kostet das Stadion mit 35.000 Plätzen und zwei Nebenplätzen „maximal“ 70 Millionen Euro netto.

1. Februar 2015:
Beim fünften Bürgerentscheid in der Geschichte der Stadt stimmen 45.629 Wähler oder 58,2 Prozent für, 32.790 gegen ein neues Stadion für den SC. Die Wahlbeteiligung liegt bei 46,5 Prozent. Beim Bürgerentscheid gegen den hoch umstrittenen Verkauf der Freiburger Stadtbau GmbH waren es nicht einmal 40 Prozent. Der SC will das neue Rund 2019 einweihen.

Januar 2016:
Der Gemeinderat entscheidet über die Gründung einer „Stadion Freiburg Objektträger GmbH & Co. KG“. Die SFG wird das Stadion bauen und ist nach dessen Fertigstellung Eigentümerin und Verpächterin der Fußballarena.

April 2016:
Der Aufsichtsrat der SFG konstituiert sich, die neue Gesellschaft nimmt ihre Arbeit auf und bereitet die europaweite Ausschreibung für das Bieterverfahren mit Planung und Bau des Stadionprojekts aus einer Hand vor.

April 2017:
Das Stadion wird drei Millionen Euro teurer. Der SC erklärt, die Mehrkosten selbst zu tragen.

Juli 2017:
Die Arena wird noch einmal 3,5 Millionen Euro teurer. Die Preissteigerung gegenüber dem ersten Ansatz von 61 Millionen Euro (ohne die 9 Millionen teure Innenausstattung), liegt jetzt bei über zehn Prozent. Erneut übernimmt der SC die Kosten – muss er auch, schließlich hatten die Bürger beim Entscheid auch über den Finanzplan abgestimmt. Der SC glaubt weiterhin an eine Eröffnung zur Saison 2019/2020. Das Magazin Bauen & Wohnen hatte dies in einem Kommentar bereits im August 2016 als „sehr sportlich“ bezeichnet.

August 2017:
Vertreter des SC und der Stadtverwaltung stellen den Siegerentwurf für das neue Stadion vor. Es gewinnt der Totalunternehmer Köster GmbH aus Osnabrück, der den Entwurf von HPP Architekten GmbH aus Düsseldorf umsetzt.

23. Oktober 2017:
Das Regierungspräsidiums (RP) Stuttgart bestätigt die Einschätzung der Gesellschaft für Luftverkehrsforschung (GFL), dass ein sicheres Nebeneinander von Stadion und Flugbetrieb am Wolfsbuck möglich ist. Dies war von mehreren Seiten, auch von einem Mitarbeiter des Referats für Luftverkehr und Luftsicherheit im Regierungspräsidium, angezweifelt worden.

Ende Juli 2018:
Der Gemeinderat beschließt mit vier Gegenstimmen den Bebauungsplan.

September 2018:
Der Gemeinderat verabschiedet die nötige Änderung des Flächennutzungsplans.

November 2018:
Der Bebauungsplan tritt in Kraft, das Regierungspräsidium erteilt am 16. November die Baugenehmigung. Fünf Anwohnerinnen und ein Anwohner reichen gegen die Baugenehmigung beim VG Freiburg und gegen den Bebauungsplan beim VGH Mannheim Eilanträge ein.

März 2019:
Die Segelflieger ziehen ihre Klagen gegen das SC-Stadion auf dem Flugplatz zurück. Rathaus und Flieger hatten sich auf eine neue Start- und Landebahn geeinigt, die die bisherige ersetzt. Das RP Stuttgart hatte die Verlegung genehmigt. Das Verwaltungsgericht Freiburg lehnt im Eilverfahren einen Baustopp ab.

29. März 2019:
Die Grundsteinlegung mit mehr als 500 Gästen war vermutlich die größte in der Geschichte der Stadt Freiburg.

Mai 2019:
Das Verwaltungsgericht Freiburg lehnt in einem Eilverfahren die Anträge von fünf Anwohnerinnen und einem Anwohner gegen die Baugenehmigung ab. Die Arbeiten dürfen wie geplant weiterlaufen, aber auch das Hauptverfahren läuft weiter.

23. Oktober 2019 morgens:
Der Verwaltungsgerichtshof (VGH) Mannheim untersagt im anderen Eilverfahren, angestrengt von sechs Anwohnern, Fußballspiele am Abend nach 22 Uhr und Sonntagmittag zwischen 13 und 15 Uhr wegen des Lärmschutzes. Die Pressemitteilung verursacht national und international Aufsehen.

23. Oktober 2019 nachmittags:
Der VGH muss nach Zurufen aus Freiburg zurückrudern: Es bestehe die Möglichkeit eines Fehlers. Der dritte Senat hatte sich bei seiner Entscheidung nicht auf die aktuelle Verordnung zum Lärmschutz für Sportanlagen bezogen. Eine Blamage für den Senat.

Dezember 2019:
Die 34 Meter lange und 21 Tonnen schwere Brücke über die Suwonallee wird freigegeben.

Februar 2020:
Der Rohbau ist fertig. Noch immer glauben die Verantwortlichen, dass das Bauvorhaben bis zum August fertig sein wird. Baubürgermeister Martin Haag spricht am 12. Februar aber von einem, „extrem ambitionierten Zeitplan“. Der SC beantragt bei der DFL auch eine erneute Lizenz fürs Schwarzwaldstadion.

5. März 2020:
Das Richtfest wird gefeiert.

20. Mai 2020:
Der VGH gibt der Anhörungsrüge des Landes Baden-Württemberg zur Zulassung von Spielen im neuen SC-Stadion in vollem Umfang statt. Damit ist die Entscheidung vom 23. Oktober 2019 nichtig. Es wird neu entschieden.

15. September 2020:
Der VGH veröffentlicht einen Beschluss vom 20. August, nachdem im neuen Stadion trotzdem keine Bundesliga-Spiele ab 20 Uhr und am Sonntag zwischen 13 und 15 Uhr angepfiffen werden dürfen. Dieses Mal aber mit einer anderen Begründung: Bundesliga-Spiele seien „wahrscheinlich zu Unrecht als seltene Ereignisse im Sinne der Sportanlagenlärmschutzverordnung eingestuft worden“, so der VGH jetzt. Er erklärt den Beschluss statutengemäß erneut als unanfechtbar. Aus dem Freiburger RP heißt es diplomatisch, dass der VGH damit „überraschend von oberverwaltungsgerichtlichen Entscheidungen in anderen Bundesländern abweicht“. Die Juristen arbeiten weiter an dem Fall. Gegebenenfalls ist das Multi-Millionen-Dilemma durch einen Nachtrag zum Bauantrag zu heilen. Wenn Bundesliga-Spiele seltene Ereignisse sind, dürfen sie mehr Lärm machen. Das Hauptsachverfahren ist weiter am Verwaltungsgericht in Freiburg anhängig. Dort heißt es, die Sache werde im zweiten Quartal verhandelt. Landet der Rechtsstreit anschließend final beim Bundesverwaltungsgericht in Leipzig, gehen schnell zwei, drei Jahre ins Land. Bis dahin aber gilt das Verbot. Darauf will das RP nicht warten.

2. Oktober 2020:
Die Suwonallee wird nach 18 Monaten Bauzeit für den Verkehr freigegeben.

25. November 2020:
Der Rollrasen wird verlegt.

7. April 2021:
Baubürgermeister Martin Haag erklärt, dass Rathaus und SC vorerst keinen Nachtrag zum Bauantrag stellen: „Wir sind nach eingehender Prüfung zu dem Schluss gekommen, erst einmal den Fortgang des Gerichtsverfahrens abzuwarten.“ Damit gilt bis auf Weiteres das vom VGH ausgesprochene Abend- und Sonntagmittag-Spielverbot in der nagelneuen Arena. Fast 80 Millionen Euro an Investitionen für eine eingeschränkte Nutzbarkeit.

Die neue Arena in Zahlen
Kapazität: 34.700 Zuschauer
Sitzplätze: 22.300
Hospitality-Plätze: 2000, davon 200 in 20 Logen
Stehplätze (36 %): 12.400
Stehplätze Südtribüne: 8000
Rollstuhlplätze: 144
Parkplätze Pkw/Bus: 2100
Fahrradstellplätze: 3700
Offizielle Kosten Stadion: 76,5 Mio. Euro
Offizielle Kosten Infrastruktur: 50 Mio. Euro
Baubeginn: November 2018
Eigentümer/in: Stadion Freiburg Objektträger GmbH & Co. KG (SFG)
Betreiber: SC Freiburg

Foto: © Julia Rumbach