Kicken und Kunst: Das Swamp feiert 30. Geburtstag Sport | 14.10.2023 | Pascal Lienhard
Eine Legende und sein Revier: 28 Jahre hat Chico das Swamp geführt.Kultkneipe: Der Begriff wird inflationär verwendet. Doch für das Swamp an der Talstraße passt er wie das Bier auf den Deckel. In Freiburgs beliebter Schankstube gaben sich spätere Superstars die Drumsticks in die Hand, an der Theke bekamen sich der vor zwei Jahren verstorbene Besitzer Chico und der damalige SC-Trainer Volker Finke auch mal in die Haare. Jetzt stehen die Feierlichkeiten zum 30. Geburtstag ins Haus.
Es gibt allenfalls eine Handvoll Freiburger Kneipen, die so sehr mit einer Person verbunden sind: 28 Jahre war Carmelo Policicchio, besser bekannt als Chico, Herz und Gesicht des Swamp. Aufgewachsen in Hausach schuf er nach einem abgebrochenen Geschichtsstudium an der Talstraße ein Zuhause für Fußball- und Musikbegeisterte.
1. Halbzeit: Alternative Fußballkultur
Der Anpfiff war symbolisch: Als das Swamp im Frühsommer 1993 seine Tore öffnete, hatte der SC Freiburg um Trainer Volker Finke gerade den ersten Aufstieg in die Erste Bundesliga eingetütet. Von Anfang an spielte Fußball an der Talstraße eine zentrale Rolle. Rudi Raschke, späterer Pressesprecher des Sportclubs, besuchte die Kneipe schon kurz nach der Premiere. „Das Swamp war unser Treffpunkt für die spätere Gründung einer Fußballzeitschrift“, erinnert er sich. „Es sollte ein Fanzine sein, eines der lustigen Sorte.“ 1995 veröffentlichte Chico mit einem Kreis von zehn Personen die erste Nummer vom „Fanman“, verkauft wurde er im Stadion und in Kneipen. Später schrieb er für die offizielle Stadionzeitschrift „Heimspiel“, seine Kolumnen wurden auch in den Büchern „Worte kommen meist zu spät“ veröffentlicht. Mit seinem Wurst- und Getränkestand war er im Stadion ein bekanntes Gesicht, selbst Literaturnobelpreisträger Günter Grass soll dort gespeist haben.
Unter Fußballbegeisterten haben sich Chico und sein Swamp einen Legendenstatus erarbeitet. Für Stephan Flemming von der SC Freiburg Fangemeinschaft soll Fußball auch Begegnungen zwischen Menschen schaffen, die sich sonst eher nicht über den Weg laufen. An kaum einem anderen Ort mache das so viel Spaß wie im Swamp. „Oder wo sonst kann man sein Bier nach dem Spiel mit Vereinsverantwortlichen trinken und kritisch diskutieren, ohne dass das zu einer Schlagzeile führt“, fragt Flemming. Raschke sieht das ähnlich: „Das Swamp bleibt ein geschützter Rahmen für Vereinspersonal, Medien und Fans.“ Der SC- und spätere DFB-Präsident Fritz Keller habe hier einmal ein ganzes Buffet für einen Saisonabschluss auftischen lassen.
Ab und an waren obskure Szenen zu beobachten. Ende der 90er-Jahre statteten SC-Manager Andreas Rettig und Trainer Finke dem Swamp einen Besuch ab. Die Mission: Fans aus der alternativen Szene vom Tribünenumbau auf der Gegengerade des Dreisamstadions überzeugen. „Es sollten Sitzplätze geschaffen werden, die Freunde von Stehplätzen waren dagegen“, erklärt Raschke. Das Gerücht, dass Chico den hohen Besuch vor die Tür gesetzt habe, stimme nicht. Auf einen gemeinsamen Punkt war man aber nicht gekommen: Es ging hoch her, am Ende wurde die Tribüne umgebaut.
Seit das SC-Stadion nicht mehr in Littenweiler, sondern an der Messe steht, ist das Swamp zwar kein zentraler Treffpunkt nach den Matches mehr. „Der Geist des Swamp lebt aber ein wenig auch in der Stadionkneipe 15:30 weiter“, sagt Raschke. Der Spot an der Südtribüne wird von Chicos Sohn und einem alten Freund betrieben. „Eine Art ambulantes Swamp, auch wenn beide Läden nicht zusammengehören“, sagt Raschke mit einem Lachen.
2. Halbzeit: Indie-Musik
Mindestens so bekannt wie für Fußballkultur ist das Swamp für Konzerte. „Chico war schon ein Trüffelhund, der Acts entdeckt hat“, sagt Raschke. Wer die Liste vergangener Konzerte durchschaut, muss ihm Recht geben. Schon 2004 spielte die Indie-Band The National vor 50 Gästen im Swamp. Deren siebte Studioplatte „Sleep well Beast“ brachte den New Yorkern rund 15 Jahre später einen Grammy ein. Die heute angesagte Wiener Band Bilderbuch („Maschin“, „Bungalow“) spielte 2011 vor 30 Gästen.
Auch das Freiburger Postpunk-Quartett Das Blanke Extrem kennt die Kneipenbühne gut. „Uns als Band hat das Swamp schon sehr schöne Abende beschert“, sagt Lead-Gitarrist Robert Jaschke, der dort auch an der Theke arbeitet. Zu den Highlights habe etwa eine ausverkaufte Release-Show zum Debütalbum „Alles in schönster Ordnung“ gehört. Als Musiker, Stammgäste und auch mal als Mitarbeiter sieht die Band das Swamp als existenzielle Institution der Freiburger Kultur- und Kneipenszene.
Doch für das lauteste, aufwendigste und unwahrscheinlichste Konzert der Swamp-Historie sorgte im Februar 2020 Besuch aus Übersee. Auf der Bühne standen die texanischen Alternative-Rocker von „… and you will know us by the Trail of Dead“. Die inzwischen aufgelöste Band beschallte eigentlich deutlich größere Locations. Sie hatte zwischen Auftritten in Basel und Reutlingen einen Off-Day, den sie mit einer Show füllen wollte. „Ihr Nightliner hat eine Spur der Talstraße versperrt“, erinnert sich Raschke belustigt. Der Kartenverkauf war ein Selbstläufer, das Swamp gerammelt voll.
Neue Saison: Einer fehlt
Am 26. Oktober 2021 dann der schwerste Schlag der Swamp-Geschichte: Chico stirbt überraschend mit 61 Jahren. „Chico fehlt uns allen wahnsinnig“, sagt Raschke. In den folgenden Wochen war nicht klar, ob und wie es an der Talstraße weitergehen würde. Doch schließlich schloss sich ein Kreis von 15 Freunden des Swamp zum gemeinnützigen Verein Sumpfkultur zusammen. „Unseren kulturellen Auftrag sehen wir darin, Veranstaltungen in Chicos Sinne zu organisieren“, sagt Raschke. „Wir überlegen uns durchaus, was er wohl getan hätte.“ Die Konzerte laufen nach wie vor gut, vor allem bei Auswärtsspielen ist die Kneipe zum Fußballschauen voll.
Um das Swamp und Chicos Vermächtnis zu feiern, läuft vom 18. bis zum 21. Oktober ein Jubiläumsprogramm. Neben einer Lesung, einem DJ-Abend und einer Ausstellungs-Vernissage stehen zwei bereits ausverkaufte Gigs von Der Nino aus Wien auf dem Programm. Auch er gehört zu Chicos Entdeckungen. Am Todestag des Kneipiers steigt zudem ein DJ-Event, davor läuft das Europa-League-Spiel des SC gegen den serbischen Club BaČka Topola.
Die Musiker vom Blanken Extrem sind froh, dass das Swamp durch den Verein weiterlebt. „Dass wir weiterhin Konzerte von großartigen Künstler·innen erleben oder auch mitorganisieren können, stellt für uns individuell eine notwendige Bereicherung in dem zunehmend tristen Freiburger Nachtleben dar“, sagt Gitarrist Jaschke. In einem Song der Band, in dem es um die Auswüchse der Gentrifizierung geht, findet sich die anklagende Zeile „Zwischen Motel One und Motel Two macht die dritte Disko zu.“ Das Swamp ist einem solchen Schicksal erfolgreich entgangen.
Fotos: © Swamp