SOS mit Sensenmann: Extinction Rebellion will radikal wachrütteln Szene | 07.10.2019 | Till Neumann

Das Ziel eint sie mit Fridays for Future. Doch die Methoden sind radikaler. „Extinction Rebellion“ (kurz XR) machen auch in Freiburg mit spektakulären Aktionen aufmerksam. Sie blockieren Straßen, fallen reihenweise „tot“ um, lassen sich festnehmen. Zwei Freiburger Aktivisten erzählen, wie weit sie gehen würden. Seit dem heutigen Montag, 7. Oktober, läuft eine weltweite Aktionswoche.

Der Tod hat Ende September den Bertoldsbrunnen erreicht. Ein Sensenmann steht mit Sanduhr auf dem Gehweg. Theatralisch fährt er mit seiner Sichel durch die Luft. Ein Trommler lässt dumpfe Schläge los zu jeder verstorbenen Tierart, die über Lautsprecher verlesen wird. Riesenalk, Mexikanischer Grizzly, Chinesischer Flussdelfin … Reihenweise fallen dazu Aktivisten „tot“ um. Auch Kinder, verkleidet als Panda oder Hase. Das Interesse bei Passanten ist groß. Sie bleiben stehen, filmen die Szene und lassen sich Flyer in die Hand drücken.

Spektakulär muss es sein bei XR. Aber friedlich, berichten die zwei Freiburger Aktivisten Laura Bärtle und Jonathan Bohnert. Mit zivilem Ungehorsam machen sie auf die Zerstörung des Planeten aufmerksam. Ein sogenanntes „Die-in“ (gemeinsames Sterben) wie am Bertoldsbrunnen gehört zu den harmloseren Methoden. Für kochende Emotionen sorgen ihre Straßenblockaden. „Wir werden nur ernst genommen, wenn wir stören“, sagt die 20-jährige Studentin Bärtle. Ein Stillstand käme dem Untergang gleich.

Sie ist über Plakate auf XR aufmerksam geworden. Im Frühjahr stieg sie ein. Auch bei Straßenblockaden mischt sie mit – etwa neulich an der Kronenbrücke. Mit 63 weiteren Aktivisten bremsten sie für drei Stunden den Verkehr auf der so wichtigen Verkehrsachse durch Freiburg aus. „Wir saßen auf der Straße, das ist nicht unbedingt ein schönes Gefühl. Nach drei Stunden ist das Energielevel ziemlich niedrig“, erzählt Bärtle.

Bereit, etwas zu riskieren: Die Freiburger Aktivisten Laura Bärtle und Jonathan Bohnert.

Riskante Blockade

Verbalattacken und aufheulende Motoren seien da normal. Ungefährlich ist das nicht, weiß Bohnert. In Frankreich wurde im November bei Straßenblockaden der Gelbwesten eine Frau überfahren und starb. „Autofahrer sind oft aggressiv“, sagt der 22-Jährige. Bedrängt zu werden, sei beängstigend. „Ich würde lieber am See liegen“, sagt der Student. Doch die Not sei zu groß.

Bohnert kümmert sich bei XR um den Kontakt zur Polizei. Der sei entspannt, berichtet er. Die Beamten wüssten, dass es friedlich bleibe – auch wenn Aktivisten vom Platz getragen werden. „Wir haken uns nicht ein, beleidigen niemanden“, erzählt Bohnert. Dennoch hat die Aktion Konsequenzen: Jeder Demonstrant werde fotografiert, die Personalien aufgenommen, Anzeige erstattet. Pro Person stelle die Polizei 90 Euro in Rechnung.

Bei 64 Festnahmen an der Kronenbrücke macht das 5760 Euro. „Die 90 Euro kann ich verschmerzen“, sagt Bärtle. Wer das Geld nicht habe, bekomme Unterstützung, ergänzt Bohnert. Wichtig ist ihnen, dass keiner bei XR so weit gehen muss wie sie. Man kann auch lediglich Flyer verteilen oder bei der Organisation helfen. „Es gibt alle Aktionslevels“, sagt Bohnert.

Die Polizei bestätigt den gewaltfreien Ablauf der Proteste: „Wir können feststellen, dass die Aktionen friedlich verlaufen. Es war immer möglich, unkompliziert und respektvoll mit den Teilnehmern in Kontakt zu treten und mögliche Konflikte auf diesem Weg gar nicht erst entstehen zu lassen“, teilt Pressesprecher Jerry Clark vom Polizeipräsidium Freiburg mit.

Gestorben: Beim „Die-In“ von Extinction Rebellion fallen Menschen „tot“ zu Boden.

Zuletzt haben Bärtle und Bohnert täglich mehrere Stunden in XR investiert. Zu tun sei genügend. Für die große Aktionswoche ab dem 7. Oktober in Berlin und vielen anderen Städten hoffen sie auf maximal große Beteiligung. Ob die beiden bereit wären, für ihre Aktionen hinter Gitter zu kommen? „Wir möchten nicht ins Gefängnis“, sagen beide. Ausschließen würden sie es aber nicht.

Aktionswoche

In Berlin haben Aktivisten den Verkehr rund um die Siegessäule lahmgelegt. In vielen weiteren europäischen Städten gab es Proteste und damit verbundene Festnahmen. Informationen zu den geplanten und durchgeführten Aktionen gibt es unter anderem auf der Seite Extinction Rebellion.

Fotos:  © Till Neumann