Urwaldriesen im Münster: Zimmerermeister erzählt vom Glockenturm STADTGEPLAUDER | 11.10.2018 | Erika Weisser

Seit dem Abbau des blickdichten Baugerüsts, das den Münsterturmhelm zwölf lange Jahre umgab, sind aller Augen auf dieses Meisterwerk der Steinmetzkunst gerichtet. Jetzt kann man es auch aus der Nähe betrachten: Türmerstube und Aussichtsplattform sind wieder zugänglich.

Damit wird auch der im Inneren verborgene Glockenturm sichtbar. Auch er wurde restauriert, fand aber bisher wenig Beachtung. Dabei ist er nach Einschätzung von Zimmerermeister Andreas Hagedorn ein Kulturdenkmal von europäischer Bedeutung.

„Wie der äußere Steinturm ist auch der Glockenstuhl eine Meisterleistung. Ein Beispiel großartiger Ingenieursbaukunst, die entstand, bevor es Ingenieure gab. Jahrringanalysen haben ergeben, dass die verwendeten Tannenstämme 1291 geschlagen wurden. Da früher das Holz immer frisch verzimmert wurde, ist davon auszugehen, dass der Aufbau des Turms auf der Plattform, die den eigentlichen Turmsockel über der heutigen Orgel-Empore abschließt, vor mehr als 700 Jahren erfolgte.

Damit ist der Holzturm ungefähr 50 Jahre älter als der Steinturm, der um ihn herumgebaut wurde, ohne dass das eine Bauwerk das andere auch nur an einer einzigen Stelle berühren würde. Selbst dann nicht, wenn beim Läuten der gesamte innere Turm durch die Schwingung der Glocken selbst in Bewegung gerät. Das würde die filigrane Struktur des Außenturmhelms auf Dauer auch gar nicht vertragen, ohne großen Schaden zu nehmen. Der ausgeklügelt konstruierte Holzturm hingegen hält wegen der Elastizität des Materials sowohl die Schwingungen als auch das Gewicht der Glocken aus, die fast 25 Tonnen schwer sind.

Er ist über 20 Meter hoch, endet unter der Aussichtsplattform und beherbergt außer der Glockenstube auch die Türmerstube und das Uhrwerk. Seine wesentlichen Elemente sind die vier Eckständer, die 16 Meter lang sind, an der Basis einen Durchmesser von 56 Zentimetern aufweisen und aus einem Stamm bestehen. Die damaligen Schwarzwaldtannen muss man sich als Urwaldriesen vorstellen, es gab ja noch keine geregelte Forstwirtschaft.

Die komplett mit der Axt bearbeiteten Stämme wurden mit Balken kunstvoll zu einer stabilen Konstruktion gezimmert, die, bevor das Gestühl seiner eigentlichen Bestimmung zugeführt wurde, als Baugerüst für die Arbeiten am Außenturm diente, als Kran, über den die Steine hochgezogen wurden.

Es gibt wenige vergleichbare, in ihrer Originalsubstanz so weitgehend und gut erhaltene Holzkonstruktionen aus dieser Zeit. Deshalb war es für uns eine Herausforderung, alles wieder an den ursprünglichen Zustand anzugleichen und doch an heutige Anforderungen anzupassen. Wir haben sie mit Begeisterung gemeistert.“