„Völlig kontraproduktiv“ – chilli-Interview mit Bürgermeister Ulrich von Kirchbach STADTGEPLAUDER | 27.12.2022 | Lars Bargmann

Bürgermeister Ulrich von Kirchbach

Ulrich von Kirchbach, seit 20 Jahren Kultur- und Sozialbürgermeister, verteidigt im traditionellen Weihnachtsinterview mit chilli-Chefredakteur Lars Bargmann die Städtepartnerschaft mit Isfahan. Zudem plädiert er fürs Brückenbauen mit China und berichtet über ein hartes Ringen mit den anderen Bürgermeistern.

chilli: Herr von Kirchbach, welche Überschrift steht über dem Jahr 2022?
von Kirchbach: Hilfe und Solidarität in schwierigen Zeiten.

chilli: Freiburg hat viel für die Partnerstadt Lviv gemacht. Ende Mai kam überraschend Andrij Melnyk im Rathaus vorbei. Der ukrainische Botschafter hatte Deutschland im Ukraine-Krieg lautstark kritisiert. Zu Recht?
von Kirchbach: Im persönlichen Gespräch war die Kritik an der Regierung kein Thema. Er wollte Freiburg persönlich danken für die herausragende Unterstützung. Später bei der Pressekonferenz hat er dann wieder Kritik geübt. Ohne mich generell zur Außen- und Verteidigungspolitik des Bundes äußern zu wollen, glaube ich, Deutschland muss sich bei der Unterstützung der Ukraine nicht verstecken. Für uns ist es wichtig, dass Russland keinen Erfolg hat und wir andererseits nicht in einen Krieg reinrutschen.

chilli: Wie schätzen Sie die Gefahr eines Dritten Weltkriegs ein?
von Kirchbach: Da gibt es ein gewisses Risiko. Und ich halte die Stimmen, die sagen, Russland wäre dafür viel zu schwach, für falsch, wenn nicht abenteuerlich.

chilli: Durch den kaltherzigen Krieg gegen die Ukraine sind auch in Freiburg viele Geflüchtete angekommen …
von Kirchbach: … aktuell 2320. Anfangs waren 80 Prozent privat untergebracht, jetzt sind noch 1375 privat und 945 in Einrichtungen. Das hat sich deutlich verschoben. Deswegen haben wir eine neue Unterkunft in Hochdorf gebaut und müssen jetzt schauen, ob wir noch weitere bauen.

chilli: Kommen aktuell immer noch viele Flüchtlinge an?
von Kirchbach: Derzeit bekommen wir über das Regierungspräsidium wöchentlich etwa 15 bis 20 zugewiesen. Baden-Württemberg ist bundesweit aber bei der Verteilung noch im Minus. Wir haben da eine sehr unsichere Prognosesituation.

chilli: Wer übernimmt die Kosten?
von Kirchbach: Ukrainer gelten nicht als Asylbewerber, sondern als Kriegsvertriebene. Damit sind sie arbeitssuchend und erhalten somit Bundesleistungen. Kosten, die uns entstehen für Kinderbetreuung, Gebäude oder Sozialarbeit, werden wir, denke ich, zu 95 Prozent zurückbekommen. Müssen das aber vorfinanzieren.

chilli: Der Sinn von Städtepartnerschaften wird immer wieder mal hinterfragt. Die Freiburger mit Lviv hat gezeigt, wie viel sie bewirken können. Seit 22 Jahren unterhält Freiburg auch mit der iranischen Stadt Isfahan eine Städtepartnerschaft. Als einzige deutsche Stadt. Was erwartet Freiburg von diesem Partner?
von Kirchbach: Dass das schwierig sein würde, war von Anfang an klar. Es gab damals im Gemeinderat aber eine große Mehrheit dafür und ich halte sie nach wie vor für richtig. Es wäre völlig kontraproduktiv, das jetzt zu beenden oder auf Eis zu legen.

chilli: Bundeskanzler Scholz hatte unlängst gesagt: „Was sind Sie für eine Regierung, die auf die eigenen Bürgerinnen und Bürger schießt? Wer so handelt, muss mit unserem Widerstand rechnen.“ Ist diese Städtepartnerschaft wirklich noch akzeptabel?
von Kirchbach: Die Partnerschaft jetzt aufzukündigen, wäre ein Schlag ins Gesicht derjenigen, die dort gerade für mehr Freiheit auf die Straße gehen. Ich denke, dass die Städtepartnerschaft, die in der Vergangenheit einen Austausch ermöglicht hat, auch dazu beigetragen hat, den Boden für eine solche Bewegung zu bereiten. Wäre das Land abgeschottet gewesen, würde es die Aufstände vielleicht gar nicht geben. Ich selber war einmal in Isfahan, das Theater im Marienbad war zwei Mal dort auf Festivals zu Gast. Die Menschen dort lechzen nach Austausch. Das ist nach meiner Erfahrung unheimlich wichtig. Und es ist völlig illusorisch zu glauben, dass dies ohne einen offiziellen Rahmen, wie der einer Städtepartnerschaft, Bürgerreisen oder einem kulturellen Austausch funktionieren könnte.

chilli: Am 1. November wurden in Freiburg 50 Jahre diplomatische Beziehungen zwischen Deutschland und China gefeiert. Sie haben das Rathaus repräsentiert. Kritik an der Veranstaltung gab es nicht nur von den Grünen. Auch die Chinesen stehen in der westlichen Welt sehr stark in der Kritik.
von Kirchbach: Vor 50 Jahren war man noch sehr viel weiter auseinander. China hat ja noch keinen einzigen Tag Demokratie gehabt. Das muss man sich klarmachen. Bei aller berechtigten Kritik ist es wichtig, die diplomatischen Beziehungen zu pflegen. Globale Herausforderungen wie der Klimawandel sind nur mit Afrika und China oder auch mit Südamerika zu lösen. Es ist richtig, dass Scholz als erster ausländischer Politiker nach China gereist ist. Wir müssen weiter Brücken bauen, wir hängen stark von China ab, im Export, aber auch im Import. Man muss also sehr genau überlegen, welche Strategie man verfolgt. Bei all dem muss aber die Souveränität von Staaten gewährleistet sein.

„Das waren keine Kuschelrunden“

chilli: Zurück nach Freiburg. Wie liefen die dezernatsinternen „Verteilungskämpfe“ beim Doppelhaushalt?
von Kirchbach: Das waren 30 Stunden Klausur und keine Kuschelrunden. Jeder hat versucht, seine Interessen durchzusetzen. Da wird hart gerungen. Die Wünsche waren deutlich höher als das, was jetzt im Haushalt drinsteht.

chilli: Der Haushalt kommt mit bis zu 80 Millionen Euro neuen Schulden und 60 Millionen aus Kassenentnahmen daher. Ist das generationengerecht?
von Kirchbach: Die Ausgaben wachsen weiter schneller als die Einnahmen. Aber wir wollen die Investitionen nicht runterfahren. Die öffentliche Hand muss investieren, vor allem, wenn die privaten Investitionen zurückgehen. Das geht nicht ohne Neuverschuldung. Bei zehn Prozent Inflation sind neue Schulden volkswirtschaftlich sinnvoll. Keine Kommune kann aktuell ohne neue Schulden auskommen.

chilli: Die Sanierung des Augustinermuseums hat mittlerweile die 90-Millionen-Euro-Schallmauer durchbrochen. Wann fällt die 100-Millionen-Mauer?
von Kirchbach: 100 werden es nicht. Aber wir mussten einen Neuanfang wagen, mit neuen Architekten …

chilli: … weil sich das Rathaus nach 20 Jahren vom Architekten Christoph Mäckler getrennt hatte. In beiderseitigem Einverständnis natürlich. Aber ohne Vorfall trennt man sich nicht…
von Kirchbach: Wir haben das gemeinsam entschieden …

chilli: …konkreter?
von Kirchbach: Über die Details wurde Stillschweigen vereinbart, der Gemeinderat hat das gebilligt. Die Stimmung auf der Baustelle ist jetzt gut, es geht voran. Jetzt müssen wir aber noch die Probleme mit der Schatzkammer lösen. 90 Millionen ist eine unerfreuliche Zahl, die anfangs so nicht erkennbar war. Aber wir hätten uns um das Gebäude, das zweitwichtigste Denkmal in Freiburg, auch ohne Museum kümmern müssen. Außerdem haben wir 19 Millionen von Land und Bund bekommen und vom Kuratorium 2,2 Millionen. Rein kommunale Mittel sind also 70, nicht 90 Millionen.

chilli: Anfang Mai hatte überraschend Museumsdirektor Tilmann von Stockhausen angekündigt, in seine Heimatstadt Lübeck zu wechseln. Was hat den Ausschlag für Jutta Götzmann als Nachfolgerin gegeben?
von Kirchbach: Hohe Fachlichkeit, Führungsstärke, viel Erfahrung. Frau Götzmann war Gründungsdirektorin des Potsdam Museums, hat also auch einen kommunalen Hintergrund. Sie hat in allen Bereichen überzeugt.

chilli: Was steht kulturpolitisch auf der Agenda 2023?
von Kirchbach: Wir starten mit dem Umbau im Rotteckhaus zum NS-Dokuzentrum, wir wollen mit den Proberäumen für Bands weiterkommen …

chilli: …wo sich die Verwaltung bisher nicht mit Ruhm bekleckert hat …
von Kirchbach: …wir sind in guten Gesprächen für eine Ersatzlösung für das Kunsthaus L6, und die Umgestaltung des Colombiparks wird auch dem archäologischen Museum zugutekommen.

chilli: Herr von Kirchbach, vielen Dank für dieses Gespräch.

Foto: © Lars Bargmann