»Wie eine kleine Weltreise« – Heinz-Jürgen Isele sammelt seit mehr als 70 Jahren Briefmarken STADTGEPLAUDER | 17.06.2023 | Philip Thomas
Es ist einer der ältesten noch aktiven Vereine der Stadt: Seit 125 Jahren tauschen und sammeln die Freiburger Briefmarkenfreunde kleine Quadrate. Die Post geht im Klub jedoch nicht ab: Der Altersschnitt liegt jenseits 70 und Nachwuchs ist im Zeitalter von Messenger und Mail kaum zu kriegen. Der Vorsitzende Heinz-Jürgen Isele sagt seiner Leidenschaft dennoch eine Renaissance voraus.
Isele erinnert sich noch an bessere Zeiten: Vor 35 Jahren zählten Freiburgs Briefmarkenfreunde 200 Mitglieder. Heute sind es 85. „Die Alten sterben weg, und nur wenig Junge kommen nach“, sagt der Vorsitzende über den 1898 gegründeten Verein. Der Altersschnitt liegt heute bei mehr als 70. Isele selbst ist 77 Jahre alt.
Er hat aber auch die Anfänge seiner Passion nicht vergessen: Im Alter von fünf Jahren hielt er die ersten Marken in der Hand: „Die stammten aus Amerika und Afrika. Das war wie eine kleine Weltreise für mich.“ Den klebenden Postwertzeichen ist er seitdem treu geblieben. „Manchmal auf Sparflamme, aber ich war immer aktiv“, sagt er.
Die Marken seien wie kleine Kunstwerke. Und bei jedem Sammlerstück handle es sich auch um einen Schnipsel Geschichte. Was steckt hinter dem Motiv? Wo ging der Brief überhaupt hin, und war er überfrankiert? Philatelie – Briefmarkenkunde – beschäftigt sich nicht nur mit Papierarten, Wasserzeichen und Druckverfahren.
Mehr als eine Million Marken zähle sein Verein. Wichtig sei, die eigene Sammlung auf ein Thema oder Motiv auszurichten. Briefmarken nach Land zu horten, überfordere schnell – allein die Deutsche Post bringt jährlich rund 100 neue Marken heraus. „Und woanders ist es noch schlimmer“, lacht Isele, der sich auf Aerogramme, sogenannte Luftpostleichtbriefe, spezialisiert hat. Wie viel Geld er schon in dieses Hobby gesteckt hat, möchte der Sammler lieber nicht sagen: „Wenn ich darüber nachdenke, haut‘s mich um.“
Vier- oder fünfstellige Beträge für komplette Erstausgaben sind in der Szene keine Seltenheit. Besonders begehrt unter Liebhabern sind Fehldrucke oder Kuriositäten: 2001 zog die Deutsche Post in letzter Sekunde rund 14 Millionen Marken mit dem Konterfei einer rauchenden Audrey Hepburn zurück, weil ihre Erben mit der Zigarette darauf nicht einverstanden waren. Zehn dem Feuer entgangene, verbotene 56-Cent-Marken erlösten bei einer Auktion im Jahr 2005 stolze 430.000 Euro. „Das ist das somit Teuerste, was es gibt“, kommentiert Isele.
Solche Summen rufen auch Kriminelle auf den Plan. „Es wird wahnsinnig viel gefälscht, man muss wirklich aufpassen“, sagt er. Betrüger stempeln oder gummieren Marken nach, um den Wert zu erhöhen. „Das wird teilweise wirklich raffiniert gemacht.“ Aber auch die Sammler-Seite hat ihre Tricks: Mit Mikroskop, UV-Licht oder Chemie checken Briefmarkenprüfer, ob Marken manipuliert wurden.
Manche Marke ist sogar ein Fall fürs Museum: Am 6. August 1945 trotzte ein frankierter Brief dem Atombomben-Angriff auf die japanische Stadt Hiroshima. Geborgen wurde das nahezu unversehrte Stück nur zwei Kilometer vom Explosionsort entfernt unter den verbrannten Trümmern einer Bank. „Der Brief ist heute noch radioaktiv, aber gut erhalten“, sagt Isele.
Gehört auch sein Hobby bald in ein Museum? „Nein, Briefmarkensammeln kommt wieder“, sagt Isele. Er ist sich sicher: „Wenn die Übersättigung mit Elektronik so weitergeht, gibt es eine Rückbesinnung.“ Briefmarkensammeln sei ein entschleunigter und konzentrierter Zeitvertreib ohne Bildschirm – das liege zwar nicht im Trend, zeichne das Hobby aber aus. „Begeisterung für Briefmarken kommt und geht in Wellen. Es ist immer nur eine Frage der Wellenlänge.“
Fotos: freepik.com; Phillip Thomas