„Wir lassen uns nicht aufhalten“: Sprayer reagieren trotzig auf Rathauspläne STADTGEPLAUDER | 16.11.2017 | Till Neumann

Mehr Geld, schnelleres Entfernen, häufigere Strafanzeigen: Das Rathaus will Sprayern den Kampf ansagen. Die Ausgaben gegen Graffiti sollen fast verdoppelt werden. In der Szene sorgt das für Kopfschütteln.

„Jeder Cent ist einer zu viel“, sagt der Grafiker Pone: Er fordert eine gezielte Förderung der Sprayer. Graffiti-Veteran zoolo wünscht sich ein differenzierteres Vorgehen. Ein anonymer Tagger erzählt von „noblen Verbrechen“.

Schwarze Kappe, weiße Handschuhe, goldene Kette. Sebastian Rauch alias Pone steht vor einem knallbunten Graffiti an der Unterführung bei der Stadthalle und füllt gekonnt Farbe in einen Edding. „Freiburg hat eine kuschelige, angenehme Szene“, sagt der 33-jährige Grafiker. Es gebe gute Sprayer, kaum Schlägereien, keine Gewalt gegen Polizisten. Dass die Szene verstärkt bekämpft werden soll, ärgert ihn: „Jeder Cent ist einer zu viel.“  

Im Rathaus sehen das viele anders: Graffiti verderben das Stadtbild, so das Credo. Wer malen will, soll das auf den 14 legalen Flächen tun. CDU, SPD, Freiburg Lebenswert/Für Freiburg und die Freien Wähler haben im Sommer das Rathaus um Maßnahmen gebeten. Im Oktober hat die Stadtverwaltung vorgelegt: Das Budget gegen „Schmierereien“ soll 2018 von jährlich 130.000 auf 250.000 Euro steigen. Graffiti und Tags an öffentlichen Orten innerhalb von einer Woche entfernt werden. Zudem ist ein Fördertopf für die Reinigung privater Flächen geplant: Wer als Eigentümer Strafanzeige stellt, kann von der Stadt die Kosten erstattet bekommen. Vorausgesetzt er muss eine frisch gestrichene Wand innerhalb von sechs Monaten erneut reinigen. 100.000 Euro sind dafür angepeilt.  

Pone hat die Zahlen durchgerechnet: „Alter, das sind fast 30.000 Euro im Monat“, sagt er kopfschüttelnd. Der Effekt für ihn ist gleich null: „Jemand, der illegal malen will, tut das trotzdem.“ Im Viertel Im Grün habe man das gesehen. Dort seien viele schöne Bilder entfernt worden. „Das hat nur noch mehr Wut erzeugt“, sagt Pone. Die Tagger seien erst recht gekommen.  

Vollgetaggt: Graffiti wie hier am Güterbahnhof sind für viele Schmiereien.

Für ihn sind die Ausgaben rausgeschmissenes Geld: „Viel besser wäre eine Talentschmiede“, sagt er. Eine Anlaufstelle für Maler mit Shop, Workshops und Ausstellungen. So ein Laden könne zwar nicht alle davon abhalten, zu taggen. Er könne jungen Sprayern aber zeigen, wie sie etwas Besseres malen. Er selbst habe früher viel illegal gesprüht. Sei erwischt worden und habe irgendwann seine Konsequenzen gezogen. Mittlerweile ist er Vater, malt legal und gibt Workshops.  

Illegal unterwegs ist ein anderer Freiburger, der anonym bleiben will. Den Edding zum Taggen hat er immer griffbereit. „Wenn ich unterwegs bin, bin ich getrieben“, sagt er. Taggen sei ein Syndrom. Der Mann ist Ende 20 und Teil der 106er-Crew aus dem Stühlinger, die immer wieder Spuren im Stadtbild hinterlässt. „Ich sehe Flächen und tagge sie voll, egal wem sie gehören“, berichtet er. Mehr legale Flächen würden daran nix ändern: „Wir lassen uns nicht aufhalten.“ Graffiti sind für ihn ein „nobles Verbrechen“. Man beglücke Leute mit Kunst und Farbe. „Wir nehmen ja nix weg, sondern adden etwas“, sagt der vorbestrafte Maler.  

Auch Graffiti-Veteran Andreas Ernst alias zoolo verfolgt die Debatte. Das harte Durchgreifen kann er verstehen, da auch historische Gebäude besprüht werden. „Allerdings fände ich ein differenzierteres Vorgehen besser“, sagt der 43-Jährige. Ein Teil des Geldes könne für die Reinigung ausgegeben werden, ein Teil für die Gestaltung öffentlicher Flächen. So werde das auch in anderen Städten gemacht. Trotzreaktionen bei schneller Reinigung schließt er nicht aus: „Das ist ein Katz-und-Maus-Spiel, wer den längeren Atem hat, gewinnt.“  

Ob und welche Maßnahmen kommen, ist indes offen. Die Entscheidung hat der Gemeinderat nach einem Antrag der Grünen Ende Oktober vertagt. Nun soll das Thema im Kinder- und Jugendhilfeausschuss beraten werden. Klaus Schüle von der CDU ärgert das: „Wir müssen viele Jahre der Versäumnisse aufholen“, sagt er und fordert rasches Handeln. Jungstadtrat Sergio Schmidt hält nichts von den Maßnahmen: Sie seien ein „Kampf gegen Windmühlen“, das Geld aus dem Fenster geschmissen. Für den 22-Jährigen ist das Vorhaben Ausdruck des „Freiburger Spießbürgertums“.  

Fotos: © Till Neumann