Das »bierernste« chilli-Horoskop: Neue-Sprache-Edition von Hobby-Astronaut Philip Thomas 4Literatur & Kolumnen | 27.07.2021 | Philip Thomas

„Samma, wie talkst du eigentlich?“, fragt sich chilli-Orakel Philip Thomas. Wie die Sterne für die Sprache stehen, verrät der Hobby-Astrologe im Horoskop.
Schnitzel nach Balkan-Art, Schokoküsse und Leibnitz-ABC. All diese Leckereien hießen bei deinen Kindergeburtstagen noch anders. Die politische Korrektheit in eine Richtung hat dir mittlerweile den Appetit verdorben. Du beschwerst dich doch auch nicht, weil sich die Kinder in Afrika die Bäuche mit Hamburgern und Berlinern vollschlagen.
Werbemensch müsste man sein. Morgens im Performancebereich optimieren, mittags proaktiv Content pitchen und danach den Shitstorm dataminen. Der neueste Streich: Porridge. Heißt eigentlich Haferschleim. Hat nur viermal so viel Zucker und kostet siebenmal mehr. Muss als „Overnight Oats“ aber immerhin nächtelang nicht abgespült werden.
Früher hieß es noch Party, Sause oder Fete. Heutzutage ist alles ein Rave. Auch in völliger Abstinenz von Techno oder gar elektronischer Musik. Und ja: Das gilt auch für deine Gartenparty mit schalem Bier, lauwarmen Würstchen, den geklauten Smarties vom kleinen Bruder und deiner
altersschwachen Bluetooth-Box mit Wackelkontakt.
Jeder Krämer und jeder Tante-Emma-Laden heißt heutzutage Pop-up-Store. Was soll das überhaupt heißen? Du schlägst nach: „Ein Pop-up-Store ist ein Einzelhandelsgeschäft, welches kurzfristig öffnet und meist ebenso kurzfristig wieder verschwindet.“ Also im Prinzip doch genau wie jedes Einzelhandelsgeschäft?
Nach zahllosen Eigentoren in der Vorrunde der Fußball-EM hat die UEFA beschlossen, noch eins nachzulegen und verbot flugs Regenbogenbeleuchtung am Münchener Stadion. Immerhin ist Manuel Neuer mit bunter Binde aufgelaufen. Du fragst dich: Wann verbietet dieser komische Fußballverband endlich die vier Gendersternchen auf dem Trikot?
Rennrad an der Wand, Zopf am Kopf und Chai Latte in der Blutbahn. Du beherrschst jeden Fortnite-Tanz und sprichst die Sprache der Jugend. Niemals wolltest du einer von denen werden, die die Musik der jungen Generation hohl und nervig finden. Konnte ja niemand ahnen, dass die Musik der jungen Generation so hohl und nervig ist.
Diese geschlechtsneutrale Sprache geht dir gehörig auf die Nerven. Nach all den Jahren magst du dich auch nicht mehr umstellen. Schon deswegen hoffst du, dass Annalena Baerbock im Herbst das Rennen macht und sich gegen Armin Laschet und Olaf Scholz durchsetzt. Einen Mann als Bundeskanzlerin kannst du dir einfach nicht vorstellen.
Mit der Sprache ist es wie mit der Technik. Sie entwickelt sich weiter. Wie gut, dass dich deine Kinder in beiden Dingen up to date halten. Der Sohnemann erklärt dir, warum er ein litter Ehrenmann ist und deine Tochter hat dir sogar Windows 10 installiert. Aber ist das nicht ein Rückschritt? Bei dir auf dem Amt benutzen sie immerhin schon Windows 95.
Dafür fehlen dir die Worte: Als deine Mutter mit 24 Jahren schwanger war, hat dein Vater ein Haus gekauft – in bar. Natürlich mit Garten, Balkon und Garage für zwei Autos, Platz für die Ski-Ausrüstung und groß genug für weitere Kinder. Du hast dir von deinem Ersparten zum 24. Geburtstag ein neues Handy gekauft. Für Tinder. Und auf Raten.
Der Generationskonflikt ist vor allem eine Sache der Kommunikation. Laut einer Studie verbringen Deutsche zehn Stunden am Tag vor einem Bildschirm. Trotzdem sind viele junge Menschen tagelang nicht zu erreichen. Du kannst über Boomer sagen, was du willst, aber immerhin haben sie ihr Handy nicht lautlos gestellt und gehen auch ran.
Früher war alles besser. Vor allem sprachlich: Emojis waren Smileys, Twix hieß Raider und Sport1 zeigte als DSF (Deutsches Sportfernsehen) tatsächlich Sport. Aber wusstest du auch, dass Mickey Maus fast Mortimer, Google um ein Haar Backrub (Rückenmassage) und Q-Tipps tatsächlich mal Baby Gays (???) hießen?
Sternchen, Unterstriche, Doppelpunkte. Da soll jemand durchblicken. Die deutsche Sprache ist dir schon kompliziert genug: „Umfahren“ ist das Gegenteil von „umfahren“, tagsüber heißt es „der Weizen“ und „das Korn“ – nach Feierabend dann „das Weizen“ und „der Korn“, und ein einziger Buchstabendreher kann den ganzen Satz urinieren.
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