Fassungslose Handwerker: HWK kritisiert den Diesel-Kompromiss scharf Politik & Wirtschaft | 16.11.2018 | Lars Bargmann

In der Freiburger Handwerkskammer herrscht dicke Luft. Grund ist der sogenannte Diesel-Kompromiss der Bundesregierung. „Wir sind fassungslos über das Zusammenspiel von Industrie und Politik“, sagt Kammerpräsident Johannes Ullrich. Das Handwerk sei der Hauptleidtragende des „katastrophalen ­Diesel-Chaos“.

Allerdings werden etwa auch Taxibetriebe zu den Opfern zählen. Die Kammer fordert von den Behörden keine Fahrverbote, wenn diese aber unumgänglich werden, umfassende und unbürokratische Ausnahmeregelungen sowie die Aufnahme Freiburgs in die Liste der aktuell 14 Städte, in denen rund eine Million Dieselfahrer Umtauschprämien oder Zuschüsse für Nachrüstungen bekommen sollen.

Die gesetzlich erzwungene Fortschreibung des Freiburger Luftreinhalteplans sieht – wenn andere Maßnahmen nicht ausreichen – auch Fahrverbote für Dieselfahrzeuge mit Euro-4- oder Euro-5-Norm vor (siehe Infobox 1). Vor allem solche aber fahren die Handwerksbetriebe – 84 Prozent sind Diesel – und sie sind zudem überdurchschnittlich auf deren lange Nutzungsdauer angewiesen.

„Für einen Handwerker lohnt sich ein neues Fahrzeug erst nach zehn bis zwölf Jahren“, sagt Christoph Burger, der Vizepräsident der Kammer. Wenn die Fahrverbote kommen, kämen auf die Handwerksbetriebe nach Berechnungen von ­HWK-Geschäftsbereichsleiter Handirk von Ungern-Sternberg im Schnitt Anschaffungskosten in Höhe von 75.000 Euro zu. Das sei für viele Kleinbetriebe existenzgefährdend.

Allein im Kammerbezirk (Freiburg und die Landkreise Emmendingen, Breisgau-Hochschwarzwald) würden 700 Millionen Euro fällig. Die grüne Plakette nach der Einführung der Umweltzone im Jahr 2010 sei schon eine „kalte Enteignung“ gewesen, nun drohe schon die nächste.

Der „Kompromiss“ sieht vor, dass Autofahrer entweder ihren alten Wagen tauschen oder nachrüsten müssen. Euro-4-Fahrzeuge können gar nicht nachgerüstet werden, und tauschen ist leichter gesagt als bezahlt oder getan. In Gesprächen mit Kammervertretern hätte ein Autohändler gesagt: „Sondermüll ­kaufen wir nicht.“

Kommen die Handwerker bald nicht mehr zu ihren Auftraggebern in Freiburg? Wenn die Fahrverbote kommen, müssten die Betriebe im Schnitt „existenzgefährdende“ 75.000 Euro in den Fuhrpark stecken.

In den 14 von der Regierung festgelegten Städten (München, Stuttgart, Köln, Reutlingen, Düren, Hamburg, Limburg/Lahn, Düsseldorf, Kiel, Heilbronn, Backnang, Darmstadt, Bochum, Ludwigsburg) sollen Umtauschprämien und Nachrüstungen bezahlt werden. Freiburg ist nicht darunter, obwohl der Stickstoffdioxid-Grenzwert (40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft bis 2020) auch hier deutlich überschritten wird: Der Halbjahresmittelwert für 2018 lag bei der Messstation an der Schwarzwaldstraße bei 51 Mikrogramm.

„Bei der Fortschreibung des Luftreinhalteplans für die Stadt Freiburg war unser Ziel, den Grenzwert bis 2020 sicher einzuhalten und durch ein gestuftes Vorgehen Fahrverbote für die Stadt Freiburg nur als letztes Mittel vorzusehen“, sagte Regierungspräsidentin Bärbel Schäfer unlängst: „Mit den nun vorliegenden Maßnahmen wird uns das gelingen.“

Freiburgs Baubürgermeister Martin Haag formuliert ein bisschen vorsichtiger: „Die Stadt Freiburg möchte auf alle Fälle Fahrverbote vermeiden. Auch dank unserer umweltfreundlichen Verkehrspolitik sind wir schon nahe daran, den Grenzwert einzuhalten. Die vom RP geplanten Maßnahmen werden sich positiv auf die Luftreinhaltung auswirken und damit den Anwohnern zugutekommen.“

Die Kammervertreter loben das RP für die konstruktiven Gespräche. „Das RP steckt selber in einem Dilemma“, so Burger. Aber die Kammer befürchte, dass ohne Fahrverbote die Grenzwerte nicht eingehalten werden können. Und „Fahrverbote können nicht die Antwort auf das Diesel-Desaster sein“, sagt Burger. Die Politik müsse dafür sorgen, dass die Autohersteller für ihre Fehler einstehen und die Mängel auf eigene Kosten beseitigen.

»Winterkorn gehört ins Gefängnis«

Das könnten sie – womöglich aus der Portokasse: Daimler hat im vergangenen Jahr knapp 14,7 Milliarden Euro Gewinn gemacht, VW 13,8 Milliarden, BMW 8,7 Milliarden. Stattdessen beschafft die Politik den Herstellern erneut ein Sonderkonjunkturprogramm. „Der Kompromiss und das daraus folgende Chaos sind ein Armutszeugnis, eine Peinlichkeit für Regierung und Industrie“, so Ullrich.

Die Gewinner des als „Dieselgipfel“ bezeichneten Termins im Kanzleramt waren die Autolobbyisten. Viele Hersteller sitzen derzeit auf ihren Dieselfahrzeugen, die Umtauschprämie soll noch schnell die Höfe leeren, damit sich die Verursacher der Klimaprobleme am Ende ihre Boni in die Tasche stecken können. Die frohlockenden Verkündungen von Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) und Umweltministerin Svenja Schulze, die von einem Durchbruch für Millionen Autofahrer sprachen, wären mit „unseriös“ oder gar mit „frech“ nicht unpassend beschrieben.

„Wir Handwerker müssen für unsere Fehler im Rahmen der Gewährleistung einstehen, die Autoindustrie nicht“, kritisierte Burger. EX-VW-Boss Martin Winterkorn „gehört ins Gefängnis“.

Ob ein normaler Euro-6-Kleinlaster überhaupt nennenswert sauberer sei als ein Euro-5, sei offen, sagt Burger. Fahrzeuge mit der Euro-6-b-Norm seien es, aber auf mehrere Jahre in der Stückzahl gar nicht lieferbar. „Das, was wir jetzt kaufen sollen, ist in fünf Jahren wieder schlecht“, sagt Burger.

Die Umtauschpakete sind auch aus ökologischer Sicht höchst fragwürdig: Die Produktion eines neuen Autos und die Verschrottung eines alten werden dem Klima in einer Gesamtbilanz wohl viel mehr schaden als etwas sauberere Autos nützen.

Ullrich hat durchaus nicht unrecht, wenn er sagt, dass solche Entscheidungen „zu noch mehr Politikverdrossenheit“ führen können. Mal ganz abgesehen davon, dass jenseits des Dieseldramas die Zulassungszahlen für schwere und PS-starke Geländewagen – die meist nie ein Gelände sehen – in die Höhe schnellen. Ein neuer Porsche Cayenne Turbo schleudert mehr Kohlendioxid in die Atmosphäre als ein Mercedes Sprinter. Nur geht es beim Dieselkompromiss ja um Stickstoffdioxid und nicht im Kohlendioxid.

Info 1 Luftreinhalteplan Freiburg

Zu den Maßnahmen des Plans zählen ganztags Tempo 30 und die Optimierung der Ampelsteuerung auf der gesamten B 31, die Ausweitung der grünen Umweltzone auf die B 31, die
„umweltsensitive“ Verkehrssteuerung auf der B 31 Ost/West. Fahrverbote für Dieselfahrzeuge (unter Euro 6) sind ab 1. März 2020 dann vorgesehen, wenn die Prognose Ende 2019 die
Einhaltung des Grenzwertes bis Ende Juni 2020 nicht erwarten lässt. Der Plan sieht außerdem vor, dass auf Ausweichrouten über Glottertal und St. Märgen verkehrsbeschränkende
Gegenmaßnahmen zu ergreifen sind. Mit der Bekanntmachung im Januar 2019 tritt der Plan in Kraft.

Info 2 Kammerumfrage

742 Betriebe haben bei der Online-Blitzumfrage der Kammer zum Diesel-Kompromiss mitgemacht. Sie haben im Schnitt 5,6 Autos, 84 Prozent tanken Diesel. Bei den 2,8- bis 7,5-Tonnern sind mehr als 50 Prozent Euro-4 oder schlechter, bei den Autos bis 2,8 oder über 7,5 Tonnen sind es knapp 40 Prozent. Die durchschnittliche Betriebsdauer beträgt 10,3 Jahre. Ein Austausch wäre nur für 30 Prozent der Betriebe finanziell leistbar. 72 Prozent davon würden bis zu 1000 Euro investieren.

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