Hauptstadt der Gnade: Laut einer Studie urteilt keiner milder als Freiburgs Richter Szene | 26.11.2018 | Till Neumann

Alle Menschen sind vor Gericht gleich, heißt es im Grundgesetz. Doch nicht alle werden gleich verurteilt. Das hat jetzt ein Freiburger Forscher rausgefunden. Nach der Untersuchung von 1,5 Millionen Gerichtsurteilen in Deutschland kann er sagen: Freiburg hat die mildesten Richter der Republik.

Freiburger Verbrecher müssen im Schnitt 3,9 Monate kürzer hinter Gitter als im Rest der Republik. Satte 22 Prozent weniger sind das. Am strengsten geht’s in München zu: Richter im Landgerichtsbezirk München I verhängen Strafen, die 24 Prozent über dem Bundesdurchschnitt liegen. Knapp vier Monate länger müssen Verbrecher dort ins Kittchen.

Berechnet hat das Volker Grundies vom Max-Planck-Institut für internationales Strafrecht in Freiburg. Der 63-Jährige hat 1,5 Millionen Urteile aller 800 deutschen Amts- und Landesgerichte ausgewertet. Zugrunde gelegt hat der wissenschaftliche Mitarbeiter der kriminologischen Abteilung die Jahre 2004, 2007 und 2010. Die Abweichungen von mehr als 20 Prozent machen ihn stutzig: „Das hat mich schon ein bisschen überrascht.“ Dass nicht überall gleich geurteilt werde, sei bekannt. Doch so starke Unterschiede seien ein neuer Befund. Die Daten hat er aus dem Bundeszentralregister erhalten.

Hat 1,5 Millionen Urteile ausgewertet und ist überrrascht: der Freiburger Wissenschaftler Volker Grundies.

Woher kommt die Freiburger Milde? „Juristen sagen, Baden hat eine alte liberale Tradition“, erklärt Grundies. Er hält ein „Fortschreiben lokaler Praktiken“ für wahrscheinlich. Wer den Beruf neu erlerne, orientierte sich daran, was man ihm vor Ort zeige. „Oft bekommen Richter zu Gesicht, was sich in der Umgebung abspielt“, erklärt Grundies. Gerade bei häufigen Urteilen schaue man sich die Entscheidungen der Kollegen an. Gerüchteweise gibt es bei Richtern sogar inoffizielle lokale Strafmaßtabellen. Justiz-Mitarbeiter weisen das zurück, doch Grundies will das auch von Richtern erfahren haben.

Ist die Studie Lob oder Schelte für Freiburg? „Weder noch“, sagt Lars Petersen vom Amtsgericht Freiburg. „Meine Schöffen und ich sind immer der Auffassung, dass das von uns gesprochene Urteil so richtig ist.“ Beim Freiburger Landgericht sagt Richter Klaus-Dieter Stark auf chilli-Anfrage: „Die Vergleichbarkeit von Urteilen ist fraglich.“ Eine „Freiburger Milde“ sei ihm nicht bekannt. Die konkreten Umstände jedes Einzelfalls müssten berücksichtigt werden.

Das kontert Grundies: „Sie sagen, das sind immer Einzelfall­entscheidungen, aber es geht hier um systematische Unterschiede.“ Seine Studie hat viele Parameter berücksichtigt: die Schwere der Tat, Vorstrafen, mildernde Umstände, Alter, Nationalität und Geschlecht der Verbrecher.

Eine Datenbank soll helfen

Spiegel Online hat die Daten aufbereitet und rechnet vor: Freiburger Verbrecher wandern bei Drogendelikten rund sechs Monate ein, in Frankfurt rund 10,5 Monate. Wer in Nürnberg erwischt wird, bekommt in 60 Prozent der Fälle eine Haftstrafe ohne Bewährung, in Bremen sind es nur 40 Prozent. Grundies wünscht sich ein einheitlicheres Strafmaß – und stößt etwas an: Beim deutschen Juristentag im September ist seine Studie diskutiert worden. In Aussicht ist nun eine zentrale Datenbank, die Richtern und Staatsanwälten einen bundesweiten Überblick verschaffen soll.

Das scheint nötig. Denn ein halbes Jahr mehr oder weniger Gefängnis fürs gleiche Verbrechen ist laut Untersuchung in Deutschland Realität. Außer im Bereich Verkehr liegt das Landgericht Freiburg in allen Rubriken weit unter dem Bundesschnitt. Nur Karlsruhe, Offenburg und Kiel können da mithalten. So ist Baden demnach die Hauptstadt der Gnade.

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