Der Notgeldwahnsinn in Freiburg: Als 4,2 Billionen Papiermark einen US-Dollar wert waren Politik & Wirtschaft | 09.12.2018 | Dirk Schindelbeck

Es war am 4. Oktober 1918: Die Reichsbank in Berlin schickt einen telegrafischen Hilferuf ans Freiburger Rathaus. Man sei „von allen Zahlungsmitteln entblößt“ und bitte darum, „dass die ­Städte Notgeld ausgeben, in 5-, 10- und 20-Mark-Noten.“

Das Geld sollte bis zum 1. Februar 1919 gültig sein. Danach, so die Reichsbank, sei sie wieder in der Lage, reguläre Zahlungsmittel zu liefern. Es war nicht das erste Mal, dass man in Freiburg Geld drucken musste. Und nicht das letzte.

Bereits im Oktober 1917 hatte das Rathaus 213.500 50-Pfennig-Scheine ausgegeben, um den Wirtschaftskreislauf aufrechtzuerhalten. Schließlich waren während des Krieges fast alle Münzen aus dem Umlauf verschwunden und zu Rüstungszwecken eingeschmolzen worden.

Noch bis Ende November 1923 gab man Papiergeld mit inzwischen Milliardenwerten aus. Doch das Wettrennen gegen die rasende Entwertung des Geldes war aussichtslos: Morgens ausgegeben, hatte es mittags die Hälfte seiner Kaufkraft verloren. Am Ende entsprachen 4,2 Billionen Papiermark mal einem US-Dollar.

1917: Die 50-Pfennig-Scheine waren mit einem Greif-Motiv des umstrittenen Grafikers Joseph Schroeder-Schönenborn geschmückt.

Dabei kannte die Inflationsperiode amüsante Zwischenkapitel. Zwischen 1920 und 1922 gab es das sogenannte Seriennotgeld. Das sind Scheine, die auf sechs oder acht Kleinwerten Geschichten erzählten, Werbung für die örtliche Industrie machten oder den Fremdenverkehr befördern sollten. Das zog vor allem die Sammler an.

Unter den Städten entstand damals sogar ein Wettbewerb, ihr Seriennotgeld immer attraktiver zu gestalten. Bis Ende 1921 tauchten immer mehr Orte als Geldausgabe-Stellen auf – insgesamt mehr als 1200. Selbst eine Hallig wie Langeneß, auf der vielleicht 50 Menschen lebten, präsentierte stolz eine Serie von sechs Scheinen. Längst begnügte man sich nicht mehr damit, den Sammlern nur einen Schein anzubieten, sondern gleich vier, acht oder zehn verschiedene. Schließlich bedeutete jeder nicht eingelöste Schein einen Reingewinn für die Stadtkasse. Und das beste Geschäft dabei machte die Gemeinde mit den frechsten Sprüchen und schönsten Motiven.

Sehr früh sprang auch die Stadt Freiburg auf diesen Zug auf. Das 800-jährige Stadtjubiläum im Juli 1920 bot den willkommenen Anlass, eine Serie aus drei Motiven aufzulegen. Auf rosa Grund zeigte sie das Münster, das historische Kaufhaus und das neue Rathaus.

Mit Schwabentor: Diese Scheinserie hatte der Geschäftsmann Alexander Schnell entworfen.

Der Beweggrund der Geldausgabe offenbart sich – ganz unverblümt – in Akten aus dem Stadtarchiv: „Die Kosten würden durch den Verkauf der Scheine an Sammler nicht nur völlig wieder eingebracht, sondern es könnte eine ansehnliche Summe noch als Überschuss erzielt und teilweise zur Deckung der Kosten für die Jubiläumsausstellung verwendet werden“, heißt es da. Es könne doch erwartet werden, „dass die Mehrzahl der Freiburger Bürger sich solche Scheine zur Erinnerung an das Stadtjubiläum aufbewahrt.“ Und die Scheine spülten tatsächlich erhebliche Geldmittel in die Stadtkasse.

Das zog auch Spekulanten an. Im September 1921 erschien am Notgeldmarkt eine zweite, aus sechs Motiven bestehende Freiburg-Serie. Wieder zeigte sie Motive örtlicher Bauwerke wie die Stadttore, die Universität und das Stadttheater. Diesmal war aber nicht die Stadt der Initiator, sondern ein Glücksritter: Alexander Schnell.

Der hatte auf eigenes Risiko die Scheine herstellen und sich von der Stadt tatsächlich das Alleinvertriebsrecht vertraglich zusichern lassen. Doch dieses Mal ging die Rechnung nicht auf. Schnells Firma „Trans Oceanic“ verlangte für die Serie im Nennwert von drei Mark sage und schreibe acht Mark. Davon sollten der Stadt zwei Mark und der Firma drei verbleiben. Doch so viel wollte kein Sammler dafür bezahlen. In Freiburg – wie auch andernorts – war das Seriennotgeld, das ja die Zahlungsmittelknappheit beseitigen sollte, zum reinen Spekulationsobjekt verkommen. Am 17. Juli 1922 ­stoppte die Reichsregierung per Gesetz den „Serien-Notgeld-Unfug“.

Aber nur wenige Wochen später nahm die Inflation erst richtig Fahrt auf. Im Herbst 1922 klopfte die Reichsbank daher erneut im Freiburger Rathaus an, mit der Bitte, Zahlungsmittel herzustellen. Jetzt ging es um deutlich höhere Werte als 1918 – es ging um 500-Mark-Scheine, es ging um 50 Millionen.

10.000.000.000 Mark: 1923 legte die Stadt offenbar keinen Wert mehr auf Schmuckwerk.

Und die Freiburger lieferten nicht nur, sie investierten auch viel in das Design ihres neuen Großgeldscheins. Als Motiv wählten sie den „Heiligen Georg im Panzerhemd“ vor der historischen Stadtkulisse (Abb. links oben). Mit Kontrollziffer und Wasserzeichen entsprach der 500-Mark-Schein auch erstmals den damals üblichen Sicherheitsstandards. Doch der Gesamtwert der Ausgabe, die 50 Millionen, reichten schon am Folgetag nicht mehr, um die Zahlungsmittelnot zu beseitigen. Mindestens die doppelte Summe war nötig, wurde bewilligt und gedruckt.

Dieses „Spiel“ sollte sich fortan in immer kürzeren Abständen wiederholen. Im Februar 1923 musste die Stadtverwaltung einen neuen Schein nachlegen – im Nennwert von jetzt schon 5000 Mark. Vier Monate später war man schon bei Millionenwerten angekommen. Längst war die Reichsbank nicht mehr in der Lage, den Zahlungsmittelbedarf auch nur ansatzweise zu decken, obwohl schon mehr als 130 ­Druckereien rund um die Uhr beschäftigt waren.

Immerhin: Trotz der immer kürzeren Verfallszeit findet sich auf jedem ausgegebenen Geldschein bis in den August hinein noch eine sorgfältig wiedergegebene Stadtansicht. Sie bewahrte das Bild des vertrauten Freiburgs aus „der guten alten Zeit“. Auch wenn es von Schein zu Schein immer kleiner und unschärfer wurde.

Am 23. Oktober 1923 wandte sich Oberbürgermeister Karl Bender in einem Eil-Telegramm an den Innenminister: „Erbitte Genehmigung zur Notgeldausgabe in Scheinen bis 50 Milliarden einstweilen 1.000 Billionen.“ Das Ergebnis waren in aller Hast hergestellte Scheine ohne jegliches Schmuckmotiv und unbedruckter Rückseite.

Es waren die höchsten jemals in Freiburg gedruckten Geldwerte – und auch die letzten ihrer Art. Ende November 1923 konnte die Hyperinflation endlich gestoppt und mit der Einführung der Rentenmark eine stabile Währungsepoche eingeleitet werden. Die Zeche zahlten die vielen Millionen Sparer, die kleinen Angestellten, die Rentner: Sie verloren ihre gesamten Ersparnisse.

Fotos: © Alle Bilder aus Schindelbecks Archiv