Atomschrott statt Atomkraft? AKW Fessenheim soll 2020 abgeschaltet werden Politik & Wirtschaft | 14.03.2019 | Lars Bargmann

Nach dem Spiel ist vor dem Spiel? Das seit Jahrzehnten hoch umstrittene Atomkraftwerk Fessenheim soll Mitte des kommenden Jahres endgültig stillgelegt werden. Die Pläne, im Anschluss daran eine Recycling-Anlage für Atomschrott in Betrieb zu nehmen, markieren derweil wohl die nächste, binationale Zoffzone.

Es war irgendwie bezeichnend für die Verfassung des ältesten Atommeilers in Frankreich: Nur zwei Tage nach der 400. Montagsmahnwache in Breisach musste am vergangenen 19. Dezember wieder mal ein Reaktor außerplanmäßig heruntergefahren werden. Eine Turbine im Maschinenraum habe die Notabschaltung ausgelöst, meldete der Betreiber Électricité de France (EDF).

Die Freiburger SPD-Landtagsabgeordnete Gabi Rolland forderte hernach direkt: „Es kann eigentlich nur noch eine Entscheidung geben, der Reaktor sollte gar nicht mehr angeschaltet, sondern für immer stillgelegt werden.“ Natürlich ließ der Stromriese auch dies von sich abperlen. Vielmehr erließ erst vor wenigen Tagen die französische Atomaufsicht der EDF eine Nachrüstung mit leistungsstarken Notgeneratoren, die der mehrheitlich in Staatsbesitz befindliche Konzern (die EnBW ist mit 17,5 Prozent beteiligt) für den kompletten Nuklearpark anschaffen muss. Für Fessenheim nicht, weil Fessenheim eben in eineinhalb Jahren ohnehin runtergefahren wird. So heißt es jedenfalls heute.

Auf der anderen Seite fordert der börsennotierte Stromriese (Umsatz 2017: 69,6 Milliarden Euro) vom Staat eine millionenschwere Entschädigung für die Schließung. „Der Verdienstausfall ist beträchtlich, da wir eine gut funktionierende Produktionsstätte haben“, sagte Konzernchef Jean-Bernard Lévy unlängst in Paris. „Gut funktionierend“, bei dieser Beschreibung mag mancher lachen, manch anderer weinen.

Auch bei den jüngst bekannt gewordenen Plänen für eine Nachnutzung des Areals gibt es gespaltene Auffassungen. Der Region könnte demnach eine Recycling-Anlage für Atomschrott anstelle eines Atomkraftwerks drohen. Lévy schwebt offenbar vor, direkt neben den zwei Reaktoren eine zentrale Anlage für Bestandteile abgeschalteter Kernkraftwerke, etwa Dampferzeuger,
zu errichten und dort auch radioaktive Abfälle zu verpacken.

Geht es um 400 Millionen Euro Entschädigung?

Und zwar nicht die von Fessenheim. Sondern aller französischer Atomanlagen und am besten noch die der deutschen. Das sagte er bei einer feierlichen Unterzeichnung einer Absichtserklärung für die Zukunft der Raumschaft Fessenheim Anfang Februar im elsässischen Vogelsheim.

Das Papier „Für die Zukunft des Raumes Fessenheim“ hat auch der BUND-Regionalverband Südlicher Oberrhein gelesen. In der Absichtserklärung steht als ein Ziel die „Entwicklung von innovativen Tätigkeiten mit hoher Wertschöpfung am Standort des KKW“. EDF arbeite an dem Projekt eines Technologieclusters „Techno-Centre“ zur Begleitung von „europäischen Rückbauprojekten durch die Verwertung der großen elektromechanischen Bauteile der Kernkraftwerke“ sowie durch die Entwicklung von Industrieinnovationen.

„Zum derzeitigen Zeitpunkt gibt es für das Techno-Centre kein Einvernehmen“, heißt es dort. Nicht nur beim BUND schrillen genau bei diesem Punkt die „Alarmglocken“. Geschäftsführer Axel Mayer begrüßt das fehlende Einvernehmen der grenzüberschreitend Projektbeteiligten und fordert „konkrete Informationen“ zur EDF-Planung. „Die Bevölkerung ist durch den Betrieb des AKW jahrzehntelang gefährdet.“ Nach einer Abschaltung und erst nach der Entleerung der „hochgefährlichen Abklingbecken“ werde tatsächlich auch die große Gefahr eines schweren Atomunfalls größtenteils gebannt sein. Dennoch bringe auch der Abriss Belastungen für die gesamte Raumschaft. Eine neue „Atomfabrik“ würde diese Belastungen verstärken und sei darum für den BUND „nicht akzeptabel“.

Der französische Staat, die Region Grand Est, das Département Haut-Rhin, verschiedene Gemeindeverbände, das Chambre de Commerce et d’Industrie (CCI), EDF, das Land Baden-Württemberg, der Landkreis Breisgau-Hochschwarzwald, die Städte Freiburg und Colmar sowie die Industrie- und Handelskammer (IHK) Südlicher Oberrhein haben das Papier unterzeichnet. Darin gibt es viele auf beiden Seiten des Rheins begrüßte Pläne. Die Renaissance der Bahnstrecke Colmar-Freiburg, die seit Ende des Zweiten Weltkriegs stillgelegt ist, ist nur einer darunter.

Staatssekretär Volker Ratzmann wies wie nebenbei darauf hin, dass Ministerpräsident Winfried Kretschmann einst den Anstoß für eine Machbarkeitsstudie für die Bahnstrecke Colmar-Freiburg gegeben hatte. „Es ist ein starkes Symbol, dass die französische Regierung, die Landesregierung Baden-Württemberg und auch der Bund hier eng zusammenarbeiten, um die Zukunft der Region rund um Fessenheim gemeinsam zu gestalten. Zusammen werden wir energie- und wirtschaftspolitische Ideen für die zukünftige Nutzung des aktuellen Geländes des AKW Fessenheim voranbringen“, gab sich Ratzmann optimistisch.

Regierungspräsidentin Bärbel Schäfer erklärte in einer Pressemitteilung, der Aachener Vertrag und die Absichtserklärung böten „sehr gute Grundlagen, um die konkreten Projekte umzusetzen“. Auch der geplante Deutsch-Französische Gewerbepark sei eine „Riesenchance“ für die Ansiedlung von Gewerbe und könne bei „kluger Konzeption“ unter Einbeziehung der ansässigen Kommunen und des Landkreises ähnlich erfolgreich werden wie der Gewerbepark Breisgau: „Es ist außerordentlich erfreulich, dass es nach den harten Auseinandersetzungen um das KKW Fessenheim zu einem konstruktiven Miteinander gerade auch in dieser Raumschaft kommt.“

Die Recycling-Anlage indes, der einzige Punkt, bei dem der Dissens im Papier vermerkt ist, sieht sie sehr kritisch und ist sicher, dass sie bei den Bürgern der Region auf keine Akzeptanz stoßen wird. Und auch, dass ein solches „Techno-Centre“ beim geplanten Aufbau einer Modellregion für Erneuerbare Energien im südlichen Elsass konzeptionell nicht passt. Mit den Plänen verbunden wäre, dass Atomteile quer durch die Republik nach Fessenheim transportiert werden müssten. Dabei werden hierzulande schnell die Bilder der – inzwischen gestoppten – Castor-Transporte wach.

Gérard Hug, Präsident des Gemeindeverbands Pays Rhin Brisach, erzählt im Gespräch mit dem business im Breisgau, dass das Techno-Centre „ohne deutsche Zustimmung“ nicht durchführbar sein wird. Die EDF sei aber ein „historischer Partner“, das AKW quasi Teil der Landschaft, und die Bevölkerung nehme die Stilllegung ohne Begeisterung einfach nur hin.

Hug will sich darauf konzentrieren, die rund 2000 durch die Stilllegung verloren gehenden Arbeitsplätze durch die Ansiedlung neuer Unternehmen „wieder aufzubauen“, weil „diese Stilllegung auch auf die Läden wirken wird“. Zudem müsse der verkehrliche Zugang zum Gebiet vereinfacht werden: durch die Autobahnen A 35 und A 5, neue Fahrradwege und natürlich die neue Bahnstrecke Colmar-Freiburg. Der Gemeindeverband versucht, der Bevölkerung die Zukunft von Fessenheim näherzubringen. Denn ohne deren Akzeptanz „kann es nicht funktionieren“. Einen Rückbau der beiden Reaktoren hält er erst „in vielen Jahren“ für möglich.

Einen – rechtlich verbindlichen – Stilllegungsantrag hat EDF übrigens noch nicht gestellt. Normalerweise muss ein solcher zwei Jahre vor der realen Stilllegung bei der Aufsichtsbehörde Autorité de Sûreté Nucleaire (ASN) eingereicht werden.

Mitarbeit: Lucile Gagnière

Foto: © Oliver Münzer – Swing Europe