»Großer Schluck aus der Pulle«: Freiburgs Finanzbürgermeister Stefan Breiter im Interview Politik & Wirtschaft | 27.05.2019 | Lars Bargmann

Es war sein erster Doppelhaushalt, den der von der CDU ins Amt gebrachte Freiburger Finanzbürgermeister Stefan Breiter am 9. April verabschiedete. Es ist ein Rekordhaushalt. Er sieht bis zu 70 Millionen Euro an neuen Schulden vor. Warum der 51-Jährige dennoch gut schlafen kann, erzählt er im Gespräch mit Chefredakteur Lars Bargmann.

bib: Herr Breiter: Haushalte werden in guten Zeiten ruiniert. Bei Rekordeinnahmen von mehr als zwei Milliarden Euro stehen dennoch 70 Millionen neue Schulden im Plan. Ruiniert Freiburg heute seine wirtschaftliche Bilanz von übermorgen?

Breiter: Wir haben einen ausgeglichenen Ergebnishaushalt, erfüllen alle Kriterien des Haushaltsrechts und können alle Abschreibungen finanzieren. Insofern nein. Allerdings haben wir mit 258 Millionen Euro einen sehr hohen Investitionshaushalt, das ist ein großer Schluck aus der Pulle …

bib: … einer, an dem sich die Stadt bald verschluckt?

Breiter: Freiburg ist bekanntlich eine stark wachsende Stadt und übernimmt als Oberzentrum viele Aufgaben weit über die Stadtgrenzen hinaus für die Region. Der Erhalt und Ausbau der In-frastruktur ist mit wachsenden Kosten verbunden. Vieles an Aufgaben wird in Bund und Land definiert und Freiburg hat keinen unmittelbaren Einfluss da-rauf, etwa der Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung. In Berlin beschlossen, in Stuttgart gelobt und teilweise gefördert, in Freiburg umgesetzt und bezahlt. Oder die Staudinger Gesamtschule, die bereits bei meinem Amtsantritt bis zur letzten Türklinke und Lichtschalter geplant war.

bib: Nicht wenige hätten gedacht, dass der neue Finanzbürgermeister das Geld noch mehr zusammenhält …

Breiter: Jeder Doppelhaushalt baut sich auf dem vorherigen auf. 80 Prozent der Investitionen sind durch gesetzliche Vorgaben oder politische Entscheidungen vordefiniert. Wir können ja nicht einfach den letzten Bauabschnitt bei der Sanierung des Augustinermuseums stoppen. Ich stelle aber schon die Frage, ob wir beim Niveau unserer Neubauvorhaben immer ganz oben dabei und Vorreiter und Preisträger sein müssen. Es geht mir um die Standards. Die letzten zehn Prozent am Optimum sind meist die teuersten. Reicht grundsolide und zeitnah nicht?

bib: Die Bürgermeisterriege hatte anfangs noch einmal 80 Millionen Euro mehr an Investitionen angemeldet …

Breiter: … alles Maßnahmen mit einer gewissen Berechtigung. Dennoch muss man das Wünschenswerte vom Machbaren trennen können. Ich darf Ihnen versichern, es waren harte, aber konstruktive Gespräche …

bib: … bei denen was vom Verhandlungstisch fiel?

Breiter: Etwa die Sanierung des Lycée Turenne und vieles mehr.

bib: Grünen-Chefin Maria Viethen kritisierte in ihrer Haushaltsrede, dass von der Rathausspitze widersprüchliche Botschaften kommen. Auf der einen Seite wird zur Disziplin gerufen, auf der anderen werden neue Stabsstellen geschaffen, Ämter geteilt, auf bereits beschlossene Einnahmen, etwa aus dem Verkauf des Stadtarchivs in der Innenstadt, wird doch wieder verzichtet, Stadtbau-Mieten werden eingefroren …

Breiter: Es ist vollkommen legitim, dass ein neuer Oberbürgermeister politische Schwerpunkte setzt. Meine Aufgabe ist es nicht, solche zu verhindern, sondern Lösungswege für die Umsetzung zu suchen. Klar ist, dass Mehrausgaben auf der einen Seite zu Minderausgaben oder Mehreinnahmen auf der anderen Seite führen müssen. Sonst kippt die Waage. Das Thema „bezahlbarer Wohnraum“ hat oberste Priorität. Es ist für mich und die Dezernenten selbstverständlich, den Oberbürgermeister bei der Umsetzung seiner Ziele mit aller Kraft zu unterstützen. Hierfür benötigen wir mehr Personal. Das Mietmoratorium endet zum 31.12.2019. Beim Thema Stadtarchiv sind wir in intensiven Verhandlungen.

bib: Waren Sie von der Antragsflut der Fraktionen, die 460 zusätzliche Kostenblöcke angemeldet hatten, überrascht? Ein Stadtrat erzählte uns, der Gemeinderat habe bei der zweiten Lesung „ein wahres Feuerwerk“ veranstaltet. Auf 8,1 Millionen Euro summiert sich das Feuerwerk. Wie bewerten Sie das?

Breiter: Das bewerte ich nicht über die Presse. Allerdings war das Ganze für mich sehr gewöhnungsbedürftig. Wir haben versucht, gerade im Vorfeld der anstehenden Kommunalwahl, so viel wie möglich der Fraktionswünsche im Haushaltsentwurf abzubilden. Gerade, um die Ausgaben sachlich begründet und nicht politisch motiviert eingeordnet zu bekommen. In meiner Zeit im „Schwäbischen“ war das immer ein gerne angenommenes Agreement. Der Kuchen wurde aus fachlicher und sachlicher Notwendigkeit verteilt und die politischen Gremien haben dies gelobt oder getadelt. Aber der Hunger war gestillt. Zutiefst verwundert hat mich, dass teilweise Erhöhungen von Zuschüssen beschlossen wurden, die weit über die Anträge der antragstellenden Einrichtungen gegangen sind. Das kannte ich bisher so nicht. Auch Mahnungen, dass Mehrausgaben die heute beschlossen werden, an anderer Stelle fehlen – und das dauerhaft –, blieben ungehört.

bib: Der politische Druck im Vorfeld der Kommunalwahl war offenbar sehr groß …

Breiter: Ja. Sie dürfen davon ausgehen, dass ich meine Schlüsse und Lehren für den nächsten Doppelhaushalt gezogen habe. Es stehen dann ja auch keine Wahlen an. Organe nach der Gemeindeordnung sind der Oberbürgermeister und der Gemeinderat. Letztendlich tragen diese Organe der Stadt die finanzielle und politische Verantwortung für den Haushalt unserer Stadt.

bib: Die FDP kritisierte, dass die anderen Fraktionen „fröhlich noch ein paar Millionen draufgepackt“ haben, die Generationengerechtigkeit bleibe auf der Strecke …

Breiter: Ich kann dem nur bedingt widersprechen. Wenn in Zeiten von Rekordeinnahmen Schulden nicht minimiert oder mindestens keine neuen gemacht werden, läuft was schief. Dennoch ist er für mich am Ende generationengerecht, weil wir in Kinderbetreuung und Schulen investieren, weil wir einen Sanierungsstau abarbeiten, weil wir einen Mindeststandard bei der Digitalisierung brauchen. In Zeiten von Niedrigzinsen wäre es auch der falsche Weg, mit gezogener Handbremse zu fahren. Das würde die Bürgerschaft auch nicht verstehen.

bib: Es werden Zeiten kommen, wo Sie nicht aus dem Vollen schöpfen können, dann fehlt der Spielraum …

Breiter: Für die Stadt Freiburg sind jährliche Investitionen von rund 90 Millionen Euro verträglich. Darüber hinaus kann es nur in Ausnahmefällen gehen, es würde die finanzielle Leistungsfähigkeit der Stadt überfordern. Nach Jahren großer Investitionen werden wir auch Verschnaufpausen brauchen.

bib: Das Regierungspräsidium (RP) hat unlängst die Stadt Kehl aufgefordert, mit dem nächsten Haushalt ein Investitionsprogramm vorzulegen, das den finanziellen Möglichkeiten der Stadt entspricht. Gab es solche Gesprächsinhalte auch in Freiburg?

Breiter: Das sind keine einfachen Gespräche. Aber das RP erkennt unsere strategischen Überlegungen an und ist mit unserem Investitionsprogramm einverstanden.

bib: Auch damit, dass immer mehr Eigenbetriebe gegründet werden, um Dinge aus dem Kernhaushalt rauszuhalten? Die Sanierung von Schulen gehört doch nicht in Eigentriebe …

Breiter: Im Grundsatz gebe ich Ihnen Recht. Es geht beim Staudinger aber auch um eine schnellere, effektivere Bauabwicklung im laufenden Betrieb. Statt in drei können wir nun in zwei Bauabschnitten bauen. Dies spart Geld. Im RP wird auch gesehen, dass in unseren städtischen Unternehmen zwar investitionsbedingt die Verschuldung steigt, aber auch immens Werte wie zum Beispiel der Wohnungsbestand der FSB geschaffen werden.

bib: Der Schuldenberg wird bis 2022 auf 1,6 Milliarden Euro wachsen, 300 Millionen fehlen in der Rathauskasse, 1,3 Milliarden bei Beteiligungen und Eigenbetrieben. Können Sie da noch ruhig schlafen?

Breiter: Ja. Wenn die Stadtbau für 3100 neue Wohnungen 900 Millionen investiert, dann mehrt sich auch das Vermögen im Konzern Stadt Freiburg. Auch die VAG schafft durch ein modernes Stadtbahnnetz enorme Werte, die allerdings auf dem Markt nicht wirklich platziert werden können. Ebenso bei Schulen.

bib: Und beim Bau von neuen Verwaltungsgebäuden im Stühlinger, wo der auf 80 Millionen Euro taxierte zweite Bauabschnitt vor der Tür steht?

Breiter: Auch da. Bereits für den ersten Bauabschnitt stand das bisherige Ordnungsamt an der Basler Straße zur Gegenfinanzierung zur Verfügung. Einsparungen für den zweiten BA ergeben sich durch die Minderung von angemieteten Büroflächen der Stadtverwaltung. Gerade mein Dezernat ist in einer hochpreisigen Immobilie am Fahnenbergplatz eingemietet. Ich zahle zukünftig lieber Miete an unseren Eigenbetrieb als an eine Immobiliengesellschaft.

bib: Den Freien Wählern fehlt eine Kostenberechnung, wie sich der 50-Prozent-Beschluss für sozialen Mietwohnungsbau im Dietenbach und der Verkaufsstopp für städtische Grundstücke finanziell auswirken. Können Sie die liefern?

Breiter: Beim Stadtteil Dietenbach werden wir uns verwaltungsintern und mit den Fraktionen noch unterhalten müssen. Da geht es politisch und finanziell um den richtigen Weg. Der 50-Prozent-Beschluss für sozial geförderten Wohnungsbau ist bindend. Ich habe aber stets in die politische Diskussion eingebracht, dass die anderen 50 Prozent freifinanzierten Wohnung die Defizite aus dem sozial geförderten Wohnungsbau quersubventionieren müssen. Das ist einfache Mathematik. Wichtig ist auch die Tatsache, dass nur die Mieten aus den teureren freifinanzierten Mieten in den qualifizierten Mietspiegel einfließen. Dies kann zur Folge haben, dass sich die Mietspiegelmieten dadurch erhöhen. Neben steigenden Bodenpreisen, den ausufernden steigenden Baukosten und Veränderungen am Zinsmarkt sehe ich in dem zwar gut gemeinten 50-Prozent-Beschluss eine weitere Stellschraube für steigende Mietpreise auf dem Gesamtmarkt.

bib: Der Freiburger Haushalt plant immer auch mit Einnahmen aus dem Verkauf von Flächen.

Breiter: Richtig, da steht für 2019 und 2020 der Erlös von 26 Millionen Euro drin. Wenn wir keine Grundstücke mehr verkaufen, stellt sich die Frage, wie wir das finanzieren? Dankenswerterweise haben die Fraktionen den Beschluss dahingehend modifiziert, dass er nicht für Arrondierungsflächen und schon in der Pipeline liegende Fälle sowie für Gewerbegrundstücke gilt. Und auch nicht für Dietenbach.

bib: Aus dem Feuerwerk sprangen auf der anderen Seite auch noch fünf Millionen Euro für eine aktivere Liegenschaftspolitik heraus …

Breiter: Was ich sehr begrüße. Wir werden zukünftig Geld in der Kasse brauchen, um verstärkt strategische Grundstückskäufe tätigen und Vorkaufsrechte ausüben zu können.

bib: Sind eigentlich 15.000 neue Einwohner im Dietenbach unterm Strich haushaltsneutral?

Breiter: Gute Frage, aber: Nein. Die Kommune macht fiskalisch keinen Gewinn. Wir bekommen zwar für jeden Einwohner monatlich rund 1400 Euro, aber die Infrastruktur und Folgekosten sind höher. Auf der anderen Seite stärken 15.000 neue Bürger auch die Wirtschaftskraft der Stadt. Unterm Strich sind wir trotzdem Gewinner. Anderswo ist Schwund, wir wachsen, sind attraktiv, uns geht es doch hervorragend. Wir führen gewissermaßen eine „Luxusdebatte“.

bib: Als Sportbürgermeister müssen Sie für eine neue Eishalle für den Last-minute-Drinbleiber EHC Freiburg sein. Und sich über den Aufstieg der HSG-Handballerinnen in die Zweite Bundesliga freuen. Als Finanzbürgermeister auch?

Breiter: Wenn sich der Sportbürgermeister freut, ist das nicht immer deckungsgleich mit dem Finanzbürgermeister. Auch die SC-Frauen sind erfolgreich (Breiter war beim Pokalfinale gegen Wolfsburg in Köln, d. Red.) und würden ihre Zukunft gerne im Schwarzwaldstadion ausbauen. In den 180 Sportvereinen sind 80.000 Frauen und Männer organisiert und es wird hervorragende Arbeit geleistet. Dies verdient es zu würdigen, zu fördern und zu unterstützen. Hierzu stehe ich uneingeschränkt.

bib: Wie soll ein neues, bis zu 30 Millionen Euro teures Eisstadion finanziert werden, wenn schon kein Geld für ein Außenbecken beim Westbad drin ist?

Breiter: Diese Frage beschäftigt mich seit Amtsantritt. Gemeinsam mit dem EHC möchte ich für alle langfristige, tragfähige Antworten finden. Auch wenn es nicht einfach wird, werden wir das Ziel erreichen. Das Westbad Außenbecken ist finanziert und wird im Sommer 2022 eröffnet.

bib: Der nächste Eigenbetrieb? Oder findet sich ein externer Investor?

Breiter: Es darf keine Denkverbote geben. Ich schließe einen Investor nicht grundsätzlich aus. Aber das Gesamtpaket muss stimmen. Freiburg hat eine große Eissporttradition, da geht es bei weitem nicht um die Profis und um den Verein, sondern auch um Breiten- und Schulsport.

bib: Die Finanzierung wird noch deutlich anspruchsvoller als die des neuen SC-Stadions …

Breiter: Da muss man ehrlich sein. Der SC Freiburg kann sich an der Stadiongesellschaft mit 27 Millionen
Euro beteiligen und eine dem Stadion angemessene Pacht zahlen. Der EHC – so sympathisch der Verein auch ist – bekommt einen Betriebskostenzuschuss.

bib: Was halten Sie von einer Multifunktionshalle, in der auch Konzerte über die Bühne gehen könnten?

Breiter: Kommt Bon Jovi nach Freiburg, weil wir eine tolle Halle haben? In Ludwigsburg haben sie genau das probiert, ohne großen Erfolg. Ich mache beim Bedarf nach einer Multifunktionsarena ein großes Fragezeichen.

bib: Die CDU fordert einen Finanzausschuss, um die Finanzen engmaschiger zu erfassen und politisch besser steuern zu können. War das bisher nicht gegeben?

Breiter: Es ist kein Geheimnis, dass die Idee aus meinem Dezernat kommt. Bisher beraten wir viele Fragen in der Stadt in Kommissionen und Ausschüssen. Wir reden über alles Mögliche, aber bei den Finanzen nicht in der gewünschten Tiefe. Welche Mittel stehen zur Verfügung und was kann der Haushalt leisten? Ich wünsche mir einen beschließenden Finanzausschuss, der Mittel freigibt, der tief in die Beteiligungen der Stadt einsteigt, der den finanziellen Rahmen für zukünftige Projekte freigibt oder auch nicht, der Finanz- und Leistungsziele der städtischen Gesellschaft definiert. Ein Ausschuss, besetzt mit Expertinnen und Experten, die neben den Fragen der Notwendigkeit und der Standards von Bauprojekten auch und vor allem die finanzielle Leistbarkeit definiert und bestimmt. Nicht selten werden Finanzausschüsse deshalb als Königsausschüsse bezeichnet.

bib: IHK-Präsident Steffen Auer sagte unlängst, die Ortenau sei wirtschaftsfreundlich, Freiburg eher nicht.

Breiter (nickt): In Stuttgart machen sich die politischen Gremien längst viel mehr Gedanken über die wirtschaftliche Großwetterlage. In Baden-Württemberg hängt jeder vierte Arbeitsplatz mittelbar oder unmittelbar an der Automobilindustrie. Die Frage ist, ob es unseren Flaggschiffen der deutschen Wirtschaft gelingt, bei der Mobilität und Antriebstechnik auf das richtige Pferd zu setzen. Jetzt werden Sie zu Recht sagen, dass Freiburg seit jeher vom Dienstleistungssektor geprägt und Stuttgart weit weg ist. Letztendlich sind wir aber gerade deshalb in hohem Maße von den Steuereinnahmen und Schlüsselzuweisungen des Landes abhängig. Ich wundere mich schon, wie wenig in Freiburg die Fragen nach der Herkunft unseres Geldes gestellt werden, wie es verdient wird, sondern eher, wie es am besten ausgeben werden kann.

bib: Herr Breiter, vielen Dank für dieses Gespräch.

Foto: © Till Neumann