Heimspiel: „Ich erlebe meinen Traum“ Szene | 23.11.2019 | Kornelia Stinn

Joel Da Silva und seine Band

„Du bist Musik, Joel“, hatte schon seine Mutter zu ihm gesagt, als er noch ein kleiner Junge war. Gleich einem Mantra scheint dieser Satz Joel Da Silva zu durchdringen.

Leidenschaftlich verkörpert der brasilianische Dirigent, Sänger, Pianist und Komponist seinen Lebenstraum von Rhythmus und Gesang und macht diesen zu einer Plattform für Integration. Auch im Knast.

„Ich bin in São Paulo geboren. Musik bedeutet für mich Herkunft und Heimat. Schon als kleines Kind hatte ich meine erste intensive Begegnung mit Musik. Meine Mutter ist Sopranistin. Wenn sie mich schlafen legte, hat sie mir Lieder vorgesungen und ich habe mitgesungen. Schon da hat sie mir gezeigt, wie eine zweite Stimme funktioniert. Mit 14 habe ich zu dirigieren begonnen. Als ich 2005 Brasilien verließ, um meine Schwester in Deutschland zu unterstützen, leitete ich einen Chor mit 350 Menschen.

Ich habe auch eine Ausbildung als Musiktherapeut und Sozialarbeiter. Mit meiner Arbeit will ich erlebbar machen, dass Musik Heimat sein kann und verbindet. So kam mir die Idee zu dem Projekt „Wo ich singe, ist meine Heimat“. Von 2016 bis 2019 hat das Bundesamt für Migration an drei Freiburger Schulen diese Workshops und Auftritte von Schülern und Schülerinnen, deren Eltern und Lehrern mit und ohne Migrationshintergrund gefördert. Es entstand ein Nationen und Generationen übergreifender Chor von rund 70 Mitgliedern, den ich bis heute leite. Das Jugendhilfswerk übernahm ihn unter dem Namen „Jump“.

Musik ist eine Sprache, man kann sich dadurch mitteilen. Sie kann verändern. Das erlebe ich gerade in der Justizvollzugsanstalt Freiburg. Seit vier Wochen probe ich hier -jeden Mittwoch mit 50 Männern. Musik wird zum Medium, das dafür sorgt, dass sie wieder gehört werden. Für mich werden ihre Schmerzen, Tränen und ihre Sehnsucht durch den Klang ihrer Stimmen und die Vibration ihrer Stimmbänder deutlich. Sie werden bei den Proben wie Kinder, kleine Jungs in einer Schulklasse, wo wir alle albern werden.

Beim Singen katapultieren sie mich in eine Welt, in die ich mich noch nie gewagt habe. Sie probieren Grenzen aus. Ich habe auf Portugiesisch ein Lied von einem Vogel komponiert, an das ich dabei denken muss. Es geht um eine Melodie, die auf den Flügeln von einem Vogel in alle Ewigkeit gebracht wird. Da gibt es keine Grenzen und keine Zellen. Übertragen kann das auch heißen, ich selber kann für mich eine Heimat sein. Es ist alles in mir. Musik kann dazu führen, das zu erkennen.

Meine Vision ist, Musik dahin zu bringen, wo sie noch nicht war. Farbe dahin zu bringen, wo das Leben nicht bunt genug ist. Das geschieht, wenn Musik ins Herz hinein trifft. Ins Herz zum Beispiel von Menschen, denen unkompetente Lehrer in der Schule gesagt haben, dass sie nicht singen können und lieber Sport treiben oder handarbeiten sollen. Doch, wer sprechen kann, kann singen. Immer wieder erlebe ich, dass Menschen zu mir kommen und sagen, ich habe noch nie gesungen. Aber mit Ihnen würde ich das ausprobieren. In solchen Augenblicken erfüllt sich meine Vision und ich weiß, ich erlebe meinen Traum.“

Info

Joel Da Silva und seine Soul Family spielen am
14. Dezember in der Herz-Jesu-Kirche in Freiburg.

Foto: © Winfried Stinn