Raus aus dem Schnellzug: Leben nach dem Burn-out Politik & Wirtschaft | 09.12.2019 | Sophie Radix

Christian Rook (50) brachte in den vergangenen Jahren große Firmen an die Spitze. Er schaffte es, hohe Umsatzerwartungen noch zu übertreffen – auch durch permanente Erreichbarkeit und Arbeiten ohne Limit. Zuletzt führte er ein Pharma-Unternehmen in Neuenburg. Grenzen der Leistungsfähigkeit gab es für ihn nicht, Burn-out schon gar nicht. Er selbst glaubte zu dem Zeitpunkt nicht mal an die Krankheit.

Die es traf, waren für ihn immer die Schwachen, die Versager. Bis ihn selbst in seinem Büro eine Panikattacke traf – begleitet von dem Gefühl, weder vor noch zurück zu können. Wie eine Ratte in einer Ecke habe er sich gefühlt, erzählt der Manager heute. Beim Arztbesuch wurde die Diagnose schnell klar: Burn-out. Für Christian Rook stand fest, dass einzelne Therapiesitzungen nicht reichen werden, um zu gesunden. Er ließ sich selbst in eine Klinik einweisen und blieb dort sechs Wochen. Was er lernt, verarbeitet er in Gedichten und bringt anschließend den Gedichtband „Es gibt für alles ein Problem“ heraus. Sein Ziel: anderen Mut machen und die Angst nehmen, offen mit psychischen Erkrankungen umzugehen. „Das Thema ist nach wie vor tabuisiert. Betroffene trauen sich nicht, mit Angehörigen oder gar Personalern darüber zu sprechen.“

Er selbst denkt, es kann ein Pluspunkt sein, offen mit dem Thema umzugehen: „Jemand, der einen Burn-out überstanden hat und danach wieder ins Berufsleben einsteigt, ist viel reflektierter und außerdem in der Lage, nachhaltig hohe Arbeitsqualität zu liefern.“ Der Manager setzt heute vor allem auf Qualität statt Quantität und eine bessere Kommunikation in Unternehmen

Besonders perfektionistische Menschen, die am liebsten 200 Prozent in allem geben möchten, zerbrechen manchmal an ihrem eigenen Leistungsdruck. So auch der Familienvater: „Ich habe die letzten 25 Jahre meines Lebens wie in einem Schnellzug verbracht.“ An allem vorbei zu rasen, ohne auszusteigen, ohne innezuhalten – das hat ihn krank gemacht. Zeit für Familie oder Hobbys blieb da nicht, 60-Stunden-Wochen waren für den Vater von vier Kindern Standard: „Aus einem Schnellzug heraus sind die sicheren Bahnhöfe zwar zu sehen, aber man kann nicht aussteigen.“

Burn-out bedeutet für ihn, an der eigenen Leidenschaft für etwas zu verbrennen. Wer motiviert ist und bereit, alles für einen Job zu geben, kennt irgendwann kein Halten mehr. Anerkennung und Wertschätzung wirken als Anstoß, immer mehr zu geben, aber: „Die Gefahr liegt darin, dass wir uns nicht mehr bremsen können. Irgendwann kann der Körper aber einfach nicht mehr.“

Im Gespräch wirkt Rook gelassen, lacht viel. Die Freude an der Verantwortung und seine Begeisterungsfähigkeit sind geblieben. Das wird im Gespräch besonders deutlich, wenn er von seinen jüngsten Kindern erzählt: „Zwillinge, die gleich aufwachsen und das Gleiche zu essen bekommen – und doch komplett unterschiedlich sind. Das kapiert manchmal keiner.“ Oder eifrig aus seinem Gedichtband vorliest und dabei sorgfältig auf die richtige Betonung achtet – damit das, was er sagen will, auch wirklich rüberkommt.

Aber: Wie findet man den Mittelweg, sich selbst zu motivieren und für etwas zu brennen – ohne auszubrennen? „Neinsagen ist ganz wichtig“, rät der Manager. „Die eigenen Grenzen sind keine Makel. Dies zu lernen und aktiv Nein zu sagen, bedarf aber der Übung.“ Heute ist Rook wieder selbstständig und als Interim-Manager tätig. Er kann noch nicht sagen, was sich nach dem großen Knall im Berufsalltag verändern wird. Sicher ist nur: „Gehen oder Fahrradfahren ist in Ordnung – vom Hochgeschwindigkeitszug habe ich genug.“

Foto: © sora