Ein gallisches Dorf in der Stadt Politik & Wirtschaft | 21.02.2020 | Philip Thomas

Lasst den Bagger in der Grube, raubt uns nicht die Bude“ und „Gegen Abriss und Entgrünung“ steht in großen Lettern an den kleinen Häuschen des Metzgergrüns im Freiburger Stadtteil Stühlinger. Die Gebäude sollen abgerissen und die großzügigen Gärten zur Verdichtung genutzt werden. Viele Bewohner fühlen sich durch die Baumaßnahmen bedroht.

„2012 ist der Quartiersrat auf die Stadt zugekommen“, erinnert sich Baubürgermeister Martin Haag an die Anfänge des Streits zwischen dem Rathaus und zahlreichen Bewohnern. Die Häuser der Freiburger Stadtbau GmbH (FSB) stammen aus den 1950er-Jahren. Die erste Idee sei damals gewesen, zu sanieren und die zweigeschossigen Bauten aufzustocken. Wegen des fehlenden Brandschutzes und anderen Kosten habe man diese Pläne aber schnell wieder verworfen.

2016 wurden rund 38.000 Qua­dratmeter Wohnfläche – mehr als dreimal so viel wie heute – zur Überplanung ausgeschrieben. Erst sollten 500, aktuell 550 Wohnungen in bis zu viergeschossigen Gebäuden für knapp 1100 Menschen entstehen. Die alten 60 Häuser mit 252 Wohnungen sollen abgerissen werden. „Das ist eine klassische Innenentwicklungsmaßnahme“, kommentiert Haag. Der Umbau des Metzgergrüns sei ein wichtiger Baustein der Stadtentwicklung.

Die FSB soll die Hälfte der Wohnungen als öffentlich geförderte, die andere Hälfte auf dem freien Markt vermieten oder verkaufen. Wie hoch die Mieten sein werden, lasse sich laut Haag noch nicht sagen. Aktuell werden bei öffentlich geförderten Neubauwohnungen zwischen sechs und sieben Euro pro Quadratmeter fällig.

Heute leben in den 44 bis 48 Quadratmeter großen Einheiten knapp 400 Menschen, auch Sophia Grässlin. Seit zwölf Jahren wohnt die 44-Jährige im Quartier. Seitdem sei es von der FSB vernachlässigt worden. 305 Euro zahle sie jeden Monat. Obendrauf kommen nochmal Nebenkosten von rund 200 Euro.

Plakate und Proteste: Der Unmut im Quartier ist unübersehbar.

Die Häuser sind kaum gedämmt, durch viele Fenster zieht der Wind, einige Keller haben keinen Betonboden, Wände stehen auf der Erde, unten breitet sich Schimmel aus, oben fehle es an Dachpappe. Nun aber das ganze Gebiet komplett umzubauen, sei völlig überzogen. „Wir wünschen uns eine sanfte Sanierung“, sagt Grässlin in ihrer Wohnung. Ihre Decke hängt tief, die zwei Zimmer plus Wohnküche bieten aber alle Annehmlichkeiten.

„Wir wollen hier nicht weg, aber die Stadtbau will, dass wir gehen“, sagt ihre Nachbarin Anett Zeller. Die 62-Jährige wisse auch, warum: „Dieser Fleck ist der Mülleimer von Freiburg.“ In dem Quartier wohnten viele Kranke, Alte, Dealer und ehemalige Häftlinge: „Mein Sohn hat mir beim Einzug ein Pfefferspray geschenkt.“ Lebenswert sei das Quartier trotzdem: „Hier hat sich eine Gemeinschaft entwickelt, jeder hilft jedem.“ Dass es zu einer funktionierenden Durchmischung zwischen der alten Bewohnerschaft und neuen Nachbarn in Eigentumswohnungen kommt, kann sie sich nicht vorstellen.

Nach einer Bewohnerbefragung aus dem Jahr 2018 wollen 85 Prozent der aktuellen Bewohner in die Neubauten einziehen. „Der Fragebogen wurde ausgeteilt“, bestätigt Zeller. Laut Haag könnten alle Bewohner wieder einziehen: „Es gibt eine Garantie.“

Zeller und Grässlin fürchten aber Mieterhöhungen und wollen das Metz­gergrün verlassen. Noch dieses Jahr soll der Bau für die ersten Umzügler auf einem anliegenden Wohnwagenstellplatz beginnen. Für 2022 ist der erste Abrissbagger bestellt. 2026 kommen ihre Häuser an der Häberlestraße dran. Wohin sie dann ziehen, wissen sie noch nicht: „Wir können uns das nicht aussuchen.“

 

Fotos: © Philip Thomas