Nachgewürzt! – Die Glatze und die Geschichte Szene | 15.03.2020 | Florian Schröder

Florian Schroeder

Der ehemalige Kurzzeit-Ministerpräsident von Thüringen, Thomas ­Kemmerich, hatte im Wahlkampf einen spannenden Slogan: Die erste Glatze, die in Geschichte aufgepasst hat. Geschichte vor 1930 wahrscheinlich. Danach war es wohl nicht mehr so spannend.

Sonst hätte er wissen können, dass genau damals, vor 90 Jahren, schon einmal eine rechts­bürgerliche Partei, nämlich die DVP, einem Nazi an die Macht verholfen hat. Ja, gelb und braun sind eben zwei Farben, die nahe beieinanderliegen. Nicht nur in der Unterhose. Beide entspringen aus der vielgerühmten ­Mitte, in unserem Beispiel halt der Körpermitte. Und genau da scheint die FDP derzeit weit offen zu sein. Aber woher soll man das auch wissen, wenn man aus Aachen kommt und nur in Thüringen zugewandert ist – um dort mit Glatze der Chef einer Friseursalon-Kette und einer Uhren-­Firma zu werden. Umso erstaunlicher, dass er 96 Stunden gebraucht hat, um zu verstehen, welche Stunde für ihn geschlagen hat. Sein Gehalt für die vier Tage in Höhe von 93.000 Euro gibt er der Staatskasse zurück, nachdem er es ursprünglich an die Vereinigung der Opfer des Stalinismus, ­deren ­Vorsitzender AfD-Kandidat für den Erfurter Stadtrat ist, geben ­wollte? Kann es sein, dass es sich hier auch nur um eine weitere Glatze handelt, unter der gar nix drunter ist? Aber sind die Leute mit Haartransplantation wirklich so viel besser dran? Christian Lindner wohl eher nicht. Er war zuerst überrascht von der Bauernschläue der FDP und danach hat er sich in ihr geirrt. Im Jahr 2020. Da wird es wirklich höchste Zeit, die Politik den Profis zu überlassen.

CDU und FDP in Thüringen haben ja zusammen das Kunststück vollbracht, genau so auszusehen, wie die AfD sie immer dargestellt hat: Als machtgeile, an nichts außer der eigenen Machtsicherung interessierte Hampelmänner. Sie haben sich am Nasenring durch die Manege ziehen lassen. Thüringen als Land ist sich jedenfalls treu geblieben: Es sind nach wie vor genügend Würstchen am Start, und wenn man die Klöße ausnahmsweise als Klopse bezeichnet, dann auch diese. Mal sehen, wer sich daran noch verschlucken wird. Die, die das am wenigsten verdient haben, sind die Thüringer. Es sollte nicht unerwähnt bleiben, dass von den Haupt­figuren dieses Skandals, Kemmerich, Höcke, Mohring und Ramelow, nur ein einziger aus dem Osten kommt, und das ist nicht mal Ramelow. Höcke, Kemmerich, Ramelow: alles Zugewanderte. Migranten. Wie schon vor 90 Jahren in Thüringen ein Migrant aus Österreich uns braven Deutschen derartige Probleme bereitet hat – aber das erklärt man gelben wie braunen Glatzen bis heute ja vergeblich.

 

Florian Schroeder, Kabarettist, 
studierte in Freiburg, lebt in Berlin und vergibt die chilli-Schote am goldenen Band.

 

Foto: © Frank Eidel