Sträflich vernachlässigt – Wenn sich OB Martin Horn den Bürgern in Brühl stellt Politik & Wirtschaft | 16.03.2020 | Lars Bargmann

Gueterbahnhof Areal

Martin Horn steht direkt am Eingang zum Gemeindesaal St. Konrad und Elisabeth am Rennweg. Freundlich begrüßt er an diesem Dienstagabend die Bürger per Handschlag, die zum Stadtteilgespräch mit dem Rathauschef gekommen sind. Es sind mehr als hundert. Sie haben Fragen. Horn stellt sich. Das hat er im Wahlkampf versprochen. Bürgernähe, transparente Lokalpolitik.

Die Einleitung: Gerald Radziwill und Bettina Touré, die Vorsitzenden des Bürgervereins Brühl-Beurbarung, gehen ans Mikro: 12.000 Menschen leben im Stadtteil, der damit einer der größten in Freiburg ist. Ein „lärmumtoster“, ein vor allem durch die Entwicklung auf dem Güterbahnhof zunehmend belasteter. Einen Sportverein hat er nicht. Bald aber, wenn der SC Freiburg am Flugplatz kickt, gleich den prominentesten. Dann nimmt Horn das Mikro. Der Oberbürgermeister erzählt den Menschen, was er an diesem Tag so gemacht hat. Hausgespräch im Team, Dezernentenkonferenz, ein Treffen mit Vertretern des Eurodistrikts, eine Runde mit Akteuren aus dem Stadtteil und eben jetzt der Dialog mit den Bürgern in der Reihe „OB vor Ort“. So weit, so gut.

Der erste Akt: Nun ist das Volk dran. Ein Steuerberater mit Kanzlei auf dem Güterbahnhof trägt vor, dass es „größere Verkehrsprobleme“ auf dem Areal gebe, keine gescheiten Radwege, keinen ÖPNV, vor allem keine Parkplätze. Eine Frau kritisiert, dass die Freiburger Verkehrs AG den 11er Bus, der lange durch den Stadtteil fuhr, eingestellt hat: „Das entspricht nicht den Bedürfnissen des Stadtteils, wir brauchen heute eine Dreiviertelstunde zur Messe“. Die ist zwar nur ein paar Kilometer entfernt, sei aber höchst umständlich zu erreichen. Horn wollte eigentlich erst Themen sammeln, das gelingt aber nur so mittel. Er hoffe auf einen Grundsatzbeschluss des Gemeinderats zur Aufhebung des beschlossenen Ausbaustopps des Straßenbahnnetzes. „Und wir brauchen ein neues Mobilitätskonzept.“ Die Menschen hätten lieber was Konkretes gehört. Am liebsten: Der 11er Bus wird schon bald wieder durch den Stadtteil fahren.

Zwischenruf, der erste: Ein 92-Jähriger echauffiert sich über die Bebauung des Rennwegdreiecks links und rechts der gleichnamigen Straße: „Da werden Bäume gefällt, die Stadtbau vernichtet Artenvielfalt und Lebensräume, das ist ungeheuerlich.“ Die Stadtbau pflanze für jeden gefällten Baum zwei neue, entgegnet Horn, 35, freundlich. Man nimmt ihm das Lob ab, das er dem Senior für sein Einmischen ausspricht. Er könnte sein Ur-Opa sein.

 

Platz für Eidechsen, nicht für Kinder

 

Der zweite Akt: Wolfgang Keffer, langjähriger Bürgervereinsvorsitzender, versucht, den OB aus der Reserve zu locken: „Wir sind vom Rathaus jahrelang sträflich vernachlässigt worden.“ Auch ihn treibt der Güterbahnhof an. 4500 Menschen werden bald dort leben, 4000 neue Arbeitsplätze sind dort adressiert. „Wo wollen Sie mit den Parkplätzen hin, wo gibt es Freiflächen, wo einen Jugendtreff, einen Stadtteiltreff, Grünflächen, wo spielen die Kinder?“ Der erste längere Beifall. Die Meinung hat der Mann nicht exklusiv. Jahrelang sollte der Güterbahnhof ein reines Gewerbegebiet werden. Dafür hatte vor allem Bernd Dallmann als Chef der Freiburg Wirtschaft Touristik & Messe GmbH vehement gestritten. Aber nicht geliefert. So durchlebte das Areal eine Metamorphose hin zu einem Mischgebiet, in dem sehr viel gewohnt wird. Allein die Rahmenplanung wandelte sich nicht gleichermaßen mit. „Für Eidechsen ist Platz, für Kinder nicht“, ruft jemand. Wieder Beifall. Tatsächlich sind rund 60.000 Quadratmeter für die geschützte Mauereidechse gesichert worden. Einen Bolzplatz gibt es hingegen bis heute nicht. Der soll mittlerweile aufs Dach eines geplanten Musikhauses (siehe Seite 12). „Man würde das heute nicht mehr so planen, da wurden Fehler gemacht“, räumt Horn ein.

Zwischenruf, der zweite: Eine Frau bittet ums Mikro, ihr behagt das Bevölkerungswachstum in der Stadt und auch im Stadtteil gar nicht: „Warum stoppen Sie den Zuzug von immer mehr Leuten nicht? Man kann Freiburg nicht aufblasen, irgendwann ist Schluss.“ Die Beiträge aus dem Saal sind qualitativ stark different. Horn behält Haltung und erklärt der Dame, dass im vergangenen Jahr wieder fast 5500 Kinder in Freiburg geboren wurden. Auch wenn es immer so erzählt werde, es stimme einfach nicht, dass das Wachstum nur von außerhalb käme. Eine andere Frau spricht angesichts der dichten Bebauung des Güterbahnhofs von „Käfighaltung“.

Der dritte Akt: Die Vertreter der Band-Initiative Multicore sitzen auch im Saal. Sie fordern schon lange ein Haus mit Proberäumen, Tonstudio und vielem mehr. Sie wollen wissen, wie es nun weitergeht. Einer fragt, der andere schneidet die Aussagen von Horn mit dem Handy mit. Im Rathaus werde weiter an einem Konzept gearbeitet, das die vielen unterschiedlichen Bedürfnisse bestmöglich und wirtschaftlich darstellbar vereinen soll. Sagt der OB. Ein reines Musikhaus werde es aber nicht geben. Und nur zwei Geschosse werde es auch nicht haben. Aber einen Bolzplatz auf dem Dach.

 

Die Bürger wollen ihre Linie 11 wieder

 

Abgang: Parken, Parken, Parken – Horn: „Ich habe bei den Stadtteilgesprächen noch nie so viel über Parkplätze gesprochen“ –, Freiräume, Müll, ein fehlender Übergang über die B3, mehr Platz für Räder, ein in seiner Wahrnehmung unterbewerteter Stadtteil und die Linie 11: Der Oberbürgermeister und sein Stadtteilbeauftragter Joachim Fritz nehmen am Ende des Abends (Beifall für Horn) eine lange Themenliste mit ins Rathaus. Das Format ist ein gutes. Vor allem, wenn auch die Beiträge der Bürger Format haben. Freiburg sei ein Biotop der eingeschränkten Meinungsfreiheit, schrieb mal ein Kollege von der ZEIT. Bei der OB-vor-Ort-Reihe ist das nicht so. Die Menschen reden frei heraus. Horn agiert dabei insgesamt gut, zugeneigt, nie überheblich. Er schüttelt noch ein paar Hände. Licht aus.

 

Foto: © Neithard Schleier