Bis die Beine brennen: Wie chilli-Redakteur Till Neumann einen Tag als ­Fahrradkurier in Freiburg erlebte STADTGEPLAUDER | 29.03.2021 | Till Neumann

Radkurier in Freiburg Zügig unterwegs: Till Neumann kriegt per Funk den nächsten Auftrag als Velokurier rein. Seine Tour ging nicht nur durch Freiburg.

Man sieht sie an vielen Ecken mit Rucksäcken durch Freiburg flitzen: Fahrradkuriere. Wie stressig ist so ein Job? Was transportieren die eigentlich? Und für wen? Das wollte chilli-Redakteur Till Neumann herausfinden. Er hat einen Tag beim „Velokurier Freiburg“ angeheuert. Zum Start kletterte er gleich zweimal Berge hoch. Am Ende ließen ihn die Beine aber im Stich.

Transport bis zu 300 Kilo. Lieferung in 30 Minuten. Das verspricht der Velokurier auf seiner Website. Wie das möglich ist, möchte ich an diesem Montag selbst erleben. Von 13 bis 19 Uhr geht meine Schicht. Falls ich keine Power Bank habe, soll ich eine Freiburg-Karte mitbringen, schreibt Velokurier-Chef Christoph Hammann-Kloss. Landkarte lesen? Auf dem Rad? Wenn’s schnell gehen muss? Das kann heiter werden.

„Die Blumen sind im Rucksack“

Mit geladener Power Bank, meinem Crossrad und etwas Verpflegung komme ich zum Velokurier-Headquarter. Eine Garage in der Wiehre voller Velos. Vor Ort sind Christoph und zwei Kollegen zu Gange. „Na, hast du Bock?“, fragt mich Fahrer Tobias. Er ist seit zweieinhalb Jahren dabei und macht das hauptberuflich. Tobias sagt: „Es lebt davon, dass man die Kunden kennt: Ist der Aufzug schneller? Oder die Treppe? In welchen Stock muss ich?“ Zwei, drei Monate brauche man, um richtig reinzukommen. Am Anfang seien auch Kleinigkeiten schwierig, zum Beispiel wenn der Schweiß aufs Handydisplay tropft.

Velokurier Chef

Velokurier-Chef: Forstwissenschaftler Christoph Hammann-Kloss (41) leitet den Laden seit 2011.

Dann bekomme ich meine Ausrüstung: ein wasserdichter Rucksack inklusive Funkgerät. Dazu gibt’s die ersten zwei Routen: Ich soll einen Blumenstrauß vom Hauptbahnhof zur Frauenklinik bringen. Micha erklärt mir: Bei jeder Station bitte kurz Bescheid geben, ob alles läuft. Also ab aufs Rad. Ich trete in die Pedale. In der „Blumenoase“ im Hauptbahnhof sage ich: „Hallo, hier ist der Velokurier, ich hole die Blumen für die Frauenklinik.“ Wenige Sekunden später habe ich den Strauß in der Hand. Ich eile zum Rad und sage ins Funkgerät an meiner linken Schulter: „Hallo Micha, Till hier, die Blumen sind im Rucksack.“

Auch an der Frauenklinik läuft’s reibungslos. Die Dame an der Rezeption nimmt die Blumen entgegen. Per Funk folgt die Info: „Du musst dich für die zweite Tour nicht beeilen.“ Die Arztpraxis in der Konviktstraße hat erst in 20 Minuten offen. Alles entspannt. Ich radel in die City, finde den Arzt problemlos. Dort gibt’s eine Lieferung für ein Zahnlabor in Wittnau.

„Till, stopp, wo bist du?“

Viel am Funk: Till Neumann bei den Fahrten.

Als ich in Merzhausen rechts abbiege und dem Radweg nach Wittnau folge, merke ich schnell: Hier wird’s steil. Im kleinsten Gang schaufel ich mich nach oben. Macht aber nix. Berge fahre ich gerne. Die kurze Hose bei sonnig-kühlem Wetter macht sich bezahlt. Mir wird warm.

Kurz vor dem Zahnlabor knattert das Funkgerät: „Till, stopp, wo bist du?“ Ich antworte: „Gerade angekommen, warum?“ Micha berichtet von einem Notfall und lässt mich die Ware abgeben. Die Dame im Zahnlabor klärt auf: Die Prothese einer Patientin ist gebrochen, ich müsse noch mal zum Arzt in der Konviktstraße und dann wieder hoch zu ihnen. „Mein Gefühl sagt mir, dass wir uns heute noch mal sehen“, sagt die Wittnauerin und lacht.

Ich springe aufs Rad und hänge mich an den Funk. „Soll ich die Tour noch mal fahren?“ „Fahr erst mal runter, dann schauen wir weiter“, antwortet Micha. Jetzt schaltet sich auch der Chef ein: „Was war da los?“ „Es ging mal wieder schneller als gedacht“, sagt Micha. „Oder wir waren einfach zu schnell“, kontert Christoph. Von meinem Tempo sind die beiden überrascht. Micha fragt: „Till, willst du öfter für uns fahren?“

Radweg? Viel zu steil

Zurück in Freiburg hole ich erneut die Ware beim Arzt und kläre mit Micha, ob ich noch mal hochfahre. „Wie du magst, du kannst auch vorher was anderes fahren“, bietet er an. Ich antworte: „Kein Ding, ich übernehm das.“ Auf dem Weg über die Merzhauser Straße funken wir weiter: „Wie fahrt ihr eigentlich nach Wittnau? Radweg oder Straße?“, frage ich in die Runde. Wir plaudern und ich stelle fest: Außer mir nimmt keiner den Radweg. Viel zu steil, sagen die Kollegen. Christoph fährt das sogar mit einem Fixie ohne Gangschaltung. Brutal.

Obwohl ich die Straße nehme, dauert der zweite Anstieg länger. Die Beine sind nicht mehr ganz so frisch. Noch bevor ich ankomme, fragt Micha: „Till, wie weit bist du?“ Bei der Übergabe merke ich zu allem Übel, dass ich einen Bock geschossen habe: In meinem Rucksack liegt noch ein Plastikbeutel mit Sachen für den Arzt in der Konviktstraße. Vorhin vergessen abzugeben. Vor lauter hin und her. Auf der Rückfahrt nach Freiburg beichte ich mein vergessenes Päckchen. Die Kollegen reagieren entspannt. „Das sind Stammkunden, wenn es dringend ist, melden sie sich.“ Dass ich langsamer und schusselig werde, liegt wohl auch daran, dass ich weder Essen noch Trinken dabeihabe. Mein Proviant ist am Velokurier-Hauptquartier. Anfängerfehler.

Einsteiger leben „mega gefährlich“

In aller Eile: Die Aufträge kritzelt Till Neumann während der Fahrt auf seine Hand.

Dann geht’s von einem Labor im Vauban zu einem Arzt in der Wiehre. Zur ersten Station fahre ich mit dem Handynavi. Einhändig radeln. Suboptimal. Ich verstehe, warum selbst sportliche Anfänger lange brauchen. Christoph erzählt mir später: Unfälle gibt es bei den Fahrern selten. Nur für die Einsteiger sei’s „mega gefährlich“. Unerfahrenheit trifft auf Übermotivation. Plötzlich aufgehende Autotüren seien das Schlimmste. In seinem Team gebe es aber höchstens mal einen Arm- oder Rippenbruch.

Mich haut’s glücklicherweise nicht hin. Nach erfolgreicher Übergabe mache ich einen kurzen Stopp am Headquarter. Was trinken, einen Apfel essen. Die Kraft kommt zurück. Dann hole ich zwei Päckchen bei einer Apotheke und begleite Micha bei seiner Tour. Tiefenentspannter Typ mit Dreads und den typisch rot-weißen Velokurier-Kniesocken. Als er mich später wieder alleine losschickt, muss ich die Adresse suchen. Kurz später funkt er mich an: „Ich habe das Päckchen schon.“ Wow, das ging schnell.

Auch der Rest des Abends zeigt das: Ich begleite Christoph bei Sprint-Touren mit 30-Minuten-Lieferung. Oder anders gesagt: Ich hechle dem 41-jährigen studierten Forstwissenschaftler hinterher. Schon beim Antritt brettert er locker zehn Meter weg. Er sagt netterweise: Er ist noch nicht viel gefahren heute und daher frisch. Gemeinsam holen wir unter anderem wertvolle DNA-Proben an der Uniklinik und bringen sie zum Hauptbahnhof-Serviceschalter. Dort gehen sie per Express mit dem ICE nach Köln.

Eine zusammengeknotete Urinprobe

Ich hingegen bin fix und foxi. Beim Feierabendbier in der Velokurier-Garage sitze ich auf einem Fahrradsattel-Sitz und staune, dass die Kollegen nach dem Fahren rauchen. Micha und Christoph erzählen vom überschaubaren Verdienst der Kuriere (12 bis 14 Euro inklusive Provision) und ihren kuriosesten Transporten: eine zusammengeknotete Urinprobe und eine Hautprobe im durchsichtigen Beutel. Als Kampfradler wollen sie Kuriere nicht sehen: „Wer sich darauf einlässt, macht sich kaputt“, sagt Christoph. Unter seine Instagram-Posts schreibt er jedes Mal „#ballernabermitvernunft“.

Der Kurier-Experte ist stolz darauf, dass seine 21 Fahrer (davon drei Frauen) alles mit dem Rad transportieren. Nur wenige Anbieter in Deutschland würden das so machen. Große Lasten bis 300 Kilo fährt sein Team mit E-Lastenrädern. Auch Umzüge würden so gestemmt. Das Schönste für ihn am Job: der Mikrokosmos mit seinem Team.

Den verlasse ich jetzt und rolle heim. Dort falle ich todmüde ins Bett. Mir ging’s wohl wie vielen anderen Kurier-Greenhorns: Am ersten Tag haben sie sich ein wenig übernommen. Es macht aber auch einfach Laune. Erst recht mit Funkkontakt.

Fotos: © Philip Thomas, Till Neumann

Rote Laterne bei den Radcrashs: Freiburg ist Fahrradunfallstadt Nummer eins