Buch-Rezi: Nevermore – Alltägliche Horrorszenarien 4Literatur & Kolumnen | 01.05.2022 | Erika Weisser

Buchcover: Nevermore

Eine Übersetzerin lässt sich in Dresden nieder, um dort an einer neuen französischen Version von Virginia Woolfs Roman „To the Lighthouse“ zu arbeiten. Dabei setzt sie sich besonders mit dem Kapitel „Time passes“ auseinander, das, in einzelnen Passagen über die Erzählung verteilt, im Original mitzulesen ist.

Bald wird deutlich, welch komplexes Unterfangen eine literarische Übersetzung ist: Die namenlose Frau will ganz nah am Originaltext bleiben und ihn anderssprachigen Lesern mit all seinen Besonderheiten zugänglich machen. Doch sie hat oft Mühe, sinnerhaltende Entsprechungen zu finden. Vorsichtig tastet sie sich an jeden Satz heran, erwägt verschiedene Varianten, verwirft sie wieder, sucht nach treffenderen Formulierungen.

Ihre häufig ins Philosophische mündenden literarischen Selbstgespräche führt sie vorwiegend während nächtlicher Streifzüge durch die einst zerstörte und wiederaufgebaute Stadt. Dabei schweift sie ab, gerät beim Nachdenken über das Vergehen der Zeit unversehens in andere Zeiten, andere Räume, begegnet einer verstorbenen Freundin, findet sich in der verbotenen Zone um Tschernobyl wieder.

Anne Weber hat Cécile Wajsbrots ungewöhnliches Buch ins Deutsche übersetzt – und erhielt dafür den Leipziger Buchpreis 2022.

Buchcover: NevermoreNevermore
von Cécile Wajsbrot
Übersetzt von Anne Weber
Verlag: Wallstein, 2021
230 Seiten, gebunden
Preis: 22 Euro