Fußball im Stehcafé: Sechs Frauen über Freiburg 4Literatur & Kolumnen | 19.02.2023 | Erika Weisser

Die Schreibwilden: Sechs Frauen Die Schreibwilden: Sechs Frauen begeben sich auf Spurensuche in ihrer Heimatstadt oder Wahlheimat – mit beachtlichen Ergebnissen.

Sie sind zwischen Ende 40 und Anfang 80, sie sind in ganz unterschiedlichen beruflichen Bereichen tätig – oder waren es, vor der Rente. Was die sechs Frauen aus Freiburg und Umgebung verbindet, ist ihre Liebe zum Schreiben. Oder besser: dass sie ganz wild darauf sind, sich Geschichten auszudenken und zu Papier zu bringen. „Die Schreibwilden“ nennen sie sich – und das mit dem Papier ist wörtlich gemeint: Soeben erschienen ist ihr richtiges, gedrucktes, papiernes Buch.

„Chikiding!“ lautet der neugierig machende Titel, den Alex Devesper, Ellen Göppl, Claudia Hellstern, Sabine Lauffer, Uta Neumann und Ilse Reichinger als Überschrift über ihre 58 Geschichten und Gedichte gewählt haben, in denen sich alles um Freiburg dreht. Die Stadt, die ihnen laut Prolog Heimatstadt oder Wahlheimat ist, die Stadt, die viele lieben, die manche auch nervt und die jedenfalls „niemanden kaltlässt“.

Was es mit „Chikiding“ auf sich hat? Das sei der „energetische Ausruf“ ihres früheren Salsalehrers gewesen, um die Leute auf Trab zu halten, sagt Ellen Göppl, die Autorin der gleichnamigen Kurzgeschichte. Darin geht es um eine sehr beleibte ältere Dame, die regelmäßig zu den „in den Nuller-Jahren legendären Salsapartys im Hauptbahnhof“ geht und dort zu einem leichtfüßigen Vögelchen wird, das schließlich einfach davonfliegt. Und als Titel für das Buch hätten sie diesen Kunstnamen gewählt, „weil wir alle etwas chikiding sind“.

Das bestätigt nicht nur der von Claudia Hellstern verfasste Text „Der beste Kaffee in ganz Freiburg“. Darin nimmt eine äußerst gestresste Frau, die täglich zwischen zwei Arbeitsstellen pendeln muss, eine Auszeit aus ihrer Routine, entknäult sich aus dem Gedränge und gönnt sich einen Espresso in einem Stehcafé in der Eisenbahnstraße. Sie lässt sich von einem Alemannisch-Sprecher in elegant tailliertem weißem Hemd in ein Gespräch verwickeln, in dem es auch um ihr Lieblings-Hass-Thema Fußball geht. Zwar kommt ihr die Stimme bekannt vor, auch sein Gesicht und die „wahrscheinlich gefärbte“ schwarze Ponyfransenfrisur. Doch sie kommt erst viel später drauf, mit wem sie sich da stundenlang unterhalten hat.

Auf die Idee, eben diese Stadt aus unterschiedlichen Perspektiven und Erfahrungen in ihren vielen Facetten sichtbar zu machen, kamen die Schreibwilden, die sich in Workshops am privaten Institut für kreatives Schreiben kennenlernten und seit 2016 regelmäßig austauschen, „durch das Freiburgjubiläum“: Sie hatten sich damals mit Erfolg für die Ende 2018 ausgeschriebenen städtischen Projektförderungen beworben und „wurden ein bisschen gesponsert“.

Zehn Monate hatten sie, um ihre Stücke zu schreiben – und schafften es. Die geplante Präsentation ihrer teils verrückten, teils kriminalistischen und manchmal auch schrägen und abgefahrenen Geschichten über Aktuelles und Vergangenes während einer 2020 geplanten Rundfahrt in einer historischen Straßenbahn „hat dann allerdings Corona vermasselt“. Lesungen sind für dieses Jahr geplant. Und ein neues Projekt.

Chikiding! 58 x Freiburg Cover

Chikiding!
58 x Freiburg

von Die Schreibwilden

Verlag: tredition, 2022
260 Seiten,
broschiert
Preis: 9,99 Euro

Foto: © Die Schreibw!lden