Kontrovers (10): Schutzstatus des Wolfs Kontrovers | 19.03.2023 | Lukas Schaudel und Philip Thomas

Wolf im Wald

Rund 150 Jahre nach seiner Ausrottung ist der Wolf in Deutschland zurück. Das Raubtier steht unter strengem Schutz – gleichzeitig stellt es eine Bedrohung für Weide- und Wildtiere dar. 41 Schafe, Ziegen und ein Rind wurden im Jahr 2021 in Baden-Württemberg gerissen. Für Abschüsse, die sogenannte „Entnahme“, wäre eine Senkung des Schutzstatus notwendig. In der chilli-Rubrik KONTROvers argumentieren Lukas Schaudel, Stellvertretender Bezirksgeschäftsführer Badischer Landwirtschaftlicher Hauptverband, und chilli-Redakteur Philip Thomas für und wider.

„Risse im Münstertal“

Warum  der Stellvertretende Bezirksgeschäftsführer des BLHV, Lukas Schaudel, dafür ist, den Schutzstatus des Wolfs zu senken

Lukas Schaudel Stellvertretender Bezirksgeschäftsführer Badischer Landwirtschaftlicher Hauptverband

Lukas Schaudel Stellvertretender Bezirksgeschäftsführer Badischer Landwirtschaftlicher Hauptverband

Im Jahr 2017 wurde erstmals seit 1866 ein Wolfsrüde territorial in Baden-Württemberg nachgewiesen. Seither sind nochmals drei Rüden als territorial geltend nachgewiesen worden. Das Vorkommen der Wölfe, ob territorial oder durchziehend, hat bisher 159 Weidetiere das Leben gekostet. Dabei handelt es sich bei den Weidetieren nicht nur um Tiere, die das wirtschaftliche Einkommen unserer Landwirte sichern, sondern durch sie wird auch die Offenhaltung der Landschaft und damit die Artenvielfalt gefördert. Viele FFH- (Fauna-Flora-Habitat, Anm. d. Red.) Mähwiesen konnten erst durch die ständige Mahd entstehen – mit allen positiven Folgen für den Artenschutz: hohes Vorkommen an Insekten und Vögeln, seltene Pflanzenarten wie Wiesensalbei, Margerite. Wird die Tierhaltung und Beweidung aufgegeben, werden Flächen nicht mehr bewirtschaftet und der Wald holt sich sukzessive die Flächen zurück. Damit verschwindet nicht nur unser einzigartiges Schwarzwaldlandschaftsbild, sondern auch die Artenvielfalt.

Mit dem Schwarzwaldbild ist aber nicht nur die Landwirtschaft und der Artenschutz eng verbunden, sondern auch der Tourismus. Die gute Luft und die herrlichen Aussichten mit Alpenpanorama von Gipfeln wie dem Belchen oder dem Feldberg würde es ohne Weidetierhaltung nicht geben. Die jetzt durch Risse im Münstertal nachgewiesene Wolfsfähe erhöht die Wahrscheinlichkeit der Bildung eines ersten Rudels in Baden-Württemberg enorm. Bei einer durchschnittlichen Wurfgröße von 4,8 bis 7,7 und einer Überlebensrate von mindestens einem Welpen in 84 Prozent der Fälle werden sich in den kommenden Jahren mehrere Rudel im Schwarzwald bilden. Dies wird die Landwirtschaft und die Politik noch mal vor ganz andere Herausforderungen stellen.

Leider sieht die Politik beim Thema Wolf nicht das große Ganze, sondern hat nur den Wolf im Blick. Vergessen werden hier nicht nur die Landwirte, sondern auch die Wildtiere. Deren Lebensraum durch immer mehr Flächeninanspruchnahme immer stärker beschränkt wird. Seit über 60 Jahren betreibt man in Baden-Württemberg erfolgreich das Management des Rotwildes, mit zugewiesenen Flächen, sogenannte Rotwildgebiete. Sicher ist es hilfreich, beim Wolf auch über ein solches Flächenmanagement nachzudenken. Ganz besonders dann, wenn wiederholt als wehrhaft geltende Weidetiere wie Rinder angegriffen und getötet werden. Damit einhergehend ist selbstverständlich auch die Absenkung des Schutzstatus des Wolfes, auf die Fläche gerechnet leben in Deutschland schließlich schon jetzt mehr Wölfe als in Schweden oder Finnland.

Rotkäppchen Reloaded

Warum chilli-Redakteur Philip Thomas dagegen ist, den Schutzstatus des Wolfs zu senken

Philip Thomas

Übernimmt die Rolle eines Artenschützers: chilli-Redakteur Philip Thomas

Ist der Mensch dem Wolf erneut ein Wolf? Weil er 150 Jahre nach der ursprünglichen Ausrottung durch seine Hand verlernt hat, mit dem Tier zusammenzuleben? Pfoten weg! Als sicher gilt nämlich, dass Wölfe in Kulturlandschaften nicht gefährlicher sind als Artgenossen, die durch unberührte Wildnis streifen und ihre Vorsicht vor dem Menschen nicht verlieren.

Sehr seltene Angriffe auf Menschen gehen auf Provokation, Futterkonditionierung und vor allem Tollwut zurück – eine Erkrankung, die seit 2008 in Deutschland nicht mehr nachgewiesen wurde. 14, zwölf davon nicht-tödliche, Angriffe auf Menschen in Europa und Nordamerika zählt das Norwegische Institut für Naturforschung zwischen den Jahren 2002 und 2020. Bei insgesamt rund 80.000 Tieren und Hunderten Millionen Menschen auf beiden Kontinenten dürfte die Gefahrenquote für den Zweibeiner damit gegen null gehen.

Trotzdem polarisiert der Wolf – wurde sprichwörtlich und in zahlreichen Märchen buchstäblich zum Schurken stilisiert und hat mitunter mächtige Feinde: Vor einem halben Jahr riss wohl ein Wolf das wohlgemerkt ungeschützte Pony der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CSU). Erst ein Eilantrag an das Verwaltungsgericht Hannover stoppte den Abschuss des fraglichen Tieres.

Insgesamt 161 Rudel, 43 Wolfspaare und 21 territoriale Einzeltiere zählte das Bundesumweltministerium (BMUV) in den vergangenen zwei Jahren. Weil Canis lupus ein soziales Rudeltier ist und Territorien von knapp 200 Quadratkilometern absteckt, ist jedoch nicht davon auszugehen, dass aus Baden-Württemberg ein Land von Wölfen wird: Maximal 440 Wolfsrudel hätten in ganz Deutschland Platz. Und dass diese Zahl erreicht wird, ist zweifelhaft: Im selben Zeitraum starben laut BMUV 148 Wölfe. 102 davon nach Verkehrsunfällen und dem hohen Schutzstatus zum Trotz durch illegale Tötungen.

Und trotzdem schafft es der Wolf in bereits vor langer Zeit behauste, aber nun eben vom Menschen noch weiter verkleinerte Gebiete zurückzukehren. Logischerweise nehmen dadurch auch Wolfsrisse, etwa von Weidetieren, zu: Die Zahl von verwundeten und getöteten Tieren ist laut Bundeslandwirtschaftsministerium von 40 im Jahr 2006 auf rund 3374 Tiere bei 975 Übergriffen im Jahr 2021 angestiegen.

Beim Schutz von immerhin 1,5 Millionen Schafen sowie 140.000 Ziegen in ganz Deutschland sollten Landwirte und Weidetierhalter etwa durch Ausgleichszahlungen daher nicht alleingelassen werden. Im Sinne des Artenschutzes müssen Werkzeuge wie Herdenschutzhunde, Elektrozäune oder Behirtung aber auch lange vor der Flinte stehen.

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