Schere gegen Aids: Freiburger Forscher will HIV heilen STADTGEPLAUDER | 18.07.2018 | Till Neumann

Seit 40 Jahren suchen Forscher fieberhaft nach einem Heilmittel gegen HIV. Bisher ohne Erfolg. Ein Freiburger Professor will nun den Durchbruch schaffen: Mit sogenannten Genscheren möchte Molekularbiologe Toni Cathomen das Virus endgültig besiegen. 2019 soll in Freiburg eine Studie mit Patienten starten. Ein einmaliges Vorhaben, das in die Geschichte eingehen könnte. Auch wenn Aids längst kein Todesurteil mehr ist.

Scheren liegen nicht im Labor von Toni Cathomen. Dafür jede Menge kleine Röhrchen, Beutel und Schläuche. Die Schnitttechnik des Genforschers ist so winzig, dass kein menschliches Auge sie erfassen kann: Sogenannte Genscheren entfernen aus Stammzellen genau den Teil, der HIV hineinlässt. „Wir schneiden eine Lücke rein“, erklärt Cathomen. Die Tür für HI-Viren werde damit geschlossen, der Patient resistent.

Cathomens Umgang mit seinem 25­-köp­figen Team ist entspannt. Der 51-Jährige scherzt gerne mal im Labor des Zen­trums für Translationale Zellforschung der Freiburger Uniklinik. Geht es um sein spektakuläres Vorhaben, wählt er seine Worte jedoch genau: „Das ist ein erfolgversprechender Ansatz.“ Alle bisherigen Ergebnisse stimmen den gebürtigen Schweizer hoffnungsvoll. Er könne jedoch nicht versprechen, dass es funktioniert. Die Risiken sind groß.

Das liegt auch am aufwendigen Verfahren: 300 Millionen blutbildende Stammzellen aus dem Knochenmark werden den Patienten entnommen. Drei bis vier Tage sind Zeit, um die Genscheren außerhalb des Körpers anzuwenden. Der hochkomplexe Vorgang passiert in einer rund 150.000 Euro teuren Maschine. Sie ist gelb, etwa so groß wie eine Kommode und voller Knöpfe und Kabel. Die Schnitte zielen auf das Gen CCR5, die Eingangstür für HI-Viren in menschliche Zellen. Es soll mit Hilfe des Proteins Cas9 ausgeschaltet werden.

Ambitioniert: Cathomens Team im Labor bereitet sich auf eine Studie mit Menschen vor.

Sind die Zellen bearbeitet, werden sie eingefroren und geprüft. Waren die Schnitte erfolgreich? Ist nichts Weiteres beschädigt? Erst wenn alle Tests positiv sind, kommt der Patient an die Reihe: Ärzte unterziehen ihn einer starken Chemotherapie. „Wir machen das Immunsystem platt, um Platz zu schaffen für ein neues“, erklärt Cathomen. Sobald die Abwehrkräfte am Boden liegen, bekommen seine Patienten ihre Stammzellen zurück.

Test mit großem Risiko

Alle bisherigen Versuche waren erfolgreich: Bei Mäusen und menschlichen Zellen im Reagenzglas hat es Cathomen geschafft, 90 Prozent der Zellen HIV-resistent zu machen. Genug, um den Körper davor zu schützen. Der nächste Schritt ist der schwierigste: eine Studie am Menschen. Sechs schwerkranke Patienten sollen dafür ausgewählt werden. Sie haben HIV und leiden zusätzlich an einem Lymphom, also Blutkrebs im Lymphsystem. Den Patienten bleiben ohne die Therapie nur wenige Jahre zum Leben, erklärt Cathomen, Leiter des Instituts für Transfusionsmedizin und Gentherapie. Primäres Ziel sei deswegen, das Lymphom zu heilen. Erst an zweiter Stelle steht HIV.

In Kalifornien läuft bereits eine ähnliche – doch gewagtere – Studie. Dort wird mit Patienten gearbeitet, die einzig an HIV erkrankt sind. Für Cathomen ist dieser Test „ethisch nicht vertretbar“. HIV-Kranke können heute mit Medikamenten ein nahezu normales Leben führen, wie Susanne Usadel  (Bild links) bestätigt. In ihrer Praxis für Infektionsmedizin an der Berliner Allee in Freiburg betreut die Ärztin 700 HIV-Patienten und begleitet das Projekt von Toni Cathomen. Mit einem Kollegen wird sie die sechs Patienten der Studie auswählen. „Das Vorhaben ist einmalig, das kann bahnbrechend werden“, sagt die 53-Jährige. Sie betont aber auch: „Die Heilung wird allein diese Studie allein nicht bringen.“ Sie sei vielmehr ein Mosaikstein auf dem richtigen Weg. Im Herbst 2019 könnte die Studie starten.

Ärztin Susanne Usadel

Usadel erzählt von einem unglaublichen Wandel: Vor 30 Jahren habe sie Patienten in den Tod begleitet. Heute nehme man täglich eine Tablette und könne ein fast normales Leben führen. Die größte Belastung für Betroffene sei das Stigma: Wer sich outet, werde noch immer in eine Ecke gestellt. Eine Heilung ist deshalb der große Wunsch: „Die Leute möchten es loswerden.“

Bei aller Sehnsucht betonen Usadel und Cathomen immer wieder: Es gibt keine Erfolgsgarantie. „Im schlimmsten Fall kommt der Blutkrebs (Lymphom) nach drei Jahren wieder“, sagt Cathomen. Andere Genforscher mussten bei ihren Arbeiten schwere Rückschläge hinnehmen. Genscheren schnitten an den falschen Stellen, machten DNA-Stränge kaputt, verursachten Krankheiten, die vorher nicht da waren. „Wir wollen die Fehler der klassischen Gentherapie vermeiden“, betont Cathomen. Er spricht bedächtig und bestimmt zugleich.

Sein ambitioniertes Vorhaben muss viele Hürden nehmen. Gleich drei Instanzen entscheiden über die Vertretbarkeit der Studie: das Paul-Ehrlich-Institut als oberste deutsche Behörde, die Ethikkommission der Uniklinik Freiburg und eine Landesbehörde. Die riesigen Anträge brauchen Zeit. Doch auch da ist Cathomen optimistisch: „Wir werden unsere Hausaufgaben machen.“

Arbeit im Freiburger Labor

Ein weiterer Knackpunkt sind die Finanzen: 3,5 Millionen Euro kostet die Studie. Rund 500.000 Euro pro Patient plus weitere Ausgaben für die Entwicklung sind veranschlagt – und gesichert. „Sehr hohe Kosten“, sagt Cathomen, man müsse sie jedoch gegenrechnen mit den Ausgaben und Widrigkeiten einer medikamentösen HIV-Behandlung. 20.000 Euro pro Patient koste die Tabletten-Therapie jährlich, der psychologische Druck auf Infizierte sei enorm. „Die Aussicht, HIV-frei zu sein, ist großartig“, sagt Cathomen.

Als „Wunderwaffe“ werden seine Genscheren gerne angepriesen. Das sieht er skeptisch: „So einfach ist das nicht.“ Ohne Langzeitstudien könne keiner beurteilen, wie wirksam der Ansatz ist. „Das Ganze werde zu stark gehypt.“ So schreiben ihm immer wieder Patienten, die therapiert werden möchten. Etwas Konkretes anbieten kann er ihnen bisher nicht.

Trotz vieler Widrigkeiten lässt Catho­men keine Zweifel am großen Ziel: Er will HIV langfristig heilen. Dafür ist seine Studie ein wichtiger Schritt. Im Erfolgsfall bräuchte es eine weitere, noch größere Untersuchung. In Freiburg sei das nicht zu stemmen.

Läuft alles optimal, könnte seine Genscheren-Therapie noch vor 2030 für Patienten zugänglich werden, schätzt Cathomen. Das passt zum ehrgeizigen Plan der Vereinten Nationen. Deren Ziel lautet: kein HIV mehr bis 2030.

Fotos: © Till Neumann

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