Himmlische Lebensart: Gasthaus zum Himmelreich GASTRO & GUSTO | 13.11.2022 | Reinhold Wagner

Eingang vom Gasthaus Himmelreich in Kirchzarten

Beim Hofgut Himmelreich wird Inklusion in allen Facetten praktisch und theoretisch gelebt und in den beruflichen Alltag integriert. Aktuell läuft dort das erste Jahr „FSJ inklusiv“ im Gastro-Bereich, das vom Leiter der Hotellerie und Gastronomie, Mike Münch, initiiert wurde.

„Wir stellen uns Fragen wie: ‚Wie melden wir uns am Telefon?‘ oder ‚Auf welche Art ist das Kassensystem oder die Theke machbar? Manuell oder elektronisch?‘“, erläutert Münch die Anforderungen, die auf Menschen mit speziellen Fähigkeiten zukommen. Und natürlich auch auf die, die mit ihnen Hand in Hand und Seite an Seite arbeiten.

Noch mehr als anderswo benötigen die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen im Hofgut Himmelreich – mit Akademie, Hotellerie und Gastronomie – klare, geregelte Strukturen und regelmäßige, feste Zeiten. Die von krankheitsbedingten Ausfällen und dem fast überall beklagten Personalmangel geprägten Corona-Jahre stellen Ausbilder und Leitungsteam daher vor zusätzliche Herausforderungen. Denen stellt sich seit Ende August der als Interims-Küchenleiter eingesprungene Koch Reinhold Fritz, der auf eine langjährige Erfahrung in der gehobenen und internationalen Gastronomie zurückgreifen kann.

Nach Stationen bei Harald Wohlfahrt und im Freiburger Colombi sammelte der aus Norddeutschland stammende Koch auch Erfahrungen in Seniorenresidenzen und gutbürgerlicher Küche, bevor er sich selbstständig machte und nun die neue Herausforderung annahm. „Autisten und Menschen mit Down-Syndrom reagieren eventuell empfindlicher als andere, und es ist mehr Geduld gefragt“, führt er als Unterschiede zu seinen bisherigen Mitarbeitern an. „Aber es macht auch Spaß und ist spannend anders.“ Und mit einem fragenden Blick auf seine hinter ihm stehende Küchenhelferin fügt er lachend hinzu: „Sie können diesen Menschen einfach nicht böse sein!“

Gasthaus Himmelreich in Kirchzarten

Schwarzwaldidylle mit inklusiver Power: Im Hofgut Himmelreich sind Ausbildung und gastliche Bewirtung unter mehreren Dächern vereint.

Badische Küche auch mal frech-exotisch

Regelmäßig holt sich Fritz bei seinem Team derartige Bestätigungen ab, und man merkt, wie gut alle miteinander auskommen. Auf seine Küchenphilosophie angesprochen, hegt Fritz langfristige Pläne: „Ich möchte nach und nach den Spagat wagen zwischen der Badisch-saisonalen Küche und modernen, internationalen Einflüssen, die gerne auch mal exotisch-frech und etwas gewagt sein können.“ Wichtig sind ihm aber vor allem Frische und Qualität. Und so verwendet er auch weder Mehl noch ein anderes Bindemittel, um seine Soße für die Rinderbäckchen und das Röstgemüse einzudicken, die er aktuell auf der Karte hat. Sein Geheimtipp stattdessen: „Acht bis zehn Mal reduzieren und immer wieder Flüssigkeit nachgießen, bis die Konsistenz stimmt.“

Bereitwillig führt der Koch durch „sein Reich“, das sowohl die Lehrküche im benachbarten Haus als auch die Restaurant-Küche umfasst. Zwar würde er am Herd lieber mit Induktion arbeiten als mit Gas, aber vom Konvektomaten, der als Automatik-Ofen mit Umluft, Dampf und Grillfunktion ausgestattet ist, zeigt er sich sehr angetan. Und als er später mit dem versammelten Küchenteam in einem Nebenraum des Restaurants um den Tisch sitzt, sieht man allen an, dass der Küchenchef sein Handwerk versteht: Es schmeckt offensichtlich ausgezeichnet und es wird herzhaft diskutiert und gelacht.

Innenbereich vom Gasthaus Himmelreich

Gastlichkeit in uriger Umgebung: Im Restaurant Himmelreich bringt Küchenchef Reinhold Fritz mit seinem Küchenteam feine Badische Küche auf die Teller.

Feine Würze für den guten Geschmack

Der rege Austausch ist Fritz so wichtig wie die freie Hand in der Küche. Und die lässt man ihm gerne. Zeigt sich doch sowohl im täglichen Umgang mit den besonderen Menschen, die ihm anvertraut wurden, als auch im souveränen Handling in der Küche, dass der Mann weiß, was er will und was gut ankommt. Und das überträgt sich nach außen und zu den Gästen hin, von denen viele Stammgäste sind – und manche auch die durchgehende Barrierefreiheit genießen. In jedem Fall kommen die Rinderbäckchen mit Röstgemüse, die im Herbst auf der Karte stehen, so gut an, dass Fritz gleich mehrere Variationen durchspielt: „Zuletzt hatten wir als Beilage Pastinaken-Püree. Das habe ich mit Zwiebeln, Zitronenthymian und Rosmarin gewürzt und mit Brühe und Sahne verfeinert. Mit einer Prise Rohrzucker und Salz im Mixer püriert, kam das gut an. Es geht aber auch mit Kürbis-Püree oder Kartoffelstampf. Und anstelle von Rotkraut gab es zuletzt Mangold.“ Und dass Soße und Rotkraut so einzigartig schmecken, liegt vielleicht auch an den Mangostückchen, dem Räucher-Paprika-Würzmittel oder dem Klecks Feigen-Nuss-Konfitüre, den Fritz gerne daran gibt. Auch der vom Service-Mitarbeiter empfohlene trockene Spätburgunder vom Weingut Landmann passt ausgezeichnet zum Menü.

Trotz besonderer Herausforderungen findet Fritz offensichtlich Zeit und Muße für Experimente. Und dass auch unter Zeitdruck und einem erforderlichen „Mehr“ an Geduld Qualität und Frische nicht leiden müssen, dafür ist die Küche im Gasthaus zum Himmelreich der beste Beweis. Das Hotel wird vom „Schlummer Atlas“ empfohlen, das Hofgut mit seiner Akademie für sein herausragendes Engagement gegen Jugendarbeitslosigkeit gepriesen, und ganz aktuell steht die Nominierung an für den „Umweltpreis für Unternehmen“ des Landes Baden-Württemberg 2022. Und was Mike Münch besonders stolz macht, verrät er zum Schluss: „Im Mai war sogar ein TV-Team da, das im Gasthaus eine Doku gedreht hat, in der Star-Koch Tim Mälzer gemeinsam mit 13 Menschen mit Down-Syndrom kocht.“ Die zweiteilige Kochsendung soll am 24. und 31. Oktober auf VOX ausgestrahlt werden – allerdings erhielt das Gasthaus dafür den Namen „Zum Schwarzwälder Hirsch“. Dem Renommee dürfte das keinen Abbruch tun.

Rinderbäckchen mit Röstgemüse, Rotkraut und Pappardelle

Rezept des Monats Vom Gasthaus Himmelreich

Rinderbäckchen mit Röstgemüse, Rotkraut und Pappardelle

Für 4 Personen

Rinderbäckchen mit Röstgemüse

2 Backen vom Rind à 400 g
Je 1 l Rinderkraftbrühe + Rotwein
Je 1 Karotte, Lauch, Zwiebel,
Petersilienwurzel
½ Sellerie
1 TL Salz, wenig Zucker
1 Lorbeerblatt
3–4 Wacholderbeeren
etwas Senf

Rotkraut

½ Kopf Rotkraut
1 Zwiebel
¼ l Apfelsaft, naturtrüb
ca. ¼ l Gemüsebrühe
½ Mango
1–2 EL Zucker
1 TL Salz

500 g Pappardelle

Die Rinderbacken nur mit Salz in der Pfanne von allen Seiten anbraten, dann auf ein tiefes Backofenblech geben.

Das Wurzelgemüse, Lauch und Zwiebel mit etwas Salz und wenig Zucker separat in der Pfanne anrösten und über den Schmorbraten geben. Mit Brühe und Rotwein aufgießen, Gewürze dazugeben und alles auf dem Herd herunterreduzieren. Im Backofen für 2 Stunden und 20 Minuten bei 160 Grad schmoren.

Für das Rotkraut zunächst den Zucker im Topf karamellisieren. Die gewürfelte Zwiebel dazugeben, dann das kleingeschnittene, gesalzene Rotkraut. Mit Apfelsaft und Gemüsebrühe bedecken, bis alles leicht schwimmt. Sanft köcheln lassen, bis die gewünschte Konsistenz erreicht ist. Zum Schluss Mangostückchen dazugeben und die Pappardelle nach Vorschrift kochen.

INFO:
Hofgut Himmelreich
Himmelreich 37
79199 Kirchzarten
Tel.: 0 76 61/98 62-0
www.hofgut-himmelreich.de

Öffnungszeiten Gasthaus:
Mo., Do., Fr. ab 17.30, Küche bis 21.30 Uhr
Sa. u. So. ganztags durchgehend warme Küche ab 12 Uhr
Di. u. Mi. auf Nachfrage

Fotos: © Erika Weisser, Reiner Pfisterer, Reinhold Wagner