Messen statt schnüffeln: Weine des Jahrgangs 2022 GASTRO & GUSTO | 04.12.2022 | Dorothea Wenninger

Geschäftsführer Heiko Schapitz und Erster Kellermeister Michael Nußbaumer verkosten einen 2020er Chardonnay. Mit dem Premium-Wein im Glas: Geschäftsführer Heiko Schapitz und Erster Kellermeister Michael Nußbaumer verkosten einen 2020er Chardonnay.

Es geht geschäftig zu in der Ersten Markgräfler Winzergenossenschaft Schliengen-Müllheim. Seit dem Herbsten kennt Erster Kellermeister Michael Nußbaumer nur noch lange Arbeitstage. 2 Millionen Liter Wein ruhen dieses Jahr im Keller, eine überdurchschnittliche Ernte.

Sobald der Traubensaft im Tank gelandet ist, wird er nicht mehr aus den Augen gelassen. Jeden Tag nehmen die Mitarbeitenden an jedem Behälter die sogenannte Gärkontrolle vor: Sie messen die Öchsle und die Gärtemperatur und tragen die Werte in ein Koordinatensystem ein.

An einem Tank mit diesjährigem Chardonnay ist die Öchslekurve noch nicht bei Null angekommen, obwohl das normalerweise schon um den 16. Tag der Gärung herum passiert. Das bedeutet, dass dieser Chardonnay „eine Langgäraromatik aufweisen wird: Er wird breiter, runder, im Endeffekt eleganter“ schmecken als der Durchschnitt, so Nußbaumer. Bei dieser Sorte schadet die längere Gärung also nicht, im Gegenteil. Bei einem Gutedel sähe das anders aus, „der soll leicht und spritzig sein“.

Kleinere Weinbetriebe wenden statt der täglichen Messkontrolle die sogenannte Schnüffel-methode an. Eine besondere Variante davon praktizierte der Önologie-Professor Jochen Hamatschek: Der hielt jeden Tag seine Nase an die Tanks. Anhand des Geruchs des oben herausblubbernden und auf der Oberfläche der Tanks zu Boden sinkenden Gases konnte Hamatschek beurteilen, ob der Wein sich entwickelte, wie er sollte, oder ob mikrobiologisch etwas nicht in Ordnung war. Im Keller gilt: „Mikrobiologie ist alles beim Wein“, konstatiert sein ehemaliger Student und heutiger Geschäftsführer der Winzergenossenschaft Heiko Schapitz. Immer geht es darum, ob die richtigen Organismen bei der richtigen Temperatur am Werke sind. Das hängt davon ab, was die Trauben vom Rebberg mitbringen, aber auch davon, was der Kellermeister fördert und was er hemmt, welche Hefen er bevorzugt, ob und wann er die Vergärung stoppt.

Glas Wein

Zeigt die Gärkontrolle eine Abweichung von der Norm, die bedenklich stimmt, nehmen die Kellermeister eine Kostprobe. Da ist Erfahrung gefragt, denn sie müssen schnell entscheiden, ob und wie sie in den Gärprozess eingreifen wollen. Sie könnten den Wein abkühlen, um die Gärung zu stoppen, oder für ein bis zwei Sekunden stark erhitzen, um ungebetene Gäste, sprich unerwünschte Bakterien, zu vergraulen. Oder aber „sie stechen den Wein schneller ab“ als geplant, das heißt sie nehmen ihn früher von der Hefe. Damit beenden sie auch die Gärung.

Mitte November sind die Abstiche gemacht, das heißt die jungen Weine wurden von der groben Hefe getrennt. Gegen Ende November kommen die ersten weißen Jungweine des Jahrgangs 2022 in die Flasche: und zwar die Sorten Müller-Thurgau, Grauburgunder und Auxerrois.

Im Moment entsteht in der WG Schliengen eine neue Premiumwein-Reihe. Die ersten Sorten, nicht aus diesem Jahr, sind bereits in dunkle Flaschen abgefüllt. Heiko Schapitz und Michael Nußbaumer verkosten einen 2020er Chardonnay mit kräftiger Farbe. Die beiden Fachleute nehmen einen intensiven Duft mit Noten von Karotte, Ananas und Litschi wahr und im Nachgang Holz. „Das Holz ist noch etwas zu viel“, deshalb braucht der Wein noch ein halbes oder dreiviertel Jahr Flaschenreife und wird an Ostern 2023 auf den Markt kommen.

INFO

Vinotheken der Ersten Markgräfler
Winzergenossenschaft Schliengen-
Müllheim gibt es in Schliengen,
Bahlingen, Weingarten, Müllheim
und Staufen.

www.sonnenstueck.de

Fotos: © Dorothea Wenninger, Arwen Stock