Niki de Saint Phalle-Werkschau im Kunsthaus Zürich Kunst & Kultur | 17.11.2022 | Kornelia Stinn

zwei Figuren am Tisch Buntes Sehvergnügen verbindet die Ausstellung mit spannenden Einblicken in den Lebenslauf von Niki de Saint Phalle.

Mit ihren Nanas ist Niki de Saint Phalle weltberühmt geworden. Derzeit ist eine Retrospektive der Künstlerin im Kunsthaus Zürich zu sehen und zu erleben. Ein Spaziergang zwischen Nanas, ausufernden Ölgemälden, fantasievollen Reliefs und „blutrünstigen“ Schießbildern.

Selbstbewusst posiert die riesige schwarze Mosaik-Nana im Mittelpunkt der Ausstellung. Die Arme ausgebreitet, hebt sie graziös ein Bein. Trotz aller Schwere wirkt die Figur dynamisch, wie die Vorbotin eines Zeitalters, in dem Frauen die Macht haben, Frauen mit dunkler Hautfarbe. Bei all ihrem fröhlichen Optimismus erinnert die Figur aber auch an die Unterdrückung von Menschen mit dunkler Hautfarbe in einer Welt, in der Frauen vielerorts um ihr Recht auf Selbstbestimmung kämpfen. Drei Jahre vor ihrem Tod hat Niki de Saint Phalle diese monumentale Skulptur geschaffen und damit ihr Credo aus den 1960er-Jahren aufgegriffen: „Alle Macht den Nanas.“ 

Bevor sie 1965 begann, ihre üppig bunten Ur-Frauen in die Welt zu setzen, hatte sie bereits mit „Schießbildern“ für Furore gesorgt. Sie zielte mit einem Gewehr auf Farbbeutel, die sie auf Gipsreliefs angebracht hatte, um „das Blut zum Fließen“ zu bringen. Aggressive Gesten in einer männerdominierten Welt, in der sie sich als machtlos erlebte. Als zweites von fünf Kindern in Frankreich geboren, wächst sie in einer aristokratischen Familie auf. 1948 arbeitet sie zunächst als Fotomodell und heiratet den Schriftsteller Harry Mathews. Als das Paar sich 1960 trennt, bleiben die Kinder Laura und Philip beim Vater. Im 1992 veröffentlichten Künstlerbuch „Mon secret“ offenbart sie in einem Brief an ihre Tochter, von ihrem Vater als 11-Jährige missbraucht worden zu sein. 

Das „Innen“ erkunden

„Sehr jung erhielt ich die Botschaft, dass Männer Macht hatten, und die wollte ich“, schreibt sie in einem Brief an ihren Förderer Pontus Hultén, den damaligen Direktor des Moderna Museet in Stockholm, „ich wollte, dass die Außenwelt auch mir gehörte.“ In der Kunst fand sie ein Medium, um ihr Trauma zu verarbeiten und ihrem Kampf um Selbstbestimmung Ausdruck zu verleihen. Nach ersten autodidaktischen Versuchen mit Ölmalerei wachsen ihre Werke mehr und mehr in den Raum: Sie klebt Fundstücke auf, komponiert sehr fantasievolle Reliefs mit allem, was ihr in die Finger kommt, vom Plastikschäufelchen über Tannenzapfen, Wollreste, Schrauben bis zum Brautschleier. Schließlich macht sie sich selbst in ihren „Schießbildern“ zum Teil des Werkes – die Geburtsstunde der Aktionskunst. Es gelingt ihr als einzige Frau, Mitglied der Künstlergruppe Nouveaux Réalistes zu werden, zu der unter anderem Antoni Gaudí, Jackson Pollock und ihr neuer Lebensgefährte Jean Tinguely gehören. Das erste gemeinsame Festival 1962 in Nizza bringt ihr Ausstellungsmöglichkeiten in Europa und New York.

Die Welt steht ihr offen, an ihrer Seite die Nanas: „Ich wollte, dass die Nanas die Macht über die Welt übernehmen.“ Die üppigen Frauenfiguren mit ausladenden Hüften haben auf den ersten Blick so gar nichts mit ihrer zarten Schöpferin zu tun – und sind doch Ausdruck ihres persönlichen Ringens. So mag die 25 Meter lange liegende Nana namens „Hon“ mit begehbarer Vulva wie unter einem Brennglas auf der verwundeten Seele ihrer Schöpferin erscheinen.

Die Erkundung des „Innen“ findet in einem Architekturprojekt seinen Höhepunkt: Im gigantischen Tarotgarten in der Toskana mit begeh- und bewohnbaren Skulpturen lebt die Künstlerin einige Jahre mit ihrem Lebensgefährten Jean Tinguely eine Symbiose von realem Leben und Kunst. „Die Kunst war immer mein bester Freund“, sagte Niki de Saint Phalle, „ohne sie wäre ich schon lange an gebrochenem Herzen gestorben.“

Info
Niki de Saint Phalle
Kunsthaus Zürich,
bis 8. Januar 2023
Schirn Kunsthalle Frankfurt, 3. Februar 2023 bis 21. Mai 2023

Foto: © Tea Party, ou Le Thé chez Angelina, 1971, Foto mumok  © 2022 Niki Charitable Art Foundation, All rights reserved / ProLitteris, Zurich