Verlust und Schmerz Kunst & Kultur | 12.08.2023 | Erika Weisser
Noch bis 17. September zeigt die Fondation Beyeler Werke der kolumbianischen Künstlerin Doris Salcedo. Die Objekte und Installationen, die Auswirkungen gewaltsam ausgetragener Konflikte thematisieren, sind in der Schweiz in diesem Umfang erstmals zu sehen.
Es ist nicht erst das im zweiten Ausstellungssaal mit effektvollem Faltenwurf über fast den ganzen Fußboden gebreitete, aus Tausenden fermentierter Rosenblütenblätter genähte filigrane Verhüllungstuch, das Unbehagen auslöst. Schon im ersten Raum sorgte eine unbetitelte Installation mit ordentlich gestapelten, im Brustbereich von Metallstangen durchbohrten Hemden für Gänsehaut. Doch erst hier wird die Abwesenheit der Körper der Menschen, denen Doris Salcedo diese Werke gewidmet hat, sofort augenfällig und fast physisch spürbar.
Drei Jahre (2011 bis 2014) hat die inzwischen 65-Jährige an diesem symbolischen Leichentuch für eine ermordete kolumbianische Krankenschwester gearbeitet, deren Körper nie gefunden wurde. „A Flor de Piel“ nennt sie das empfindliche Blätterwerk (l.), das sie von Hand mit chirurgischem Faden zusammengefügt hat – und sie bezieht sich auf die im Spanischen gebräuchliche Redewendung, nach der Emotionen im Farbenspiel der Haut sichtbar werden, wie bei einer Blüte. Das Rosenblütentuch hat einen bräunlich-fleischfarbenen Ton – als Ausdruck des Schmerzes, nicht nur über den Verlust eines Menschen, sondern auch darüber, dass dieser und vielen anderen Verschwundenen ein Begräbnisritual verwehrt blieb.
Das ging auch den Arbeitern einer Bananenplantage in Nordkolumbien so, an die sie mit der Installation im ersten Saal erinnert: Als sie im Jahr 1988 für bessere Arbeitsbedingungen streikten, wurden sie von Paramilitärs getötet und ohne jede Würde namenlos in einem Massengrab verscharrt. An solche anonymen Massengräber gemahnt denn auch die raumfüllende Installation mit dem Namen „Plegaria Muda – Stilles Gebet“ im nächsten Saal. Hier sind einfach gezimmerte Tische in einer Weise angeordnet, die in ihrer Gleichförmigkeit und Materialität sowohl an Särge als auch an Grabfelder denken lässt.
Erinnerung und Emotion
Dabei sind die Tische so übereinandergestapelt, dass beim jeweils oberen die Beine in die Luft ragen. Doch zwischen die Platten ist eine dicke Humusschicht eingearbeitet, aus der leuchtend grünes Gras sprießt – sogar durch die Ritzen des oben liegenden Tisches. Damit, sagt Doris Salcedo, will sie deutlich machen, dass „selbst an Orten des Grauens neues Leben entstehen kann“, dass auch die Menschen, die man gewaltsam verschwinden ließ, nicht einfach weg sind. Sondern dass sie weiterleben und ihre Saat hinterließen – in jenen, die ihrer gedenken.
Dieses Gedenken hat die Künstlerin zu ihrem Lebensthema gemacht – zuletzt auch mit „Palimpsesto“, einer Bodeninstallation, in der die Namen der auf der Flucht im Mittelmeer Ertrunkenen erscheinen. Dabei gelingt es ihr auch hier, Gewalt ohne Gewalt darzustellen.
Info
Fotos: © Installationsansicht „Doris Salcedo“ in der Fondation Beyeler, Riehen/Basel, 2023 © Doris Salcedo Foto: Mark Niedermann // Doris Salcedo, A FLOR DE PIEL II, 2013–2014 (Detail), Rosenblütenblätter und Garn; Presented as part of the D. Daskalopoulos Gift to Tate © Doris Salcedo Foto: Patrizia Tocci