Wegbereiter der Moderne – Die Fondation Beyeler präsentiert die Werke von Francisco de Goya Kunst & Kultur | 17.10.2021 | Erika Weisser

Francisco de Goya Bekleidete_Maya La maja vestida

Das Gemälde springt einen gleich beim Betreten des Raumes förmlich an. Weniger wegen seiner Dimension, die mit 280 auf 177 Zentimeter durchaus beachtlich ist. Auch nicht wegen des Sujets – die Darstellung der Verkündigung Marias durch den Erzengel Gabriel gehört in der christlich-religiösen Malerei schließlich zu den Basics. Es liegt auch nicht nur daran, dass kein weiteres Bild an der Wand am anderen Ende des Saals hängt: Es ist das Licht, das sofort fasziniert. Diese Lichtstrahlen, die den dämmrigen Raum durchfluten und auf die beiden Figuren herabschweben. Auf Figuren, die nicht vergeistigt-durchsichtig wirken, sondern wie ganz gewöhnliche Menschen – mit kräftigem Körperbau, geröteten Wangen, vollem, dunklem Haar und ohne Heiligenschein.

Francisco de Goya Hexensabbat El AquelerreFrancisco de Goya (1746–1828) hat dieses sich heute in einer Privatsammlung befindliche Bild im Jahr 1785 gemalt, kurz nach seiner Übersiedlung aus seiner Geburtsstadt Saragossa nach Madrid. Als Auftragsarbeit für den Altar der Kapelle des dortigen Kapuzinerklosters San Antonio. Bis dahin, sagt Martin Schwander, habe es „kaum eine Verkündigungs-Darstellung mit einer derart unmittelbaren und realistischen Wirkung gegeben“. Schwander ist Kurator der Ausstellung, die bis zum 23. Januar in der Fondation Beyeler in Riehen etwa 75 Gemälde und mehr als 100 Zeichnungen und Druckgrafiken dieses bildenden Künstlers präsentiert, der als Wegbereiter der Moderne gilt.

Zehn Jahre, so Schwander, seien über der sorgfältigen Vorbereitung dieser außergewöhnlichen, in enger Zusammenarbeit mit dem Museo del Prado in -Madrid entstandenen Präsentation ins Land gegangen: für die Konzeption, für die Sondierung nicht öffentlich zugänglicher Werke und für Verhandlungen mit den Leihgebern – Museen und Privatsammlungen in Europa und Amerika. Ziel war es, diese chronologisch konzipierte Werkschau so vollständig wie möglich zu gestalten.

GOYA Antonia Zarate

Francisco de Goya: Die Ausstellung in der Fondation Beyeler zeigt den Künstler nicht nur als Hof- und Kirchenmaler, sondern auch sein Schaffen als unkonventioneller Porträtmaler, als „Andy Warhol des 18. Jahrhunderts“, wie Kurator Martin Schwander sagt.

Das ist gelungen: Zu sehen sind einige Werke, die Spanien noch nie verlassen haben, darunter acht von elf Kabinettbildern aus der Sammlung des Marqués de la Romana: Kleinformatige Gemälde mit unter die Haut gehenden Darstellungen der Wirkung von Hass und Gewalt. Diese und andere nur selten gezeigten Bilder werden den weltbekannten, geradezu ikonischen Werken wie der bekleideten Maja (o.), dem Hexensabbat (u.l.) oder den „Schrecken des Krieges“ gegenübergestellt. So wird beim Rundgang durch die Ausstellungsräume – und damit durch sechs Jahrzehnte seines künstlerischen Schaffens – der allmähliche Wandel in Stil, Malweise und den Themen des Hofmalers, Kirchenkünstlers und unbestechlich dokumentarischen Chronisten -Francisco de Goya nachvollziehbar. 

Nicht nur an drei Selbstporträts aus ganz verschiedenen biografischen Phasen wird deutlich, wie sein Lebensweg, seine Erfahrung von Krankheit und dem Verlust des Hörvermögens, von Elend, Krieg oder Exil sein Werk beeinflussten. Das von Martin Schwander „göttlich“ genannte Licht der erwähnten Verkündigungsdarstellung ist im Lauf der Zeit immer seltener zu finden – auf Schiffbrüchige, Verstümmelte, Verhungernde und Ermordete, auf die Insassen von Gefängnissen, Irrenhäusern oder Pestspitälern fällt es ohnehin nicht.

GOYA Dona Maria del Pilar duquesa de AlbaGoyas Farben werden zusehends dunkler, die Gemälde düster, oft geradezu bedrohlich. Zu diesen Werken zählen auch die 14 Bilder, die Goya zwischen 1819 und 1823 an die Wände seiner letzten Madrider Wohnung in einer Gehörlosenresidenz malte – vor seiner Emigration nach Bordeaux.

„Pinturas Negras“ werden diese nahezu monochromen, teils komischen, teils sehr verstörenden Spätwerke genannt, „schwarze Bilder“. 50 Jahre nach ihrer Entstehung und lange nach Goyas Tod wurden sie von den Wänden genommen, auf Leinwand aufgezogen und in den Prado gebracht. Wegen ihrer Fragilität dürfen sie dieses Museum nie wieder verlassen. In Riehen sind sie dennoch präsent: Der französische Künstler Phillippe Parreno hat sie im Prado gefilmt, die Bilder auf die ursprünglichen Wände des immer noch existierenden Hauses projiziert und daraus einen Film gemacht, der im letzten Ausstellungsraum zu sehen ist – mit einer imaginären Klanglandschaft.

Es ist eine rundum geglückte Ausstellung, für die sich Prado-Direktor Miguel Falomir Faus „keinen besseren Ort vorstellen“ kann.  

Info

www.fondationbeyeler.ch  

Fotos: © Francisco de Goya: Bekleidete Maya (La Maja Vestida), 1800-1807, Öl auf Leinwand, 95 x 190 cm, Museo Nacional del Prado, Madrid, © Photographic Archive. Museo Nacional del Prado. Madrid. •  Hexensabbat (El Aqelarre), 1797/98, Öl auf Leinwand, 43 × 30 cm, Fundación Lázaro Galdiano, Madrid. • Doña María Del Pilar Teresa Cayetana De Silva Álvarez De Toledo, XIII Duquesa De Alba, 1795, Öl auf Leinwand, 192 x 128 cm, Fundación Casa de Alba, Palacio de Liria, Madrid. • Portrait of Doña Antonia Zárate (Antonia Zárate y Aguirre), ca. 1805, Öl auf Leinwand, 103,5 x 82 cm, © National Gallery of Ireland, Dublin, Schenkung, Sir Alfred und Lady Beit, 1987 (Beit Collection)