Adieu Sterneküche: Schwarzer Adler und Colombi verlieren Stern GASTRO & GUSTO | 21.03.2020 | Dominik Bloedner

Die diesjährige Verleihung der Michelin-Sterne zeigt, wie sich die Ansprüche an die Spitzengastronomie gewandelt haben – was auch erklärt, warum der „Schwarze Adler“ und die „Zirbelstube“ auf einmal nicht mehr en vogue sind. Alle Jahre wieder liegen Triumph und Tristesse so eng beieinander, alle Jahre wieder verleiht der Gourmetführer Guide-Michelin seine Sterne, seit 2019 tut er das nicht mehr im November, sondern im März.

Alle Jahre wieder heißt es zugleich: Allmacht und Ahnungslosigkeit. Denn die Tester, die sich Inspektoren nennen und stets anonym zum Speisen und zum Bewerten in die einschlägigen Lokale gehen, lassen sich nun mal nicht in die Karten schauen – und lassen mitunter manchen Koch ratlos oder gar verärgert zurück.

So nun auch in Südbaden, wo man weder in der „Zirbelstube“ des Freiburger Hotels Colombi noch im „Schwarzen Adler“ des Oberbergener Winzers und Fußballfunktionärs Fritz Keller eine Ahnung hat, warum nach so vielen Jahren nun der Stern, diese Anerkennung, auf einmal aberkannt worden ist. Lag es daran, dass dort unlängst die Chefs gewechselt hatten, von Anibal Strubinger auf Christian Baur im Kaiserstuhl und von Alfred Klink auf Harald Derfuß in Freiburg?

Lag es am Personalwechsel in der Küche?

Im Fall der „Zirbelstube“ jedenfalls konstatiert ein Leser der Badischen Zeitung einen „Verlust der Tiefe der Aromen“. Zwei weitere Sterne wurden in Südbaden gestrichen: der des „Wilden Ritter“ in Durbach und der des „s’Herrehus“ in Freiburg-Munzingen. Beide Häuser haben neue Konzepte (in Munzingen heißt das Restaurant nun wenig inspirierend „Regional“), beide schmerzt der Verlust nicht.

Den „Schwarzen Adler“ und die „Zirbelstube“ aber schon, die für sich in Anspruch nehmen, Gastgeber auf Sterneniveau zu sein – wie sie es seit Jahrzehnten praktizieren. Liegt es also daran, dass die Zeiten jetzt andere sind? Bei der diesjährigen Sternevergabe sind jedenfalls mehrere Trends augenfällig: Zum einen der vom Land in die Stadt, der Trend einer Urbanisierung der Spitzengastronomie. Jüngstes Beispiel sind die drei Sterne für Marco Müller vom „Rutz“ in Berlin, das sich vom belächelten Currywurst- und Döner-Standort zur Hauptstadt der Feinschmeckerei, wie es jedenfalls die FAZ nennt, gemausert hat. Frankfurt, Stuttgart, Hamburg und Hannover haben ebenfalls zugelegt.

Lange war der deutsche Südwesten aufgrund der kulinarischen Grenznähe zu Frankreich das Nonplusultra der Gourmetszene, doch der Akzent hat sich in der globalisierten Welt verschoben, der Küchenstil ist nun nicht mehr ausschließlich „klassisch-französisch“, sondern auch „kreativ-modern“. Spitzenkochs holen heute ihre Inspirationen von überall her, die nordeuropäische Küche steht derzeit hoch im Kurs. Während es im „Schwarzen Adler“ also Froschschenkel und bretonischen Hummer gibt und dort am bewusst konservativen Profil festgehalten wird, bieten Köche wie Marco Müller Gerichte an wie etwa Muscheln mit Bohnenkraut, Kohlrabi und Holundermilch.

En vogue: Casual fine dining

Die Klimadebatte hat ebenfalls Niederschlag gefunden. „Immer wichtiger für die deutsche Spitzengastronomie wird auch das Thema Nachhaltigkeit. Dies betrifft Herkunft und Transportwege der Produkte ebenso wie die Art des Anbaus, Tierhaltung oder Verarbeitung“, lässt Michelin verlauten. Auch, ob die Speisen gesund seien, würde nun berücksichtigt.

Ein weiterer globaler Trend, der bislang kaum in Südbaden angekommen ist, lautet Casual Fine Dining, was soviel bedeutet wie kulinarischer Genuss auf hohem Niveau in l­egerer, lockerer Atmosphäre. Die Hemmschwelle, so der Guide Michelin, solle gesenkt werden. In den großen Städten sucht man in den Sternerestaurants Krawatten meist vergeblich, die Gäste sind in der Regel zwischen 30 und 50 und manche Gastgeber verzichten gar auf Tischdecken. Dafür kommt zu später Stunde ein Discjockey mit elektronischer Musik – für Traditionshäuser wie die „Zirbelstube“ und den „Schwarzen Adler“ schwer vorzustellen.

Muss sich das selbsternannte Genießerland Baden-Württemberg nun Sorgen machen? Noch dazu ist ja Baiersbronn verloren gegangen: die „Schwarzwaldstube“ (drei Sterne) und die „Köhlerstube“ (ein Stern) sind im Januar abgebrannt und wurden nicht mehr berücksichtigt. Doch Endzeitstimmung ist nicht angebracht. Denn mit 77 Sterne-Restaurants ist man im Südwesten vor Bayern (52) und NRW (48) nach wie vor Spitzenreiter in Deutschland.

Und es rücken neue Helden am Herd nach: in Blansingen bei Efringen-Kirchen ist es die „Traube“, in Hinterzarten ­„Oscars Fine Dining“ im Hotel Adler und in Donaueschingen das „Ösch Noir“. Augenfällig auch hier: die neu ausgezeichneten Sterneköche sind allesamt noch jung.

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