»Es ist ein Teufelskreis« – Warum das ZMF wegen Dietenbach um seine Zukunft bangt  Stadtentwicklung | 17.05.2024 | Till Neumann & Lars Bargmann

Dietenbach und das ZMF-Gelände Großes Viertel, kleines Festival: Wenn Dietenbach gebaut ist, könnte es für das ZMF (unten) eng werden. Kreisel und Parkhaus davor bereiten schon jetzt Bauchschmerzen.

Seit 40 Jahren sorgt das ZMF im Sommer für viele strahlende Gesichter. Doch trotz des Jubiläums herrscht im Team derzeit wenig Jubelstimmung. Der Bau des neuen Stadtteils Dietenbach in unmittelbarer Nähe zum Festivalgelände bringt Probleme mit sich: Zufahrtswege könnten verstopfen und Anwohnende gegen Lärm klagen. Einen Standortwechsel schließen die ZMF-Macher aus. Die Kommunikation zwischen ZMF und Rathaus ist ausbaufähig.

„Ein Nebeneinander von ZMF und neuem Stadtteil wird für die Zukunft abgesichert.“ So steht es im Infoflyer zum Dietenbach-Bürgerentscheid im Februar 2019. Aber kann das auch klappen? Die ZMF-Chefs Hanna Teepe und Dieter Pfaff haben beim Redaktionsbesuch ihre Zweifel. „Wir sind unsicher, ob das so kommt, wie es uns versprochen ist“, sagt Pfaff. Denn die Herausforderungen sind groß – und es sind gleich mehrere Nüsse zu knacken.

Hoffen lässt die beiden, dass das erste Problem offenbar vom Tisch ist: Das Rathaus wollte zunächst einen Info­pavillon zum neuen Stadtteil „zu 80 Prozent aufs ZMF-Gelände stellen und ausgerechnet in unseren wichtigen Back­stagebereich“, erklärt Pfaff. Der Pavillon hätte den Zufahrtsweg blockiert und nicht zuletzt Rettungsfahrzeugen den Weg versperrt. Das habe er dem Rathaus kommuniziert, sei zunächst jedoch vertröstet worden. Doch nach seinem Einspruch plane die Stadtverwaltung nun, den Pavillon woanders hinzustellen.

Damit zur nächsten Hürde: die Zu- und Abfahrtsituation unmittelbar vor dem ZMF. Auf dem gegenüberliegenden Parkplatz ist ein Parkhaus als Quartiersgarage für den Stadtteil geplant. So kann man es dem offenliegenden Bebauungsplan entnehmen. Wird dieses Parkhaus von Anwohnenden voll genutzt, fallen wichtige ZMF-Parkplätze weg. „Wir haben einen Parkplatzbedarf für circa 2000 Fahrräder in der Maximal-Auslastung und für etwa 1200 Fahrzeuge, die wir nicht so einfach wegkriegen“, erklärt Pfaff. Rund 400 Parkplätze weniger könnten es durch das Parkhaus werden. Ein empfindlicher Einschnitt – auch finanziell. Denn über Parkplatzgebühren finanziert das Festival Security und Parkordner. Etwa 90.000 Euro würden so Jahr für Jahr generiert.

Fehlen diese, wird es bei dem finanziell auf Kante genähten Budget eng: „Wir erreichen gerade immer die schwarze Null – oder manchmal auch nicht“, erklärt Pfaff. „Fällt irgendwo was weg, kann es sein, dass wir schon hinten rüberkippen.“ Soll heißen: Das ZMF wäre im Worst Case Geschichte. Daran dürfte auch der diesjährige Erlass der 23.000 Euro schweren Pacht fürs Gelände nichts rütteln. Auf die verzichtet das Rathaus zum Jubiläumsjahr.

Zirkuszelt auf dem ZMF

Für Baubürgermeister Martin Haag ist das Parkthema lösbar: „Wir werden einen Weg finden.“ Das Parkhaus wird vermutlich die Freiburger Kommunalbauten GmbH, eine Tochter der Freiburger Stadtbau, bauen.

Ein weiterer Dorn im Auge ist den ZMF-Chefs ein Kreisverkehr mit drei Rampen. Er soll von einer neuen Zufahrtsstraße zum Parkhaus führen. Eine Visualisierung lässt die Schwierigkeiten erkennen: „Das nennt sich ein Kreisverkehr mit gestörtem Abfluss“, erklärt Pfaff. Der Mann kommt vom Fach: Er führt als Diplom-Ingenieur eine Firma für Verkehrstechnik. Denn bei den Abfahrten gebe es Zebrastreifen. Und dort haben Fußgänger und Radler Vorrang. Das heißt fürs ZMF: Verstopfungsgefahr. „Hier kommen etwa 3000 Leute nach dem Konzert. Innerhalb von einer halben Stunde, vielleicht auch länger“, erklärt Pfaff. Aus dem Parkhaus komme dann keiner mehr raus. Und möglicherweise bei der Anreise auch keiner mehr rein. Pfaff: „Die Fahrbeziehungen für Autos sind tot.“

Noch kritischer könnte es bei einer Räumung des Geländes werden. Wenn beispielsweise wegen Unwettergefahr alle gehen müssen. Wie das bei so einem Kreisel funktionieren soll, ist Pfaff ein Rätsel. „Es ist ganz wichtig, die Verkehrsströme zu trennen, sodass jeder möglichst ungestört zu seinem Verkehrsmittel kommt.“

»Wir nehmen das ernst«

Die Ausfahrt des Parkhauses müsse vom Kreisel getrennt werden und separat verlaufen. Doch dort sei bereits Wohngebiet. Eine anderweite Führung der Straße hält er dennoch für möglich. „Den Punkt haben wir den Planern bei einem Treffen vorgestellt, wir wissen aber nicht, was daraus wird“, sagt Pfaff. Streit suche er nicht: „Wir sind auf Harmonie aus und versuchen, uns so diplomatisch wie möglich einzubringen.“

Haag weiß um die Sorgen: „Wir nehmen das ernst und werden uns deswegen demnächst zusammensetzen.“ Die Lage scheint dennoch angespannt zwischen Festival-Team und Stadtverwaltung. Pfaff und Teepe wenden sich an die Presse, um ihre Sorgen zu teilen. Er habe trotzdem ein gutes Gewissen, sagt Pfaff: „Uns ist seit sechs, sieben Jahren bewusst, dass da was gebaut wird.“ Vor etwa fünf Jahren sei er in eine Planungsgruppe eingeladen worden. Einmal habe es noch ein Treffen mit der ehemaligen Bürgermeisterin Gerda Stuchlik gegeben. Mehr sei nicht passiert.

Nun steht sein Team vor Planungen, die schon ziemlich festgezurrt scheinen. Die problematischen Bereiche in den Plänen seien dem Festivalteam zugespielt worden. „Da haben wir zum ersten Mal gesehen, was da geplant ist“, konstatiert Pfaff. Er ist sicher: Die jetzigen Planungen – „das wird auf jeden Fall nicht funktionieren”.

Auch im Gemeinderat machen sich Sorgen breit: „Zelt-Musik-Festival in Gefahr“ schreibt Stadtrat Atai Keller von der Kulturliste in einer Pressemitteilung. Seine Liste habe große Sorge, „dass das ZMF in 5 Jahren nicht mehr an seinem Standort sein kann“. Als Gründe nennt auch Keller den Bau des Parkhauses auf dem aktuellen ZMF-Parkplatz, die Zufahrt und die kommende Baustelle sowie die Verkehrslenkung durch eine neue Straße. Das könne die Durchführung „auf Dauer unmöglich machen und akut schwerst behindern“. Die Informationspolitik der Verwaltung lasse zu wünschen übrig. Sein Wunsch: „Eine Garantie der Stadt für das ZMF auf die nächsten 8 bis 10 Jahre mit konkreten Aussagen über bevorstehende Planungen und deren Vereinbarkeit“.

In diese Kerbe schlägt auch ein gemeinsamer Antrag vom 10. April der Fraktionen FDP/BfF, Esfa, SPD/Kulturliste, JUPI, FW und Bündnis 90/Die Grünen an Oberbürgermeister Martin Horn. Sie bitten darin um ein Konzept für die Zukunft des ZMF mit Blick auf Themen wie Lärmschutz, einen alternativen Standort, mehr Festival-Fläche oder die geplante Quartiersgarage. Auch Freiburg Lebenswert äußert sich besorgt: „Schon bevor die ersten Bewohner in Dietenbach einziehen werden, ist Ärger vorprogrammiert, denn die Bauarbeiten sorgen für eklatant erschwerte Verkehrsverhältnisse“, heißt es unter anderem in einer Pressemitteilung.

Hanna Teepe und Dieter Pfaff

Lächeln trotz Sorgen: Die ZMF-Chefs Hanna Teepe und Dieter Pfaff haben einige Knautschzonen ausgemacht.

Ein weiteres Problem am Horizont sind drohende Lärmklagen von Anwohnenden. Einige werden weniger als 100 Meter vom Festivalgelände entfernt ihr neues Zuhause finden. „Entlang vom Zubringer Mitte und an der Westrandstraße gibt es eine geschlossene Bebauung mit Lärmschutz-Fenstern und langen Gebäuden, die als Schallschutzwand dienen“, sagt Pfaff zur Planung. Doch zum ZMF hin sei alles „so fingerartig offen“. Da könne sich der Schall schön zwischen den Häusern verbreiten. Pfaff betont: „Wir wollen niemandem auf die Nerven gehen.“ Er wolle aber bei einem Musikfestival auch nicht ausschließlich Lesungen veranstalten.

Das Rathaus will Klagen von Anwohnern durch Dienstbarkeiten in den Grundbüchern vorbeugen. „Wir wollen eine Lösung präsentieren, die das garantiert“, sagt Haag. Ein renommierter Verwaltungsrechtler, der namentlich nicht genannt werden möchte, bezweifelt, dass sich das über Dienstbarkeiten regeln lässt: „Da gibt es viele offene Flanken. Wie will man etwa regeln, dass nicht der Ehepartner des Eigentümers klagt? Oder einer, der mit in dem Haushalt lebt? Oder ein Mieter? Ganz abgesehen von der grundsätzlichen Frage, ob Dienstbarkeiten überhaupt erfolgreiche Klagen verhindern können.“

»Heiße Gratwanderung« gegen den Lärm

Das bayerische Bauministerium verweist in einem Schreiben an alle Baubehörden des Landes auf ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts. Unter dem Titel „Lärm in der Bauleitplanung“ steht dort zu den Dienstbarkeiten: „Der Schutzstandard der TA Lärm steht nicht zur Disposition der Lärmbetroffenen und kann nicht durch deren Einverständnis suspendiert werden.“ Im Klartext: Zivilrechtliche Dienstbarkeiten sind beim Lärm ein stumpfes Schwert.

Wenn es nach Pfaff ginge, würde das Festivalgelände 50 bis 100 Meter weiter nach Westen ziehen. Der freiwerdende Platz am Eingang könnte dann für Schallschutz oder einen ruhigeren Festivalbereich genutzt werden. Ihm ist bewusst, dass das eine „heiße Gratwanderung“ ist, weil Flächen vom Tiergehege Mundenhof betroffen wären, das dann wiederum Ersatzflächen bräuchte. Das aber sei schwierig, da direkt nebenan ein Naturschutzgebiet verlaufe. „Das war ein historischer Fehler meiner Meinung nach.“

Der neue Stadtteil wird dem ZMF auch mehr Zulauf bescheren. Dann brauche es mehr Fläche für Buden und Toiletten. Und da Platz fehle, müsse man „im schlimmsten Fall doch einen Zaun drumherum ziehen und für einen geregelten Einlass sorgen“. Doch genau von dem Grundsatz eines für alle offenen Festivals will sich beim ZMF keiner verabschieden.

Genau wie vom Festivalgelände am Mundenhof, wo in den vergangenen Jahren eine Million Euro für Infrastruktur verbaut wurde. Einen geeigneten Ausweichort, etwa den Messplatz, hält Pfaff für unmöglich. Es seien bereits höfliche Anfragen gekommen: Könnt ihr vielleicht mal woanders hin? Könnt ihr mal unterbrechen? Genau das gehe aber eben nicht. Schon ein schwaches Jahr könne möglicherweise das Ende einläuten. Auch weil Zulieferer mit Fünfjahresverträgen abspringen könnten. Vieles sei geprüft worden – immer mit dem gleichen Ergebnis: geht nicht.

Die Lage ist also vertrackt. „Es hängt alles mit allem zusammen, es ist ein Teufelskreis“, betont Pfaff. Trotz der Vorfreude auf die 40. Ausgabe bleiben viele Sorgen. Man könnte auch sagen, es braut sich ein Sturm über dem Gelände zusammen. Wenn Rathaus und ZMF-Crew sich nicht zusammensetzen und Lösungen finden, könnte der auch die stabilsten Zelte wegpusten. Die gute Nachricht: Sie halten Windgeschwindigkeiten von bis zu 250 Stundenkilometern stand. Und die sind selten. Es darf also gehofft werden.

Foto-Montage: © Link3d, Norbert Blau
Fotos: © Klaus Polkowski, ZMF