»Lichter am Horizont«: Baubürgermeister Martin Haag über Baumbesetzungen und Wendeschleifen, die Stadthalle und das Ganter-Areal Stadtentwicklung | 16.02.2024 | Lars Bargmann

Martin Haag vor dem Dietenbach-Modell Unbeirrt begeistert: Martin Haag vor dem Dietenbach-Modell. Ende Februar geht der erste Bebauungsplan in die erneute Offenlage.

B&W: Herr Haag, Oberbürgermeister Martin Horn hat beim Neujahrsempfang Kanzler Scholz zum Spatenstich in Dietenbach angekündigt. Ist das mehr als Marketing?

Haag: Wenn der Bundeskanzler sich Zeit nimmt, zu einem Spatenstich nach Freiburg zu kommen, ist das eine Anerkennung, und es zeigt auch den Freiburgern, wie wichtig dieses Projekt im bundesdeutschen Maßstab ist. Aber natürlich hat das auch ein bisschen was mit Politik zu tun.

B&W: Wenn der Kanzler da war, muss die Freiburger Politik aber auch liefern …

Haag: Wir müssen auch liefern, wenn Scholz nicht gekommen wäre. Wir werden das Baugebiet jetzt erschließen und dann auch in die Vermarktung einsteigen.

B&W: Wann?

Haag: Wir werden 2025 die Vermarktungsgrundsätze mit dem neuen Gemeinderat beschließen und dann loslegen.

B&W: Ihr habt den Fuß ein bisschen vom Gas genommen.

Komplizierter, als alle gedacht haben

Haag: Nein, wir haben nicht den Fuß vom Gas genommen, sondern es ist ein komplexes Zusammenspiel von Planung und realem Bauen, so ist etwa die Heranführung aller Medien an den neuen Stadtteil etwas komplizierter, als alle miteinander gedacht haben. Ein Beispiel: Wir müssen 500 Meter Kanalisation in acht Metern Tiefe bauen, um überhaupt den 1. Bauabschnitt zu erreichen. Dazu kommt, dass wir noch die eine oder andere rechtliche Auseinandersetzung haben, die das Ganze im Bauablauf auch nicht einfacher gestaltet.

B&W: Sie rechnen nicht damit, dass der VGH in Mannheim so schnell entscheidet, dass die geplante Rodung für die Verlegung der überregionalen Erdgasleitung noch bis Ende Februar klappt?

Haag: Wir gehen davon aus, dass wir die Rodung im Herbst angehen. Das Verwaltungsgericht Freiburg hat ja nicht gesagt, dass das grundsätzlich unmöglich ist, sondern die Begründung hat nicht ausgereicht. Wir warten jetzt den VGH ab und werden dann gegebenenfalls nacharbeiten.

B&W: Die Stadt habe nicht ausreichend Alternativen geprüft.

Haag: Wir waren überrascht, aber wir werden jetzt den Bebauungsplan zur erneuten Offenlage beschließen. Das diskutieren wir im Gemeinderat, spätestens dann müsste die ausreichende Begründung da sein. Sagen zumindest alle Juristen bei uns.

B&W: Die Erdgasleitung wird am Ende da hinkommen, wo sie geplant ist?

Haag: Wenn die Rodung der Teilfläche gar nicht ginge, hätten wir noch ein ganz anderes Problem. Dann könnten wir auch die Straßenbahn, nach einer umfangreichen Variantenprüfung, nicht da bauen. Das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen. Das stellt ja auch niemand in Frage. Der gesamte Städtebau basiert auf der Trasse.

Ein Bild von Baubürgermeister Martin Haag

Freut sich auf den Kanzler: Baubürgermeister fordert mehr Förderung

B&W: Rechnen Sie mit weiteren Entschleunigungen durch juristische Bremsspuren?

Haag: Wir gehen davon aus, dass es da weitere juristische Auseinandersetzungen gibt. Sehr viele Menschen haben mit diesem Stadtteil noch nicht ihren Frieden gemacht. Juristische Einwände sind ihr gutes Recht.

B&W: Antidemokratische Aktivitäten wie gefälschte Post mit Stadtstempel in Briefkästen zu werfen, wie es sie beim Stadttunnel gab, wären schlimmer …

Haag: Eindeutig. Wir haben aber auch Baumbesetzungen, nachdem wir jahrelang intensive demokratische Diskussionen über das Abwägen der Themen Wohnen und Walderhalt geführt haben. Jetzt einfach zu kommen und das alles auszublenden und Bäume, ein emotionales Thema, zu besetzen, finde ich schwierig, muss ich ganz ehrlich sagen.

B&W: Wird die Vermarktung mit dem knallbunten Strauß an politischen Wünschen starten, der gebunden wurde? Oder muss man schon noch mal überlegen, was einer besseren Realisierbarkeit helfen könnte?

Haag: Die aktuellen Rahmenbedingungen sind schwierig, aber es sind ja ein paar Lichter erkennbar am Horizont …

B&W: Sie haben gute Augen …

Haag: … schauen Sie auf die Zinsen. Die gehen wieder leicht zurück, die Rohbaukosten auch. Das ist noch keine große Trendwende, aber wir standen vor einem halben Jahr auch schon schlechter da und dachten, dass es noch schlechter wird. Wir werden mit allen Akteuren Gespräche führen und wirtschaftliche Lösungen suchen und auch finden. Wir werden auch ein Stück weit Wettbewerb organisieren. Aber sicher ist heute noch nicht alles schon in Stein gemeißelt, was irgendwann mal gesagt worden ist.

B&W: Was ist in Stein gemeißelt?

Haag: 50 Prozent sozialer Mietwohnungsbau und auch das ökologische Thema. Wir haben den Begriff der Klimaneutralität gegenüber dem Bürgerentscheid sogar noch ausgeweitet. Wir betrachten nicht mehr nur den Betrieb, sondern auch den Bau selber. Wir reden viel über Holzbau, über Recyclingbeton, um die graue Energie zu reduzieren. Und wir wollen auch eine kleinteilige Vermarktung. Das geben wir nicht auf. Mich stimmt optimistisch, dass zwei Alteigentümergruppen selber bauen wollen. Zwei Blöcke sind sozusagen schon vermarktet.

B&W: Haben auch Bauträger von außerhalb schon den Finger gehoben?

Haag: Wenn der Kanzler kommt, zeigt das, dass Dietenbach überall in Deutschland Interesse weckt und natürlich haben wir entsprechende Anfragen. Das kann der Sache auch guttun. Aber natürlich freut es mich besonders, wenn auch Freiburger Firmen hier investieren.

B&W: Was muss von Bund und Land kommen?

Haag: Wir werden beim Kanzlerbesuch das Thema Förderungen noch mal adressieren. Der Bund muss zwingend, wie das Land auch, Geld bereit­stellen. Bauministerin Geywitz hat gerade mehrere Förderprogramme angekündigt. Das geht in die richtige Richtung. Wir brauchen eine bessere und vor allem verlässliche Förderkulisse. Bauen lebt von Vertrauen. Wenn ich ein Gebäude plane, muss ich eine gewisse Sicherheit haben, dass ich auch an die Förderung komme, sonst wird es nichts.

B&W: Bis in Dietenbach die ersten Menschen wohnen, wird es geschätzt 2028. Auch die anderen Baugebiete Klein­eschholz, Zinklern, Hinter den Gärten oder die Höhe in Zähringen kommen alle geballt 2027/2028. Widersprechen Sie dem Slogan „Erst kommt ewig nichts und dann alles auf einmal“?

Haag: Man könnte auch sagen, wir haben aktuell eine relativ gute Situation, was die Versorgung mit Neubaugebieten anbelangt. Das sind insgesamt deutlich über 1500 Wohneinheiten ohne Dietenbach, wo es 1600 im ersten Bauabschnitt sind.

Ein Luftbild vom Dietenbach-Areal

Auf dem Dietenbach-Areal werden die Erschließungsarbeiten deutlich länger als geplant dauern.

B&W: Bis dahin aber?

Haag: 1000 neue Wohnungen pro Jahr war immer das Ziel. Das werden wir in den nächsten Jahren nicht schaffen. Aber mehrere hundert werden wir hin­bekommen

B&W: Wie ist der Stand auf dem Ganter-Areal, wo 350 Mietwohnungen gebaut werden sollen. Ist der vorgeschaltete Wettbewerb gestartet?

Haag: Wir sind dran. Wir haben mit Artemis eine Vereinbarung geschlossen, wie die Eckpunkte des städtebaulichen Vertrags aussehen. Der Wettbewerb ist noch nicht gestartet. Wir brauchen da noch mehr Konkretheit. Da geht es ja nicht nur um die Wohnbebauung, sondern auch um die Brauerei und die städtischen Flächen rund um die Tankstelle. Das macht den Prozess nicht schneller. Aber wir gehen davon aus, dass wir den Wettbewerb in diesem Jahr starten, das Ergebnis 2025 vorliegt und wir dann in ein Bebauungsplanverfahren starten.

B&W: Die Artemis muss fürs Baurecht 20 Prozent der Bruttogeschossflächen ans Rathaus abgeben. Baut die Stadtbau die Sozialwohnungen?

Haag: Die Stadtbau kennt den Wert von eigenen Wohnungen in dieser tollen Lage. Ich gehe davon aus, dass sie dort baut.

B&W: Sie haben eine Machbarkeitsstudie Wendeschleifen beauftragt. Hat das wirklich Potenzial für den Woh­nungsbau?

Haag: Wir schauen uns aktuell weniger die Wendeschleifen, sondern die dazugehörigen Park-and-Ride-Plätze an, die oft große Flächen belegen und in spannenden Lagen sind. Etwa an der Bissierstraße oder in Moosgrund in Landwasser. Wir wollen die Funktion Park and Ride aber nicht aufgeben, also sprechen wir über Hochgaragen und die Kosten dafür. Und ob das mit möglichen Neubauten dann auch finanzierbar wäre.

B&W: Eine spannende, mittlerweile zugewachsene Wendeschleife gibt es hinter der Stadthalle …

Haag: Die Wendeschleife möchte die VAG aktuell nicht aufgeben. Die wird da aus betriebstechnischen Gründen bleiben müssen.

B&W: Bleibt die Stadthalle stehen?

Haag: So wie sie jetzt statisch dasteht nicht. Aber für eine Nachnutzung der Stadthalle wird es ja ohnehin bauliche Veränderungen geben müssen und die müssten so sein, dass das Dach statisch neu stabilisiert wird. Dafür laufen noch Untersuchungen. Und wenn die Ergebnisse da sind, werden wir in ein Interessenbekundungsverfahren einsteigen. Bei mir sind schon einige vorstellig geworden, die gesagt haben, sie haben Interesse.

B&W: Wird am Ende in der Halle gewohnt?

Haag: Da kann vielleicht gewohnt werden, da kann es Büro geben, öffentliche Räume, Kitas. Eine mischgenutzte Immobilie kann ich mir da gut vorstellen.

B&W: Und der Bereich vor der Stadthalle?

Haag: Der Grünzug mit dem Abstand zum ZO und zu der vorhandenen Bebauung, der soll schon bleiben. Bei aller Wohnungsnot: Grün- und Erholungsflächen brauchen wir auch in dieser Stadt.

Lars Bargmann: Herr Haag, vielen Dank für dieses Gespräch.

Fotos: © Lars Bargmann, Neithard Schleier