Kehrtwende bei Kleineschholz – Nun doch Kaufgrundstücke: Stadtspitze zum Pragmatismus gezwungen Stadtentwicklung | 10.11.2023 | Lars Bargmann

Visualisierung des Baugebietes So stellen sich die Planer das Neubaugebiet vor: Ohne Grundstücks- verkäufe wird es nicht gehen.

Was das Freiburger Stadtmagazin chilli exklusiv berichtet hatte, bestätigten Oberbürgermeister Martin Horn und Baubürgermeister Martin Haag zwei Tage später bei einer Pressekonferenz: Anders als verkündet, sollen Investoren im geplanten Neubaugebiet Kleineschholz nun doch Grundstücke kaufen können. Bislang war es politische Zielvorgabe, die 20 Fußballfelder großen Flächen nur im Erbbaurecht zu vermarkten. Es ist die erste Blume, die Stadtspitze und Gemeinderat aus dem lustvoll geflochtenen Bouquet fürs „Vorzeigequartier“ herausziehen müssen. Es wird sich weisen, ob es die letzte war.

„Wir haben eine massive Krise im Wohnungsbau, große Unsicherheiten in der politischen Förderkulisse. Während die Wohnungsbaugesellschaft der Stadt Frankfurt alle Neubautätigkeiten bis Ende 2024 gestoppt hat, müssen wir jetzt loslegen“, sagte Horn. Auch, weil die 6,3 Millionen Euro an Zuschüssen durch den Bund (zusätzlich 25.000 Euro für jede öffentlich geförderte Wohnung) zeitlich aufs Jahr 2028 befristet sind – und danach verloren wären.

Für Horn muss die Erkenntnis, dass der Erbbau eine sehr hohe Vermarktungshürde ist, besonders schmerzhaft sein. Bei Kleineschholz, oft als Blaupause für den Stadtteil Dietenbach bezeichnet, zerplatzt der Wunsch, gar keine städtischen Grundstücke mehr zu verkaufen, zum ersten Mal an der Wirklichkeit.

Visualisierung des Baugebietes.

So malen sich die Planer die Zukunft aus: Mit dem Ballon entschwebt nun auch der Traum, keine Grundstücke verkaufen zu müssen.

Dass geliehene Grundstücke nicht zu beleihen sind – und damit die Finanzierung deutlich erschweren –, ist aber wahrlich nichts Neues. Und dass gerade die adressierten gemeinwohl- statt gewinnorientierten Akteure nicht im Geld schwim­men und daher besonders auf günstige Finanzierungen angewiesen sind, könnte der Freiburger Politik auch einleuchten.

Dass schließlich Horn und Haag als Grund für die Kurskorrektur auch noch die hohen Bauzinsen anführen, ist einerseits zwar verständlich. Soll aber suggerieren, dass ohne die Turbozinswende der EZB der Erbbau funktioniert hätte – und auch künftig funktionieren wird. Daran aber setzen nicht nur Banker, die den Bauwilligen die Kredite geben sollen, ein Fragezeichen.

So hatte der Vorsitzende der Genossenschaft Bauverein Breisgau, Marc Ullrich, unserer Redaktion Anfang Juli 2022 gesagt, dass der Erbbau wirtschaftlich nicht ins Konzept passe. Seinerzeit war der Leitzins bei: 0,0 Prozent. Das alles prallte lange am Rathaus einfach nur ab.

Über den Weg lässt sich streiten

Was in Kleineschholz indes passieren soll, daran entzündet sich in Freiburg kein Streit. Die Wohnungen sollen möglichst günstig zu mieten sein. Über den Weg dahin lässt sich jedoch trefflich streiten. Das Innovative am Quartier ist nicht zuletzt die exklusive Grundstücksvergabe an sogenannte gemeinwohlorientierte Unternehmen, die die Wohnungen dann langfristig im Bestand halten sollen.

Aber wenn das Ziel bezahlbares Wohnen ist, müsste der Politik eigentlich völlig egal sein, wer das erreicht: Ob es eine Baugruppe, ein Mietshäusersyndikat, eine Baugenossenschaft, eine Freiburger Stadtbau, kirchliche oder private Bauträger oder auch ein Immobilienfonds ist. Hauptsache, es wird gebaut und möglichst günstig vermietet. Was das Adjektiv gemeinwohlorientiert politisch bedeutet, ist nicht schwer zu entziffern. Was es juristisch bedeutet, ist eine weitere spannende Frage.

Warum zudem ausschließlich Mietwohnungen gebaut werden und es keine eigenen vier Wände sein sollen, erscheint auf den ersten Blick unverständlich. Offenbar regiert die Sorge, dass mit dem Wohnraum am Ende doch spekuliert wird.

Im Dezember soll der Gemeinderat nicht nur über den Bebauungsplan und die nötige Änderung des Flächennutzungsplans, sondern auch über ein „innovatives und sozial fokussiertes“ Vermarktungskonzept entscheiden, das Liegenschaftsamtschef Bruno Gramich und Kleineschholz-Projektleiterin Sabine Recker ausarbeiten. Die Grundstücke, aktuell sind es 16 Baufelder, sollen an die Bewerber mit den besten Konzepten vergeben werden. Es ist ein zweistufiges Verfahren. Im ersten Schritt geht es um einen „Markt der Ideen“, erst im zweiten müssen die Kaufkandidaten präziser werden – und dann auch nachweisen, dass sie ihr Vorhaben finanzieren können.

Die ersten Grundstücke sollen bestenfalls schon Ende März 2024 den Eigentümer wechseln. Sechs Millionen Euro legt der Gemeinderat für diejenigen noch drauf, die nicht nur 50 Prozent sozialen Wohnungsbau machen, sondern darüber hinaus auch noch preisgedämpften.

Haag formuliert den Spagat

Wer ein Los gewinnt und lieber kaufen statt leihen möchte (muss man Prophet sein, um vorherzusagen, dass die Mehrzahl der Verträge keine Erbbauverträge sein werden?), muss allerdings ein Rückkaufsrecht für die Stadt im Grundbuch akzeptieren. In 99 Jahren. „Mit erbbaurechtsersetzenden Rückkaufrechten setzen wir Genossenschaften in die Lage, notwendige Kredite aufzunehmen und verhindern zugleich langfristig, dass Grund und Boden zum Spekulationsobjekt werden kann“, findet Walter Krögner, wohnungspolitischer Sprecher der SPD/Kulturliste-Fraktion.

Der Fraktionsvorsitzende der Freien Wähler, Johannes Gröger, hat einen anderen Blick auf die Rückkaufklausel. „Wer will und kann den Wert eines Wiederkaufs eines Grundstücks und eines Gebäudes in 99 Jahren berechnen. Das ist im Klartext reine Augenwischerei.“ Im Prinzip ist das Rückkaufsrecht nicht viel mehr als ein Feigenblatt für den Kurswechsel.

Das Ringen ums bestmögliche Quartier, das klimafreundlich, inklusiv und architektonisch anspruchsvoll sein, überdies zu 50 Prozent aus Sozialwohnungen bestehen soll, ist den Verantwortlichen durchaus anzumerken. „Das Motto heißt Realisierbarkeit und Bezahlbarkeit“, fasste Haag den Spagat zusammen. Denn bezahlbar in der Miete und realisierbar bei der Finanzierung gehen selten händchenhaltend über Bauplätze.

Wenn es nach dem Baudezernenten geht, soll noch dieses Jahr der Spatenstich gefeiert werden. Die ersten Gebäude könnten Ende 2025 errichtet werden.

„Wir wissen, dass wir uns nicht alles nur wünschen können, wir wissen auch, dass es um die Wirtschaftlichkeit geht“, sagte Horn. Der Verkauf von Grundstücken könnte ein Gamechanger im Vorzeigeviertel werden. Es ist gut für Kleineschholz, dass die Stadtspitze, wenn auch spät, auf Pragmatismus setzt statt auf leuch­tende Blumenbouquets.

Fotos: © Dietrich, Untertrifaller Architekten / Ramboll Studio Dreiseitl / Stadt Freiburg