Grünes Licht für ein gigantisches Projekt: RP widerspricht Anwälten von Dietenbach-Gegnern Stadtentwicklung | 12.05.2023 | Lars Bargmann

Visualisierung Dietenbach Der Auftakt ist gemacht : Den Wettbewerb um den bis zu 150 Millionen Euro teuren Schulcampus hat das Freiburger Büro mbpk Architekten zusammen mit RMP Stefan Lenzen Landschaftsarchitekten aus Bonn gewonnen. Es ist das größte stadtteilprägende Gebäude im Dietenbach.

Das Freiburger Rathaus hat am 27. März die Entwicklungsmaßnahme Dietenbach GmbH & Co. KG (EMD) von der Freiburger Sparkasse gekauft. Und damit auch die Optionsverträge für 410 Grundstücke. Für insgesamt 62,5 Millionen Euro. Am gleichen Tag veröffentlichte das RegioBündnis pro Landwirtschaft, Natur & ökosoziales Wohnen die rechtliche Expertise einer Kanzlei, die die Übernahme als rechtswidrig einstuft. Das Rathaus hatte sich zuvor ebenfalls eine Kanzlei an Bord geholt. Das Geschäft sei zulässig. Auch das Regierungspräsidium (RP) hat den Deal untersucht. „Wir haben es wirklich sehr, sehr genau geprüft“, sagt Präsidentin Bärbel Schäfer. Und hernach sowohl den Kauf der EMD als auch das weitere Vorgehen genehmigt.

Die EMD war 2018 auf Initiative von Baubürgermeister Martin Haag und Anwalt Thomas Burmeister gegründet worden, um Massenenteignungen im Dietenbach zu vermeiden. Denn sie konnte den Eigentümern 65 statt der gutachterlich festgelegten 15 Euro für jeden Quadratmeter Boden zahlen – und hat das auch vertraglich zugesichert. Gescheitert war die strategische Kooperation zwischen Stadt und Sparkasse daran, dass die Bank am Ende die Abwendungsvereinbarung nicht unterschrieben hat.

In der ist etwa geregelt, welcher Beitrag für baureife, erschlossene Grundstücke an die Stadt bezahlt werden muss. Nach bib-Informationen wollte das Rathaus rund 540 Millionen Euro haben. Die Bank stieg aus. Wechselt nun der Eigentümer der EMD, müsste nicht auch der neue Eigentümer – nun die Stadt – mit sich selbst auch eine millionenschwere Abwendungsvereinbarung unterzeichnen? Und wenn ja: Dürften darin moderatere Summen aufgerufen werden? Auch das hat das RP geprüft. „Nein, das muss sie nicht machen“, sagt Schäfer.

Die Abwendungsvereinbarung sei als Instrument bei einer städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme grundsätzlich richtig, denn „es kann nicht sein, dass die Gewinne (aus dem Verkauf der Wohnungen, d. Red.) privatisiert werden und der Steuerzahler die Verluste (aus der Erschließung) zahlt“. Aber diesen Fall gibt es nun ja gar nicht mehr. Rathaus und auch der Gemeinderat sind jetzt allein für den Erfolg des aktuell größten Neubauviertels in Deutschland verantwortlich.

Und damit auch für die Finanzierung. Rund 1,25 Milliarden Euro – das teuerste Vorhaben in der Geschichte der Stadt Freiburg – wird der neue Stadtteil für rund 16.500 Menschen nach jüngster Kostenberechnung verschlingen. Gut 1,1 Milliarden sollen durch Grundstücksverkäufe – mindestens ein Drittel der EMD-Flächen müssen an private Bauträger veräußert werden – und Erbbauvergaben wieder in die Rathaus-Schatulle geholt werden.

Ein Miniaturmodell Dietenbach

Modellhaft: Auch den städtebaulichen Wettbewerb für den neuen Stadtteil hatte ein Büro aus Freiburg gewonnen: K9 Architekten.

Nicht nur eine Fraktion im Rathaus hätte am liebsten alle Grundstücke nur im Erbbau vergeben. Was das ohnehin schon große Wagnis noch größer gemacht hätte. Doch diesem Ansinnen hatte das RP frühzeitig einen Riegel vorgeschoben. „Wir haben gesagt, wenn die Stadt ausschließlich Erbbaurechte vergeben will, dann muss sie sich das leisten können und das wird dann nicht aus der Maßnahme Dietenbach finanziert“, erklärt Schäfer.

Die taxierten Zahlen für Aufwand und Erlöse seien „aus heutiger Sicht belastbare, vertretbare Prognosen.“ Das mehr als 100 Millionen Euro große Defizit könne sich Freiburg während der 20-jährigen Entwicklungszeit leisten. Damit widerspricht die Regierungspräsidentin auch den Anwälten des RegioBündnis, in dem 17 Dietenbach-Gegnervereinigungen zusammengeschlossen sind. Denn die haben den EMD-Kauf im Hinblick auf die Gemeindeordnung für unzulässig bewertet, weil sich die Kommune, frei übersetzt, wirtschaftlich übernimmt und kommende Haushalte dadurch in Schieflage geraten. „Mit der Genehmigung des EMD-Kaufs ist nicht der Haushalt der Stadt für die nächsten 20 Jahre genehmigt“, entgegnet Schäfer.

Das Rathaus steht vor einem gigantischen Liquiditätsproblem. In der Kosten- und Finanzierungsübersicht ist zu lesen, dass in der Spitze 427 Millionen Euro durch Kredite vorfinanziert werden müssen. Was unterm Strich 123 Millionen Euro Zinslast auslöst. Um den hohen Anfangskosten etwas entgegenzusetzen, sollen im ersten von sechs Bauabschnitten alle Grundstücke verkauft werden. Und wenn Akteure Grundstücke partout nur per Erbbau bekommen, sollen sie die Erbbauzinsen über die komplette Laufzeit gleich am Anfang bezahlen. Da niemand ein geliehenes Grundstück beleihen kann, wird der Kreis der Interessenten kein großer sein.

„Die Sorge um die Wirtschaftlichkeit ist berechtigt“, hatte Baubürgermeister Martin Haag Ende Januar im Gemeinderat gesagt. Da brauche man nichts schönzureden. Das Vermarktungskonzept für das größte Wohnbauquartier der Republik soll Ende des Jahres vorgelegt werden. Es muss so attraktiv sein, dass die Bauwilligen den Daumen heben. Hinter den Kulissen werden Rathaus und Volksvertreter bis dahin nicht nur ein ernstes Gespräch zu führen haben.

Visualisierung: mbpk Architekten, RMP Stefan Lenzen Landschaftsarchitekten Foto: © Stadt Freiburg