Der gläserne Wald – Freiburger Forststudierende lernen mit Marteloskopen STADTGEPLAUDER | 05.04.2020 | Arwen Stock

Bäume aus Froschperspektive

Sie sind ein Hektar groß, es gibt sie in ganz Europa, und alles Wissen über sie lässt sich mit dem Tablet abrufen: Marteloskope sind Übungs- und Trainingsflächen im Wald. Alle Studierenden, die mit dem Wald etwas zu tun haben, können ihr Wissen dort in der Praxis testen. Ein Ortsbesuch bei einem der zwei Marteloskope im Freiburger Stadtwald.

90-60-90 galt lange als Idealmaß bei Frauen. Bäume haben so etwas Ähnliches: einen Brusthöhendurchmesser, der auf der Höhe von 1,30 Metern die Stärke des Stammes beziffert. Höhe oder Baumart  sind weitere Standard-Parameter, die mit einem Marteloskop erfasst und vergleichbar werden. Neben dem ökonomischen Wert wird auch der ökologische für jeden Baum im Marteloskop erfasst und lässt sich mit dem Tablet abrufen.

„Habitat-Bäume zeichnen sich beispielsweise durch Spechthöhlen, Nester, Totholzäste für Insekten und offene „Rindentaschen“ als Schlupflöcher für Fledermäuse aus“, berichtet Thomas Asbeck über den ökologischen Wert. Der 31-Jährige ist als promovierter Forstwissenschaftler an der Universität Freiburg tätig und weiß: Dank der Initiative des Europäischen Forstinstituts gibt es heute 40 Marteloskope in neun europäischen Ländern. Die Mittel für die Einrichtung der Freiburger Flächen kamen vom Projekt „Integrate+“ des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft.

Für die Marteloskope im Freiburger Mooswald und am Rosskopf ist Asbecks Doktorvater Professor Jürgen Bauhus zuständig. Ursprünglich in Frankreich für Privatwälder entwickelt, leitet sich der Name vom französischen „martelage“ (Auszeichnung von Bäumen) und dem griechischen „skopein“ (schauen) ab. Um sich forstwissenschaftliche Fragestellungen vor Augen zu führen, gehen Bauhus und Asbeck regelmäßig mit Studierendengruppen zu Übungen dorthin.

Noch zu wenig Totholz

Doch um das Marteloskop unterhalb des Rosskopfs zu erreichen, muss man erst mal steil bergauf. Immer weiter steigt der schmale Pfad an. Plötzlich tut sich eine kleine Lichtung auf, und wer es nicht weiß, sieht es auch nicht: Hier ragen die ersten nummerierten Bäume auf. Ab einem Minimum von sieben Zentimetern Brusthöhendurchmesser ist hier jeder Baum auf einer Fläche von 100 mal 100 Metern erfasst.

Asbeck startet das Tablet: Auf dem Display erscheint die weiße Fläche des Marteloskops mit vielen blauen, hell- und dunkelgrünen und einzelnen schwarzen, türkisen, gelben, roten und weiß umringelten Punkten in unterschiedlicher Größe. Die Punkte stehen für die Bäume, die Farben für die Baumarten und die Dicke der Punkte für deren Alter. Auch besondere Eigenschaften sind markiert. Insgesamt 318 Bäume mit einem aktuellen Gesamtwert von 57.397 Euro sind im Marteloskop Rosskopf erfasst.

Im Menü bezieht sich ein Unterpunkt auf die Standard-Daten, den ökonomischen und ökologischen Wert. Letzterer zeigt Zeichnungen mit Stellen der Habitate. Unter dem ökonomischen Wert sind laut Tool 3,4 Kubikmeter Einschlag geplant. Das wäre ein großer Baum, den man sich auf dem Display anzeigen lassen könnte. Die verbleibenden Bäume entsprechen 625,8 Kubikmetern, ihr ökonomischer Wert dann noch 57.139 Euro.

Tablet_für Bäume

„Da das Tool nicht die Preise auf dem Holzmarkt aktualisiert, entspricht der Gesamtwert nicht unbedingt der Realität“, räumt Asbeck ein. Auch sei die App nicht für die Masse entwickelt. In der Tat sind die Werte für den Laien nur mit Erklärung verständlich. Doch Studierende können mit der App vor Ort die spätere Berufspraxis simulieren. Eine Übung im Marteloskop kann etwa lauten: Fünf Bäume müssen gefällt, fünf als Habitat-Bäume erhalten werden – Welche?

Asbeck gibt die Nummer 73 einer Rotbuche ein. Auf dem Display erscheinen die Standard-Werte des Baumes: 61 Zentimeter Brusthöhendurchmesser hat der nicht ganz gerade gewachsene Stamm. Macht 390 Euro Holzwert. Asbeck schätzt das Alter der Rotbuche auf 90 bis 100 Jahre. Ökologisch weist der Baum laut Tablet gute Habitatstrukturen auf: Insekten können sich in einem toten Ast beheimaten und der Specht findet Futter.

„Wir haben immer noch viel zu wenig Totholz im Wald“, gibt der Forstwissenschaftler zu bedenken. Dass das die Futtersuche für manche Vögel erschwert, kann man auch ohne Tablet an den Spechtlöchern in der Rinde von Baum Nummer 121 sehen. Kreisrund hat sich da ein Schnabel durch die dicke Douglasien-Rinde gehämmert. Asbeck schätzt deren Alter auf 100 bis 120 Jahre. Die Marteloskop-Daten zeigen: Drei Mikrohabitate und ein sehr hoher Habitatwert von 98 stehen einem guten ökonomischen Wert von 1240 Euro gegenüber.

Nun heißt es im Forstmanagement: ökonomischen und ökologischen Wert abwägen. Und genau das können Studierende anhand der Marteloskope lernen. Längst nicht jede forstwissenschaftliche Fakultät kann auf so eine Fläche für die praxisnahe Lehre zurückgreifen. Bleibt abzuwarten, wann der digitale Trend in einer App für alle Interessierten mündet und der Wald für alle gläsern wird. 

Fotos: © pixabay/Susanne Jutzeler, ars