„Diese Kritik müssen wir akzeptieren“: Uni-Rektor Schiewer spricht erstmals über die Exzellenzniederlage STADTGEPLAUDER | 10.10.2019 | Lars Bargmann

Der 18. Juli 2019 zählt nicht zu besten Tagen im Leben von Hans-Jochen Schiewer. An diesem Tag erlebte der Rektor der Freiburger Albert-Ludwigs-Universität live die Bekanntgabe der Sieger der Exzellenzstrategie. Er war hernach „bitter enttäuscht“, dass Freiburg es erneut nicht in die Siegerelf geschafft hatte. Im ersten Interview zur Niederlage gibt sich Schiewer im Gespräch mit chilli-Chefredakteur Lars Bargmann selbstkritisch und kämpferisch.

Elf deutsche Unis dürfen sich seit dem 18. Juli offiziell „exzellent“ nennen. Sie werden in den nächsten sieben Jahren mit jeweils bis zu 86,625 Millionen Euro gefördert. Bei der Uni Freiburg geht es dennoch weiter: Der Startschuss in die Zukunft fällt am kommenden Montag. Rund 300 Beteiligte kommen dann beim Auftakt fürs Projekt Connected Services zusammenkommen. Es soll die Uni-Verwaltung in den nächsten fünf Jahren modernisieren, geschmeidiger, schneller und zuverlässiger machen soll. Details dazu verrät Hans-Jochen Schiewer im Interview.

chilli: Herr Schiewer, Sind Sie immer noch ratlos, warum Sie keinen Platz in der Siegerelf bekommen haben?

Schiewer: Ratlos bin ich selten …

chilli: … „ratlos“ kam von Ihnen kurz nach Bekanntgabe der Entscheidung selber.

Schiewer: Inzwischen wissen wir, woran es gelegen hat. Der Wissenschaftsrat hat uns gesagt, dass wir im Bereich der Internationalisierung nicht vollständig überzeugen konnten und im Bereich Umwelt und Nachhaltigkeit eine stärkere Profilierung bräuchten. Das nehmen wir ernst und werden uns darüber die Köpfe zerbrechen, wie wir uns da künftig noch stärker aufstellen können.

chilli: Eucor (siehe Infobox) allein reichte nicht, um international zu überzeugen.

Schiewer: Die Idee Eucor wurde hervorragend bewertet, auch unsere wissenschaftliche Leistungsfähigkeit, unsere Lehre, wie wir Professorinnen rekrutieren, wie wir Transferleistungen hervorbringen. Man hat uns gelobt für das, was wir für junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler tun. Aber schwieriger war es mit der European Universities Initiative, neben Eucor der zweite Kreis mit kooperierenden Universitäten in Amsterdam, Posen, Wien und Thessaloniki. Da haben wir offenkundig die Frage, wie das konkret zusätzliche Mehrwerte bringt, nicht ausreichend beantwortet. Diese Kritik müssen wir akzeptieren.

Erstes Interview nach der Schlappe: chilli-Chefredakteur Lars Bargmann mit Hans-Jochen Schiewer

chilli: Die europäische Universität gewinnt mehr und mehr an Bedeutung.

Schiewer: Die europäische Vernetzung der Universitäten ist die klare Strategie der Zukunft. Die designierte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat genau das der neuen Kommissarin schon ins Pflichtenheft geschrieben, konsequent die Idee der europäischen Uni umzusetzen. Aktuell haben wir in Europa 17 solcher Allianzen, schon bald werden es voraussichtlich 41 sein. Die EU investiert in diesen Bereich derzeit 200 Millionen Euro und will 2021 bis zu 1,5 Milliarden Euro für die kommende Förderperiode investieren. Der europäische Forschungsraum wird in den nächsten zehn Jahren neu geprägt, das ist eine große Herausforderung.

chilli: Sie werden bei der Bewerbung begründet haben, was die Kooperation mit Amsterdam, Posen, Wien und Thessaloniki bringen soll …

Schiewer: Natürlich. Ich kann Ihnen nur das sagen, was uns mitgeteilt wurde. Unsere Strategie muss eben noch überzeugender werden.

chilli: Kritik an der Gesamtstrategie der Uni äußerte der Wissenschaftsrat nicht?

Schiewer: Davon steht nichts im Hinweisschreiben.

chilli: Was haben die Exzellenz-Unis, was Freiburg nicht hat?

Schiewer: Auch das haben wir uns, neben den Hinweisen des Wissenschaftsrats, genau angeschaut. Was unterscheidet uns von vergleichbaren Universitäten wie Bonn, Hamburg oder Tübingen? Sie haben mehr geförderte Forschungscluster. Bonn hat als Aufsteiger sechs, Hamburg, auch ein Aufsteiger, vier, Tübingen drei. Und wir zwei. Zwei ist eine sehr gute Leistung, aber die Zahl der bewilligten Cluster ist offenbar ein Indikator für Erfolg. Ein Ziel muss also sein, mehr Cluster einzuwerben. Wir werden sehr intensiv mit unserer Forschungsstrategiekommission Anträge vorbereiten, die wir 2024 einreichen, um 2025 zu wissen, ob wir mehr Cluster kriegen. Wir werden aber genauso weiter an unserem Kulturwandel, an einer Kultur der Kreativität und Offenheit arbeiten. Schließlich werden wir die Frage beantworten müssen, ob wir unsere Pläne auch umgesetzt haben.

chilli: Sie haben von einem Fotofinish gesprochen. Dass Freiburg also sozusagen eher Elfeinhalbter als Zwölfter wäre. Stützt das Schreiben des Rats diese Aussage?

Will nochmal angreifen: Uni-Rektor Hans-Jochen Schiewer

Will nochmal angreifen: Hans-Jochen Schiewer

Schiewer: Der Wissenschaftsrat sagt dazu nichts.

chilli: Ist Elf überhaupt eine angemessene Zahl?

Schiewer: Die Zahl Elf ist eine politische Setzung für 2019. Die Frage wäre an die Politik zu adressieren. 2026 werden es 15 sein. Da wollen wir dazu zählen.

chilli: Wie bewerten Sie die Exzellenzinitiative insgesamt? Die Studierendenvertretungen von zehn Unis hatten im Vorfeld die ganze Exzellenzstrategie heftig kritisiert, einige gar ein Ende gefordert, weil sie zu einer Zwei-Klassen-Gesellschaft führe.

Schiewer: Ich persönlich finde es richtig, dass man starke Unis, die im internationalen Wettbewerb stehen, zusätzlich fördert. Und das Label Exzellenz-Uni würde ich auch gerne haben.

chilli: Ist das Label für Forscher wichtig genug, dass Sie ihre Standortentscheidung davon abhängig machen?

Schiewer: Der Titel, das wurde untersucht, hat einen kurzzeitigen positiven Effekt, aber keinen langfristigen. Wissenschaftler gehen dahin, wo sie beste Möglichkeiten für ihre Forschung haben. Wir sind für internationale Forscher auch ohne das Label attraktiv, die Freiburger Universität ist international sehr gut sichtbar. Es gibt auch viele andere Rankings. Und interessante Widersprüche: Kurz nach der Exzellenz-Initiative wurde etwa das weltweite Shanghai-Ranking veröffentlicht, in dem wir zu den sieben besten deutschen Unis zählen. Oder das THE-Ranking (Times Higher Education, d. Red.), wo wir auf Platz sechs in Deutschland gelistet sind. Wir sind nach wie vor eine der besten deutschen Unis. Aber natürlich ist es für uns eine Herausforderung, ohne die Ressourcen aus der Exzellenzstrategie weiter an Attraktivität zu gewinnen.

chilli: Sie hätten keine Not gehabt, die zunächst kolportierten 105 Millionen Euro, die die Elite-Unis in den nächsten sieben Jahren bekommen, auszugeben, aber größte Not, das Geld für die Inhalte Ihres Plans anders einzuwerben.

Schiewer: In der Öffentlichkeit entsteht ein falsches Bild, wenn von 105 Millionen Euro gesprochen wird. Denn wer dieses Geld bekommt, der bekommt keine Uni-Pauschale für die Cluster mehr. Außerdem sind alle Zuwendungen in der Förderlinie „Exzellenzuniversitäten“ pauschal um 17,5 Prozent gekürzt worden.

chilli: Wie groß ist der Verlust saldiert?

Schiewer: Etwa 74 Millionen Euro in den sieben Jahren.

chilli: Sie werden in bestimmten Bereichen kleinere Brötchen backen müssen…

Neue Wege gehen: Die Uni will in manchen Bereichen nachjustieren.

Schiewer: Ja, natürlich. Zumal bei uns jeder Euro zählt. Manches können wir jetzt nicht umsetzen. Man darf aber nicht vergessen, dass die internationalen Top-Adressen noch ganz andere Budgets haben. Wir sind etwa bei der ETH in Zürich, in Cambridge oder Oxford weit entfernt von finanzieller Augenhöhe. Deswegen macht es mich gerade so stolz, dass wir uns von der Forschungsleistung her vor diesen Hochschulen überhaupt nicht verstecken müssen. Wir bilden junge Forscherinnen und Forscher aus, die dann mit Kusshand von Spitzen-Unis in Großbritannien, Nordamerika oder Singapur genommen werden.

chilli: Hört sich ein bisschen wie beim Sportclub Freiburg an. Die besten Spieler wechseln zu größeren Vereinen. Die Freiburger Uni als Ausbildungsverein?

Schiewer: Nein, die jungen Leute bringen uns unglaublich voran, die Wissenschaft lebt von Standortwechseln, Forscherwechseln, neue Köpfe, neue Ideen, das ist entscheidend. Als Rektor macht es mich besonders stolz, dass wir die meisten Heinz-Maier-Leibniz-Preisträger haben, die meisten Emmy-Noether-Gruppen, und wir sind die Nummer Eins bei Graduiertenkollegs, was die Förderung von Doktoranden betrifft.

chilli: Die Exzellenz-Unis, nicht zuletzt die baden-württembergische Konkurrenz in Heidelberg, Tübingen, Karlsruhe und Konstanz, die mit dem Label natürlich bereits für sich werben, werden alles dransetzen, sich vom Feld weiter abzusetzen…

Schiewer: Ja, aber das müssen sie auch erst einmal schaffen. Und wir sind hier alle sehr ehrgeizig, diese Uni ist eine der besten in Deutschland, in vielen Wettbewerben ausgezeichnet, es fehlt nur noch das Exzellenzlabel – und das wird 2026 in Angriff genommen.

chilli: Herr Schiewer, vielen Dank für dieses Gespräch.

Eucor

Eucor – The European Campus ist ein trinationaler Verbund von sieben oberrheinischen Universitäten in Freiburg, in Basel, Mulhouse, Strasbourg und Karlsruhe. Die Gründungsvereinbarung wurde schon vor 30 Jahren, am 13. Dezember 1989 in Basel unterzeichnet.

Am 9. Dezember 2015 unterzeichnete das Präsidium von Eucor die Gründungsdokumente für den Europäischen Verbund territorialer Zusammenarbeit (EVTZ) Eucor – The European Campus, der am 11. Mai 2016 in Straßburg im Beisein von Carlos Moedas, EU-Kommissar für Forschung, Wissenschaft und Innovation, feierlich eröffnet wurde. Als erster allein von Universitäten getragener EVTZ ist Eucor – The European Campus ein Modellprojekt und im europäischen Forschungsraum einzigartig. Eucor-Präsident ist der Freiburger Rektor Hans-Jochen Schiewer.

Fotos: © Julia Rumbach