»Langsam die rote Karte ziehen« – Freiburgs Finanzbürgermeister Stefan Breiter im Interview Finanzwelt | 14.07.2023 | Lars Bargmann

Stefan Breiter

Er hat ausnahmsweise mal beide Hände frei: Stefan Breiter hat die Chance, Landrat im Kreis Breisgau-Hochschwarzwald zu werden, nicht wahrgenommen. Er bleibt lieber Finanzbürgermeister in Freiburg. Auch wenn das kein durchgehend vergnügungsteuerpflichtiger Job ist, wie er im Gespräch mit bib-Chef­redakteur Lars Bargmann erzählt.

bib: Herr Breiter, der Gemeinderat hat im Mai mit 36 Ja- und 13 Neinstimmen einen neuen Rekord-Doppelhaushalt (DHH) für 2023/24 mit einem Volumen von 2,46 Milliarden Euro und 80 Millionen neuen Schulden beschlossen. Am Ende der Debatten war der bei den freiwilligen Ausgaben noch sechs Millionen Euro schwerer, als Sie und OB Martin Horn es bei der Einbringung vorgeschlagen haben. Wie bewerten Sie das?
Breiter: Es ist doch klar, dass im Rahmen einer Haushaltsdebatte, vor allem vor einer Kommunalwahl, die Fraktionen viele Wünsche formulieren. Das ist für mich nachvollziehbar. Ich frage mich nur manchmal, warum meine Worte so wenig Gehör finden. Bei negativen ordentlichen Ergebnissen schon im Haushaltsentwurf, wünscht sich jeder Finanzverantwortliche mehr Zurückhaltung bei den Mehrausgaben. Wir selbst sind in einigen Bereichen an unsere Schmerzgrenze gegangen. Es wäre das Gebot der Stunde gewesen, sich wirklich aufs Wesentliche zu konzentrieren.

bib: Es gab 559 Anträge, so wesentlich können die alle nicht sein …
Breiter: Die Fraktionen haben zusätzliches Geld verteilt an durchaus wichtige Vereine und Organisationen. Auch die viel zitierte Kultur-Straßenbahn (für die der Gemeinderat mindestens 220.000 Euro ausgeben wird, d. Red.) kann wichtig sein. Aber jeder Euro, der da jetzt ohne Deckungsvorschlag verhandelt wurde, ist ein zusätzlicher Euro an Kredit.

»Davon sind wir heute weit weg«

bib: Anders als beim DHH 2021/22 hat „ihre“ CDU dieses Mal den Haushalt mit abgesegnet. Mussten Sie im Vorfeld auf Werbetour gehen?
Breiter: Nein. Die CDU hat die Zustimmung zum Haushalt mit klaren Forderungen für eine Konsolidierung an die zukünftigen Haushalte verbunden. 2021/22 hatte kein Spar-Antrag der CDU eine Mehrheit gefunden, also konnte sie nicht zustimmen. Das war jetzt anders.

bib: Ist der Haushalt formal vom Regierungspräsidium (RP) schon genehmigt?
Breiter: Nein, ich gehe davon aus, dass Ende Juli, Anfang August die Genehmigung kommen wird.

bib: Weil schon vor der Einbringung Kompromisse erarbeitet wurden?
Breiter: Natürlich besprechen wir den Entwurf mit der RP-Spitze und klopfen vorher die Eckpunkte ab, etwa die Kreditlinie.

bib: Sie sind nicht mit 150 Millionen geplanter Neuverschuldung rein und kamen mit 80 wieder raus?
Breiter: Nein, wir sind genau mit 40 pro Jahr rein und mit 40 wieder raus. Das RP erkennt unsere Bemühungen und mischt sich nicht in die kommunale Selbstverwaltung ein. Der Oberbürgermeister und der Gemeinderat verantworten den Haushalt, nicht das RP. Das wird nur dann einschreiten, wenn es die Leistungsfähigkeit der Kommune dauerhaft als gefährdet einschätzt …

bib: Hatten wir in Freiburg ja 2005, 2006 mal, als das RP die Kassenführung übernommen hatte …
Breiter: Davon sind wir heute ja weit weg.

bib: Ach ja? Damals stand das Rathaus mit 340 Millionen in der Kreide. Wenn es bis Ende 2024 so läuft wie geplant, ist der Schuldenberg im Rathaus dann noch 40 Millionen Euro höher als damals. Übrigens etwa 200 Millionen Euro mehr Schulden, als 2018, als Martin Horn und Sie übernommen haben …
Breiter: … mit der gleichen Dynamik sollte es nicht weitergehen.

bib: Und der Konzern Stadt Freiburg mit allen Töchtern und Eigenbetrieben wird Ende 2024 sogar rund 1,6 Milliarden Euro Schulden haben. Das kann einen Finanzbürgermeister nicht kalt lassen.
Breiter: Freiburg ist aktuell leistungsfähig genug, um einen Doppelhaushalt mit fast 250 Millionen Euro Investitionen zu stemmen. Wenn Sie aber alleine die Verschuldung ansprechen, da mache ich mir natürlich Sorgen. In welche Richtung geht es zukünftig? Wo werden für welche Dinge neue Schulden gemacht? Ich bin relativ entspannt, wenn wir unserer Freiburger Stadtbau Grundstücke im Wert von 90 Millionen Euro übertragen, damit die die geplanten 2500 Wohnungen bauen kann. Da werden Werte geschaffen.

bib: Neue Schulen oder Rathäuser oder auch Tramtrassen kann man aber eher nicht verkaufen, da ist der geschaffene Wert nur ein buchhalterischer.
Breiter: Das ist so. Aber auch diese Investitionen sind wichtig für eine funktionierende und lebenswerte Stadt.

bib: Kann man diesen DHH angesichts der wieder neuen Schulden von 80 Millionen Euro, beim vorherigen waren es 90 Millionen, noch generationengerecht nennen?
Breiter: Wenn wir nur auf die steigende Verschuldung schauen, würde ich sagen: Nein. Schulden müssen irgendwann mal getilgt werden und das vermindert die Gestaltungsspielräume für zukünftige Generationen. Aber wenn wir Schulen nicht sanieren würden, wenn wir keine neuen Kitas bauen, wenn wir unsere Infrastruktur nicht unterhalten würden, wäre das auch nicht generationengerecht. Das Schwierige ist nicht das, was im Haushaltsplan steht, sondern das, was nicht drinsteht.

Schwierig ist, was nicht drinsteht

bib: Wie viele Zinsen muss das Rathaus in diesem und im kommenden Jahr für seine Schulden bezahlen?
Breiter: Etwa acht Millionen Euro, also 0,37 Prozent des Haushaltsvolumens.

bib: Sie haben sich zusätzlich noch 66 Millionen Euro aus Kassenentnahmen genehmigen lassen. Das ist tatsächlich Geld, das in der Rathaus-Schatulle liegt? Wo kommt das denn nach den chronisch schwierigen Haushaltsjahren her?
Breiter: Berechtigte Frage. Wir haben tatsächlich Geld in der Kasse durch Projekte, die wir nicht abarbeiten konnten, aber auch durch Kreditaufnahmen in den Vorjahren. Im vergangenen Jahr haben wir im zweiten Finanzbericht den Gemeinderat informiert, 25 statt der geplanten 45 Millionen Euro aufzunehmen, die wir faktisch für absehbare Ausgaben brauchen. Weil es absehbar war, dass das Zinsniveau steigen wird.

Stefan Breiter

Verblüfft: Stefan Breiter freut sich über sprudelnde Gewerbesteuern.

bib: Trotzdem sind es neue Schulden. Sind Sie mit der Balance zwischen freiwilligen Ausgaben, der Kür und der Pflicht der gesetzlichen Ausgaben einer kleinen deutschen Großstadt zufrieden?
Breiter: Die viertgrößte Stadt in Baden-Württemberg hat mehr als nur Pflichtaufgaben. Und dazu gehört ein breites Portfolio an freiwilligen Leistungen für Sport oder Kultur. Es wäre sicher nicht die richtige Antwort, wenn wir uns so kasernieren würden, dass wir die Stadt nicht weiter gestalten würden. Eine Stadt ist niemals fertig.

bib: Zufrieden?
Breiter: Die Rahmenbedingungen sind wie sie sind. Steigende Energiekosten, das gestiegene Zinsniveau, die Baukostensteigerungen, die auch wir als Stadt überall haben, dazu kommt der Investitionsstau, etwa bei den Sportanlagen oder bei den beruflichen Schulen und die Herausforderungen beim „bezahlbaren“ Wohnen, der Verkehrswende, dem Klimaschutz, um nur einige zu nennen. Das  fordert natürlich eine Stadt in hohem Maße heraus. Vor allem, wenn den gestiegenen Einnahmen noch höhere Ausgaben gegenüberstehen.

bib: Und besser werden sie angesichts der wirtschaftlichen Großwetterlage auch nicht.
Breiter: Die Zeichen stehen eher schlecht. Aber es ist auch klar, dass wenn der Bund ab 2026 die Ganztagsbetreuung an Grundschulen gesetzlich verankert und das den Ländern zuschiebt, wir das Land bei den Kosten nicht aus seiner Verantwortung lassen können. Da müssen wir jetzt doch langsam die rote Karte ziehen. Weil Bund und Land nun rückläufige Steuereinnahmen haben, allein zwischen Januar und April in Höhe von 1,5 Milliarden Euro, werden die Schlüsselzuweisungen für Freiburg deutlich geringer sein.

»Die Zeichen stehen eher schlecht«

bib: Und die Gewerbesteuer spielt wieder die Feuerwehr?
Breiter: Die Gewerbesteuer läuft aktuell sehr gut und kompensiert das tatsächlich. Angesichts der Konjunkturlage ist das auch bundesweit nicht wirklich vorhersehbar gewesen. 

bib: Bei fast 250 Millionen Euro bleiben gerade einmal vier für aktive Liegenschaftspolitik, also den Kauf von Grundstücken. Bei Quadratmeterpreisen von 1300 Euro reicht das gerade mal für 3000 Quadratmeter. Kann das noch aktive Politik genannt werden?
Breiter: Viele Bürgermeister in kleineren Kommunen haben in den vergangenen Jahrzehnten jede Streuobstwiese gekauft, die sie kaufen konnten. In Freiburg war das in der Vergangenheit – auch mangels Angeboten – nicht möglich. Erlöse aus Grundstücksverkäufen waren zur Finanzierung des Haushalts notwendig. Aus meiner Sicht sollten wir Grundstücke ohne große städtebauliche Entwicklungschancen, die sogenannten Handtuchgrundstücke, verkaufen und mit diesen Einnahmen Flächen mit städtebaulichen Entwicklungschancen kaufen.

bib: Das Liegenschaftsamt wird Ihnen wegen eines neuen Zuschnitts der Dezernate zum 1. Oktober aus den Händen genommen. Fachlich lässt sich das wohl begründen, fachlich ließen sich aber auch völlig andere Zuschnitte erklären. Fühlen Sie sich politisch ein Stück weit für Ihre eher sparsame Linie bestraft?
Breiter: Aus meiner Sicht sind Liegenschaften Vermögen. Aber es gibt auch viele Kommunen, in denen die Liegenschaften den Baudezernaten zugeordnet sind. Ich trage die Entscheidung des Oberbürgermeisters mit und sehe das, anders als einige Fraktionen im Rathaus, nicht als politischen Akt.

»Jederzeit ohne neue Schulden«

bib: Wann legt Freiburg den nächsten Haushalt ohne neue Schulden hin?
Breiter: Das könnten wir jederzeit machen. Aber dann würden wichtige Aufgaben, vor allem im investiven Bereich, nicht erfüllt werden können. Die Frage lautet eher, wann wir wieder unsere Aufgaben aus eigener Kraft, mit geringeren Krediten von 10 oder 20 Millionen Euro bewältigen können.

bib: Herr Breiter, vielen Dank für dieses Gespräch.

Fotos: © Till Neumann