Absolut hilflos – Wie obdach- und wohnungslose Menschen unter der Pandemie leiden Gesellschaft | 10.06.2021 | Jacqueline Honoré

Obdachloser und Lager unter einer Brücke

Die Corona-Krise trifft obdachlose und wohnungslose Menschen besonders hart. Ein Bewohner und eine Mitarbeiterin des St. UrsulaHeims in Offenburg berichten von großen Sorgen und abgewiesenen Hilfesuchenden. 

Reinhard Schatte kennt die Probleme von wohnungslosen Menschen genau. Der Drucker und Fotograf im Ruhestand lebt derzeit in einer Wohnungslosenhilfe-Einrichtung in Offenburg. Einen der 44 Plätze im St. Ursula-Heim zu bekommen, sei momentan nicht leicht. Weil Platz und Ressourcen in der Pandemie fehlen, könnten nur eingeschränkt Betroffene aufgenommen werden. 

Der Bewohner berichtet von einer hochschwangeren Frau, die von einer sozialen Organisation kürzlich unangekündigt vorbeigebracht wurde. Die werdende Mutter konnte weitervermittelt werden, Schatte hält es dennoch für besorgniserregend, dass Menschen in solch einer Situation stundenlang umherziehen müssen, ohne zu wissen, wo sie die Nacht verbringen. Schatte seien in der coronabedingten Notsituation die Hände gebunden: „Man möchte gerne helfen. Aber man ist absolut hilflos.“ 

Von dem Aufnahmestopp betroffen seien hauptsächlich Menschen ohne Aufenthaltsgenehmigung. „Die haben dann keine Ansprüche auf Geld, und die medizinische Versorgung fällt aus, da müssen sie zusehen, wo sie bleiben“, sagt Schatte. Die Stadtverwaltung bemüht sich daher um Hilfsangebote in der kalten Jahreszeit. 

Reinhard Schatte

Kennt die Sorgen der Obdachlosen: Reinhard Schatte

„Es gibt die kommunalen Notunterkünfte der Stadt, das St. Ursula-Heim als Eingliederungseinrichtung und die Wärmestube, die tagsüber als Aufenthaltsort genutzt werden kann“, fasst Magdalena Otto, Studentin für Soziale Arbeit und übergangsweise Mitarbeiterin des Heims, zusammen. In den Wintermonaten von November bis April gebe es zusätzlich einen Erfrierungsschutz, eine Notunterkunft für die Nacht.

Doch auch emotional sei die Situation belastend. Der Heimbewohner beschreibt die Gefühlslage in der Einrichtung folgendermaßen: „Manche sind bitterbetrübt, da kommt dann der ein oder andere zum Ausheulen. Insbesondere im Winter, wenn man nicht raus kann, wissen einige nichts mit sich anzufangen“, sagt Schatte, der im Büro des Heims arbeitet und dort gelegentlich mit seinen Mitbewohnern Gespräche führt und Trost spendet.

Oftmals drehten sich die Sorgen der Wohnungslosen um Familienangehörige, die nach wie vor auf der Straße leben, sowie die eigene Gesundheit. „Viele haben bereits Vorerkrankungen, und das Leben auf der Straße schwächt das Immunsystem“, erklärt Schatte. Otto ergänzt, es gebe aber auch hier zwei Seiten: „Es gibt immer Menschen, die die Corona-Problematik nicht verstehen können oder wollen.“

Trotz anfänglicher Schwierigkeiten funktioniere die Umsetzung der Corona-Verordnungen im St. Ursula-Heim mittlerweile recht gut. Auch wenn Maßnahmen gelegentlich hinterfragt werden. „Generell werden die Regelungen aber angenommen“, so Schatte. „Beim Masketragen musste zu Beginn der Pandemie viel erinnert werden.“ Kritisch bei der Einhaltung der AHA-Regeln werde es vor allem dann, wenn Alkohol im Spiel sei. „Da werden Menschen eher mal leichtsinnig“, betont er. 

Wegen des Virus fallen für die Bewohner außerdem wichtige Angebote weg. Suchtgruppen oder die PVD, ein Beschäftigungsbetrieb für Arbeitslose, sind wegen der Corona-Verordnungen momentan nicht umsetzbar und zeitweise auf Eis gelegt. Für die Betroffenen brechen dadurch wichtige Tagesstrukturen weg. Laut Schatte gehe das Leben in der Einrichtung aber weitestgehend seinen gewohnten Gang. Viel schwieriger sei es für Menschen, die auf der Straße leben: „Bettelgelder und andere Zuwendungen von Bürgern fallen gerade weg.“

Fotos: © iStock.com/ianmcdonnell, privat