Ein Kind, drei Eltern: Wie eine Freiburger Regenbogenfamilie ihr Glück findet Gesellschaft | 25.03.2021 | Till Neumann

Regenbogenfamilie Elisa, Jeser, Gerusa und Rudolf Ein eingespieltes Team: Jasper und seine Mütter Elisa und Gerusa Dürr. Daneben Papa Rudolf Heeg.

Jasper hat zwei Mütter und einen Vater. Der Eineinhalbjährige wächst bei Freiburg in einer Regenbogenfamilie auf. Seine Mütter sind lesbisch. Sie haben nach intensiver Suche den für sie idealen Vater gefunden. Dem chilli erzählen die drei Eltern, wie sie das Babyglück teilen und nach Normalität streben. Möglich ist das aber nicht immer. Vor wenigen Tagen ist ihre Familie weiter gewachsen. Mit einer fast unglaublichen Parallele.

Eine Mutter schiebt den Kinderwagen, die andere ist hochschwanger. Beide sind ein Paar, verheiratet und ziemlich entspannt an diesem sonnig-kühlen Februar-Nachmittag in Stegen. Elisa Dürr (30) und Gerusa Dürr (36) leben dort vor den Toren Freiburgs als Regenbogenfamilie. So nennt man gleichgeschlechtliche Paare mit Kindern.

Kennengelernt haben sie sich 2010 in Schottland. Die Deutsche und die Brasilianerin verliebten sich, wurden ein Paar. Nur ein Jahr lang waren sie seitdem getrennt. Geheiratet haben sie gefühlt schon zweimal: 2017 mit einer eingetragenen Partnerschaft. Ein Jahr später dann mit der frisch eingeführten Ehe für alle. „Bei beiden Terminen war es dieselbe Standesbeamtin“, erzählen die beiden und lachen. Ihr Sohn Jasper schläft derweil seelenruhig im Kinderwagen.

Entspannt: Jasper und seine Mütter beim Spaziergang am Freiburger Stadtrand.

Seit fast eineinhalb Jahren haben sie ein gemeinsames Kind. Jasper wurde durch eine Samenspende gezeugt. Für Elisa und Gerusa ist klar: „Er hat zwei Mütter und einen Vater.“ Eintragen lassen konnten sie das in die Geburtsurkunde aber nicht. „Das war schon ein komisches Gefühl, wir sind doch verheiratet“, erzählt Gerusa, der das verweigert wurde. Das Gesetz macht eine solche Eintragung für die nicht leibliche Mutter unmöglich. Bis jetzt.

Verbandssprecher: Markus Ulrich

In Niedersachen kämpft ein lesbisches Paar um die Gleichstellung mit heterosexuellen Paaren. Denn die können beide Partner in die Geburtsurkunde eintragen lassen – selbst wenn das Kind durch die Samenspende eines Dritten entstanden ist. Auch der Lesben und Schwulenverband in Deutschland (LSVD) setzt sich dafür ein. „Es gibt die unterschiedlichsten Formen von Familien“, sagt Pressesprecher Markus Ulrich. Keine Familie dürfe wegen der sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität eines ihrer Mitglieder diskriminiert werden. „Langwierig und oft entwürdigend“ sei das Verfahren der Stiefkindadoption.

Das bisschen Abchecken war merkwürdig

Aus Mangel an Alternativen wählten die Dürrs diesen Weg dennoch. Ein paar hundert Euro habe das gekostet, berichtet Gerusa. Vor allem der Zeitaufwand hat sie gestört. Eine Menge Formulare musste sie ausfüllen und gleich dreimal zum Arzt für einen Komplettcheck. Zudem war eine Frau vom Jugendamt bei ihnen zu Hause, um sich ein Bild von ihrem Leben zu machen. „Ich hatte Angst, dass sie eine Sache findet, die nicht passt“, berichtet Elisa. „Das bisschen Abchecken war schon merkwürdig.“

Mit der Geburt des gemeinsamen Sohnes hat sich die 30-Jährige einen Wunsch erfüllt. „Das war ihr größter Traum“, sagt Gerusa über ihre Frau. Die gebürtige Brasilianerin ist sechs Jahre älter und hat Elisa dennoch den Vortritt gelassen. „Die Entscheidung ist nicht einfach“, berichten die beiden. „Ich wäre so neidisch gewesen, wenn sie es bekommen hätte“, ergänzt Elisa.

Sich in die Doppelmutterrolle reinzufinden, war ein Lernprozess. „Man muss flexibel sein, die Gedanken frei machen“, betont Gerusa. Sie hatte bisher nur Beziehungen zu Frauen und wollte schon immer Kinder. „Ich wusste nur nicht wie.“ Elisa hingegen hatte auch schon Gefühle für Männer. Sie findet den Begriff lesbisch gewöhnungsbedürftig. „Ich bin einfach Elisa.“

Die Suche nach dem richtigen Vater war kein Kinderspiel: Eine anonyme Samenspende kam für die beiden Mütter nicht in Frage. „Das wusste ich schon immer“, erzählt Elisa. Denn dann könne das Kind erst mit 18 Jahren erfahren, wer der Vater ist. Zudem koste eine anonyme Spende etwa 800 Euro. Das könne bei mehreren Anläufen sehr teuer werden. „Freunde von uns probieren es schon seit Jahren“, berichtet Elisa.

Haben gut lachen: Die Drei sind jetzt schon zu viert. Gerusa (rechts) hat eine Tochter zur Welt gebracht.

Also suchten die beiden im Bekanntenkreis. Ohne Erfolg. Auch der Weg über die Online-Plattform family-ship misslang. „Wir haben Männer getroffen, aber es war komisch, fremd“, erinnert sich Dürr. „Wir müssen ihn mögen, eine innere Verbindung sollte es schon geben.“

Zu ihrer Überraschung bot sich ein Freund von Elisa an. „Wir haben einen Antrag bekommen“, nennen die beiden das. Sie wussten sofort: Das passt. „Rudi“ ist ein ehemaliger WG-Mitbewohner von Elisa. „Komplett richtig“ fühle sich das an. Man vertraue sich und habe keinen Vertrag aufsetzen müssen. „Du wirst immer Papa sein“, haben sie ihm gesagt. Selbst Elisas Eltern seien entzückt gewesen: „Zum Glück ist es der Rudi.“

Rudolf Heeg

Zweifacher Vater: Rudolf Heeg

Auch für den 32-Jährigen ist das Kind ein Glücksfall. „Ganz normal“ fühle sich das an, sagt Rudolf Heeg. Er lebt in Bonn und sieht Jasper regelmäßig. Sogar seine Eltern kommen als Oma und Opa vorbei. „Ich bin Papa aus ganzem Herzen und mit allem, was ich in mir trage, habe aber keine eigenen Kinder im Sinne einer Kernfamilie, die unter einem Dach leben“, sagt Heeg (mehr dazu im Interview hier). 

Mittlerweile ist Heeg sogar schon zweifacher Vater. Anfang März hat auch Gerusa eine Tochter bekommen. Mit überraschenden Parallelen: Beide Kinder sind zur gleichen Uhrzeit geboren, gleich groß und gleich schwer. „Richtig verrückt“, sagt Elisa. Auch sie wird den Weg einer Adoption gehen. Oder der Fall in Niedersachsen hat Erfolg. Noch im März soll ein Urteil am Oberlandesgericht Celle fallen. Die Klägerinnen sprechen von einer „verfassungswidrigen Diskriminierung“ und wollen notfalls Verfassungsbeschwerde einreichen. Beim Bundesverfassungsgericht heißt es, ein entsprechender Gesetzesentwurf sei schon in Arbeit.

Für die Familie Dürr wäre das ein weiterer Schritt „Normalität“. Die ist ihnen wichtig. Dass ihr Lebensmodell noch für Verwirrung sorgt, merken sie aber immer wieder. „Faul“ seien sie, sagen manche. Sie glauben, eine heterosexuelle Beziehung sei anstrengender. „Du gehörst in die Männerwelt“, sagen andere zu Elisa. Auf der Arbeit hat sie sich daher nur vorsichtig geoutet. Und stellte fest: „Es war für alle okay.“

Info

Hochmotivierte Eltern

„Regenbogenfamilien sind Familien, in denen mindestens ein Elternteil gleichgeschlechtlich liebt oder transgeschlechtlich lebt“, heißt es beim Lesben- und Schwulenverband Deutschland (LSVD). Aktuellen Schätzungen zufolge gibt es rund 12.000 solche Familien mit Kindern in Deutschland. Seit 2017 ist die Ehe für alle in Kraft. Um beide Eltern rechtlich anzuerkennen, ist jedoch bisher nur der aufwendige Weg einer Adoption möglich.

Internationale Studien zeigen seit vielen Jahren, dass Kinder in Regenbogenfamilien nicht benachteiligt sind. Eine niederländische Studie von 2020 kommt sogar zum Ergebnis, dass Kinder und Jugendliche aus Regenbogenfamilien bessere schulische Leistungen liefern. Das liege auch daran, dass Regenbogeneltern in der Regel „hochmotiviert“ seien.

UPDATE zur Rechtslage

(25. März 2021) Das Oberlandesgericht Celle hat im Fall der zwei klagenden Mütter aus Niederachsen am Mittwoch, 24. März, den Fall an das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe verwiesen. Damit ist Verena Akkermann (die nicht leibliche Mutter) noch immer nicht „offiziell“ Mutter ihrer Tochter Paula. Das OLG hat dennoch bestätigt, dass die aktuelle Rechtslage die Grundrechte der Eltern und des Kindes verletzt. „Die Entscheidung ist eine kleine Sensation, wir hoffen nun auf ein Grundsatzurteil aus Karlsruhe, das queere Ehepaare mit Kind endlich heterosexuellen Ehepaaren mit Kind gleichstellt“, heißt es dazu bei der Gesellschaft für Freiheitsrechte, die das klagende lesbische Paar aus Niedersachsen unterstützt. Mehr Informationen zur Rechtslage und dem Verfahren gibt es hier: Abstammungsrecht verletzt Grundrechte queerer Eltern und ihrer Kinder: Oberlandesgericht Celle legt GFF-Fall dem Bundesverfassungsgericht vor

Lebenslange Beziehung: Rudolf Heeg ist Samenspender für ein Lesbisches Paar

Fotos: © privat & Till Neumann