Handschlag adé: Freiburger Alltagsforscherin Sarah May über die Folgen der Pandemie Gesellschaft | 16.03.2021 | Philip Thomas

Handschlag

Corona hat unseren Alltag durcheinandergewirbelt. Umarmungen und ein fester Händedruck sind auf einmal tabu, Arbeiten von zu Hause ist plötzlich gewünscht. Laut der Kulturanthropologin Sarah May von der Freiburger Uni findet schon jetzt eine kulturelle Neuorientierung statt, welche Gewohnheiten nach der Pandemie erhalten bleiben. Auch der Händedruck stehe auf dem Prüfstand.

Es juckt in den Fingern, der Gruß ohne Hand fällt nach wie vor schwer. „Der Handschlag ist kulturhistorisch nicht nur eine Begrüßung, sondern auch ein Symbol für Freundschaft und Friede, eine politische Geste mit großer Wirkmacht“, erklärt May.

Menschen suchen nach Bestätigung: „Wir ahnen, was andere von uns erwarten, und zielen auf wechselseitige Anerkennung. Daher begrüßen wir uns per Handschlag oder Umarmung. Und aus dem gleichen Grund unterlassen wir diese Gesten derzeit. Wir wollen dazugehören“, sagt sie. Statt Shake Hands nun also Fist Bump.

Die Umstellung war nicht einfach. Es sei auffällig, wie groß, ja übertrieben die Gesten mit Füßen und Ellenbogen zu Beginn der Pandemie ausfielen. „Solche Entwicklungen brauchen Zeit“, sagt die 38-Jährige. Knapp ein Jahr nachdem die chinesische Metropole Wuhan aufgrund des neuartigen Coronavirus im Januar 2020 abgeriegelt wurde, grüßen Spitzenpolitiker weltweit nun Faust an Faust: Auf dem CDU-Parteitag empfingen sich die Kandidaten Friedrich Merz und Armin Laschet per Fist Bump. Bei der Amtseinführung des neuen US-Präsidenten Joe Biden gratulierte Trump-Vorgänger Barack Obama per Faustgruß.

Sarah May Alltagsforscherin

Untersucht unseren Alltag: Kulturanthropologin Sarah May

Es ist nicht die einzige kulturelle Veränderung. Fitnessstudios bieten Online-Kurse, statt mit dem Schnellzug geht’s über die Datenautobahn ins nächste Meeting. „Ich bin mir sicher, dass uns einiges aus dieser sogenannten Krise erhalten bleibt. Auch in Online-Treffen liegen Vorzüge“, kommentiert May.

Die Verschmelzung von Arbeits- und Freizeiträumen sieht die Kulturanthropologin kritisch: „Unser Alltag hat sich stark auf die eigenen vier Wände verschoben, dort finden nun Dinge statt, die räumlich immer getrennt waren.“ Wo früher nur geschlafen wurde, werde nun auch gearbeitet.

May rechnet mit einem kulturellen Neu-Orientieren. „Individuell und im Kollektiv findet bereits eine solche Reflexion statt: Was wollen wir aus dem neuen Alltag behalten? Was lernen? Was wollen wir aus dem Davor zurück?“, fragt sie. Auch das sei ein Prozess. Ob darin der Handschlag sein Comeback feiert? „Die Geste ist kulturell fest verankert, aber ich bin keine Wahrsagerin.“

Dazu mehr:

„Vermehrt Zukunftssorgen“: Freiburger Hausarzt über Auswirkungen der Pandemie

Fotos: © pixabay.com/Tumisu, Klaus Polkowski