Aufklärung auf Augenhöhe – „Mit Sicherheit Verliebt“ bietet etwas andere Sexualkunde an Schulen Gesundheit | 30.03.2025 | Mara Grabowski

Können Mädchen masturbieren? Woher weiß man, ob man verliebt ist? Ist die Penisgröße wichtig für guten Sex? Solche Fragen stellen sich Schüler*innen in Freiburg. Bei Einsätzen des Aufklärungsprojekts Mit Sicherheit Verliebt (MSV) notieren sie ihre Anliegen anonym auf Zetteln und werfen sie in eine „Black Box“. Die Ehrenamtlichen nehmen sich die Zeit, jede Frage zu beantworten. 18.000 junge Menschen werden so bundesweit jährlich erreicht. Die Lehrkraft muss dabei aus dem Raum.
„Ja, alle können masturbieren“, weiß das Team der Freiburger MSV-Gruppe rund um Leiterin Lou Schlüter. Sie erklärt: „Wir unterstützen Kinder und Jugendliche dabei, in den Bereichen Liebe, Sexualität, Gesundheit, Identität und Beziehungen selbstbestimmt zu handeln.“ Geleitet wird MSV von Studierenden, Zielgruppe sind die Jahrgangsstufen 6 bis 10.
Das Projekt wurde 2001 von der Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland e.V. ins Leben gerufen. Es soll Kindern und Jugendlichen eine altersgerechte, sex-positive und queer-freundliche Aufklärung bieten. So auch in Freiburg: Vier ausgebildete Studierende sind hier regelmäßig an Schulen. Bei 13 Klassen an 8 Schulen waren sie 2024 und haben so rund 300 Schüler*innen erreicht. Dabei sprechen sie mit ihnen nach dem Prinzip der Peer-Education auf Augenhöhe über Sexualität. Grundlagen sind unter anderem die neuesten Erkenntnisse der medizinischen Forschung, heißt es auf der Projektseite bvmd.de.
Gemeinsam erarbeiten die Freiwilligen mit den Schüler*innen Themen wie Verhütung, Geschlechtskrankheiten, erste Erfahrungen mit Sexualität, queere Identitäten und den Umgang mit Pornografie. Die Jugendlichen nehmen freiwillig am Workshop teil. Aus Gründen der Privatsphäre bleibt die Lehrkraft währenddessen draußen. „Wir merken, dass den Jugendlichen bei uns vieles weniger peinlich ist als im Beisein ihrer Lehrkräfte“, erklärt Vera Hanna-Wildfang. Auch die 24-Jährige engagiert sich ehrenamtlich in Freiburg bei MSV.
Der Schulbesuch beginnt immer mit dem „Sex-ABC“. Dabei treten zwei Teams gegeneinander an. Zu jedem Buchstaben des Alphabets soll ein Begriff rund um Sexualität und Liebe notiert werden – alles ist erlaubt. Das Team mit den meisten Wörtern gewinnt.
Zunächst punkten die Schüler*innen mit teilweise vulgären Begriffen. Doch die wahre Herausforderung folgt beim Erklären. Die Themen sind oft schambehaftet und die Bedeutung der Begriffe nicht immer bekannt. Wörter wie „Gangbang“ kennen die Jugendlichen aus dem Internet. Viele von ihnen suchen Informationen auf Pornoseiten, in sozialen Medien oder auf TikTok. Sie riskieren dabei, Falschinformationen oder stereotype Vorstellungen über Sexualität zu übernehmen.
„Jugendliche kommen früh mit Pornos in Berührung. Deshalb ist es uns wichtig, über vermittelte Stereotype und die Pornografie-Industrie zu sprechen und die Jugendlichen zu einem reflektierten Umgang mit sexuellen Inhalten im Internet zu ermutigen“, sagt Vera. Eine schulische Sexualaufklärung, die sich auf Anatomie und Verhütung beschränkt, scheint im Internetzeitalter nicht mehr ausreichend zu sein.
Sexualaufklärung an Schulen war auch Teil der Wahlkampfthemen vor der Bundestagswahl. Die rechtspopulistische AfD sieht verschiedene Änderungen im Bildungsplan vor. Die Partei kritisiert eine vermeintliche „Frühsexualisierung in Krippen, Kindergärten und Schulen“, die laut AfD Kinder in ihrer sexuellen Identität verunsichern würde.
Lou findet das falsch: „Durch das vorgesehene Verbot von Begriffen wie ‚queere Jugendliche‘ und einen späteren Beginn der Sexualaufklärung an Schulen würde den Schüler*innen die Chance genommen werden, sich mit ihrer Identität auseinanderzusetzen und so zu leben, wie sie es möchten.“ Außerdem merke das Team bei den Schulbesuchen, dass diskriminierende Aussagen von Schüler*innen meistens aus Unsicherheit oder Unwissen geäußert werden. Lou: „Daher halte ich eine gute und frühzeitige Aufklärung für wichtig.“ Statistisch gesehen gebe es in jeder Klasse mindestens ein queeres Kind.
Mit insgesamt mehr als 850 Studierenden erreicht MSV jedes Jahr 18.000 Jugendliche in ganz Deutschland und sensibilisiert sie für queere Themen und eine selbstbestimmte Sexualität. Beispielsweise lernen die Schüler*innen, was der Unterschied zwischen dem biologischen Geschlecht, der eigenen Identität, der sexuellen Ausrichtung und dem visuellen Ausdruck ist. Eine Aufgabe, die nicht nur Kindern schwerfällt.
Mit Sicherheit Verliebt
Das Aufklärungsprojekt rund um Sexualität richtet sich an die Jahrgangsstufen 6 bis 10. Über die Website bvmd.de können die Schulbesuche angefragt werden. Das Angebot kostet ein Euro pro Teilnehmer*in. Die Freiburger Ortsgruppe hat die Mailadresse freiburg@sicher-verliebt.de
Fotos: © MSV