„Ich stehe im Wald“: Interview mit dem Baum des Jahres STADTGEPLAUDER | 15.04.2019 | Philip Thomas

Flatterulme Baum des Jahres

Nobelpreis, Oscar, Fußballweltmeisterschaft – keine Auszeichnung ist so prestigeträchtig wie der Titel „Baum des Jahres“. Dieses Jahr ging der begehrte Preis völlig verdient an die Flatterulme.

Anlässlich dieser Festivität lud der Freiburger Baubürgermeister Martin Haag in den Dietenbachpark, um dort selbst ein Exemplar zu pflanzen. Dummerweise ist chilli-Volontär Philip Thomas auf dem Weg zur Zeremonie ein dicker Ast auf den Kopf gefallen. Das hat ihn nicht davon abgehalten, sich mit dem stolzen Preisträger zu unterhalten.

chilli: Herr Ulmus laevis, Gratulation zum Titel „Baum des Jahres 2019“.
Ulme: Nennen Sie mich doch bitte „Flatterulme“. Gerade im Herbst rascheln meine gezackten Blätter bis in 40 Meter Höhe so laut, dass ich mir diesen Spitznamen absolut verdient habe. Ich breche mir damit keinen Zacken aus der Baumkrone. 

chilli: Haben Sie mit dieser Auszeichnung gerechnet?
Ulme: Als ich von dem Preis erfahren habe, dachte ich, ich stehe im Wald. Endlich bekomme ich die Aufmerksamkeit, die ich verdiene. Denn aus meinem Holz werden nicht nur schnöde Möbel oder stabile Skier gezimmert – mit meinem besten Stück, dem feingemaserten Stamm, produziert ihr Menschen auch Täfelungen, Pfeifenköpfe und edle Federkiele. Seit vielen Jahrtausenden prägen wir Ulmen das Landschaftsbild in Mitteleuropa, und schon in prähistorischer Zeit wurde aus meiner Rinde ein Bindemittel hergestellt. 

chilli: Freuen Sie sich darüber, im Freiburger Dietenbachpark eingepflanzt zu sein?
Ulme: Natürlich. Denn wir Ulmen hatten es nicht immer leicht: Durch einen 1925 eingeschleppten Pilz aus Ostasien erkrankten viele Berg- sowie Feldulmen und bekamen Verstopfungen in den Wasserleitungsbahnen. Zum Thema Pilzkrankheiten aus Asien und Verstopfungen muss ich Ihnen als Mensch ja nichts erzählen. Jedenfalls mussten die Bäume gefällt werden.

chilli: Aber Sie sind aus anderem Holz geschnitzt?  
Ulme: Exakt. Aber trotzdem stehen wir noch in sieben Bundesländern auf der Roten Liste. Dass ich laut Herrn Haag ein Bekenntnis zum Dietenbachpark bin, freut mich daher umso mehr. Ich hätte aber überall im Stadtgebiet gerne Wurzeln geschlagen: In Freiburg wird insgesamt mehr gepflanzt als gerodet. Rudolf Hog vom Garten- und Tiefbauamt hat mir erzählt, dass im Stadtgebiet jährlich knapp 450 Bäume gesetzt, aber „nur“ 300 meiner Brüder und Schwestern der Säge zum Opfer fallen.

Foto: © Philip Thomas